Ein geplatzter Blinddarm oder eine lebensgefährliche Darmverschlingung sind Notfälle, die eiligst von Chirurgen versorgt werden müssen. Eine rettende Operation, bei der Gewebe vom Verdauungskanal wieder zusammengefügt werden muss, birgt allerdings Risiken. Denn alles, was im Magen-Darmtrakt stetig Richtung Außenwelt befördert wird, gehört auch tatsächlich dorthin – und sollte keinesfalls ins Innere der Bauchhöhle gelangen. Ätzende Verdauungssäfte und keimbeladene Nahrungsrückstände könnten eine Bauchfellentzündung oder sogar eine tödliche Blutvergiftung (Sepsis) auslösen.
Nadel und Faden allein sind allerdings nicht unbedingt das ideale chirurgische Werkzeug, um zwei Darmstücke aneinander zu fügen – schließlich würde man auch eine lecke Milchtüte nicht zunähen wollen. Forschende der Empa in der Schweiz haben daher jetzt ein Pflaster entwickelt, das zwei aneinandergenähte Darmstücke stabil abdichtet und somit gefährliche Lecks verhindert.
Hydrogelpflaster: Den Darm kleben statt nur zu vernähen
Die Idee, vernähtes Gewebe in der Bauchhöhle mit einem Pflaster zu versiegeln, ist bereits im Operationssaal angekommen. Nachdem sich aber erste derartige Produkte als schlecht verträglich oder gar giftig herausstellten, bestehen diese Pflaster heutzutage aus bioabbaubaren Eiweißen. Das Problem: Der klinische Erfolg ist nicht immer optimal und variiert je nach verklebtem Gewebe. Denn die Eiweißpflaster sollen vor allem den Heilungsprozess unterstützen, lösen sich jedoch beim Kontakt mit Verdauungssäften zu schnell auf und halten nicht immer dicht. „Leckagen nach Bauchoperationen gehören auch heute noch zu den besonders gefürchteten Komplikationen“, erklärt Empa-Forscherin Inge Herrmann, die auch die Professur für Nanopartikuläre Systeme an der ETH Zürich bekleidet.
Das Team um Herrmann und Alexandre Anthis vom Particles-Biology-Interactions-Labor der Empa in St. Gallen suchte deshalb gemeinsam mit Andrea Schlegel, Chirurgin am Queen Elizabeth University Hospital in Birmingham nach einem Material, das Darmverletzungen und Operationswunden zuverlässig abdichtet. Fündig wurden sie bei einem synthetischen Kompositmaterial aus vier Acryl-Substanzen, die ein chemisch stabiles Hydrogel bilden. Zudem vernetzt sich das Pflaster aktiv mit dem Darmgewebe, bis keine Flüssigkeit mehr durchkommt.
Acryl-Substanzen als Alternative zum Eiweiß
Diese neuartige Technologie haben die Forschenden bereits patentieren lassen. Die Quadriga aus Acrylsäure, Acrylsäuremethylester, Acrylamid und N,N′-Methylenbisacrylamid arbeitet dabei in Synergie, da jede Komponente mit einer spezifischen Eigenschaft zum Gesamtwerk beiträgt: eine stabile Bindung an die Schleimhaut, die Ausbildung von Netzwerken, die Stabilität gegenüber Verdauungssäften und Wasserdichtigkeit.
Hydrogelpflaster: Maßgeschneidert für die Anwendung im Körperinnern
In Laborexperimenten zeigten die Forschenden, dass das Polymersystem die Erwartungen erfüllt. „Die Haftfähigkeit ist bis zu zehnmal höher als bei herkömmlichen Klebematerialien“, sagt Empa-Forscher Anthis. „Weitere Analysen ergaben zudem, dass unser Hydrogel das Fünffache der maximalen Druckbelastung im Darm aushält.“
Die maßgeschneiderte Wirkung ist im Design begründet: Der gummiartige Verbundstoff reagiert selektiv mit Verdauungssäften, die aus Darmwunden entweichen könnten, quillt auf und schließt umso dichter. Der kostengünstige, bioverträgliche Superkleber, der zu einem Großteil aus Wasser besteht, könnte auf diese Weise Spitalaufenthalte verkürzen und Gesundheitskosten senken. Alexandre Anthis plant daher bereits die nächsten Schritte Richtung klinische Anwendung des neuen Wundpflasters: „Wir sind gerade dabei, ein Start-up zu gründen, um dieses innovative Material zur Marktreife zu bringen.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Inge Herrmann
Particles-Biology Interactions
E-Mail: inge.herrmann@empa.ch
Alexandre Anthis
Particles-Biology Interactions
E-Mail: alexandre.anthis@empa.ch