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Zwischen Risiko und Sparkurs

Aufbereitung von Medizinprodukten: Diskussion um einen potenziellen neuen Wettbewerbsfaktor
Zwischen Risiko und Sparkurs

Die Hoffnung auf sinkende Kosten im Gesundheitswesen ist ein starkes Argument für die Aufbereitung von Medizinprodukten. Dafür müssen aber die Produkte und die Aufbereitungsanlagen geeignet sein. Auf die Hersteller könnten daher neue Anforderungen zukommen.

Das Medizinprodukt ist nicht aufbereitbar? Oder ist die Anleitung des Herstellers für die Aufbereitung missverständlich formuliert, und er rührt sich auf Nachfrage des Anwenders nicht unverzüglich? Dann wird vielleicht nichts aus einem geplanten Geschäft, denn an den Klippen der Aufbereitung zerschellen mögliche Aufträge, die Kliniken oder Krankenhäuser mit einem Medizinproduktehersteller abschließen könnten.

In einer Mitteilung des Universitätsklinikums Halle-Wittenberg klingt das ganz nüchtern. Als sich die dortige Zentrale Sterilgutversorgungsanlage (ZSVA) um das Zertifikat auch für die Aufbereitung besonders heikler Medizinprodukte – so genannter „kritisch C“-Produkte – bemühte, standen organisatorische Veränderungen an: „Es wurden insbesondere Veränderungen in den Verfahren der Anschaffung neuer Medizinprodukte (…) erzielt“, hieß es schon Anfang 2007 aus Sachsen-Anhalt. Was nichts anderes heißt, als dass vor dem Kauf eines Medizinproduktes sehr genau nachgeschaut wird, ob es sich mit den vorhandenen Anlagen und Mitteln aufbereiten lässt und welchen Aufwand das für die ZSVA bedeutet.
Dass das Drumherum der Aufbereitung heute ein Wettbewerbsfaktor in der Medizintechnik-Branche sein kann, bestätigt auch Jens Strunk. Bei der Berliner Vanguard AG, die als Dienstleister unter anderem Medizinprodukte aufbereitet, leitet Strunk den Geschäftsbereich Systemlösungen für Medizinprodukte und sagt: „Rund 95 Prozent der Anfragen zu Produkten kommen von Kliniken, und oftmals hängt von unserer Antwort – aufbereitbar oder nicht – eine Investitionsentscheidung ab.“ Ein negativer Bescheid habe schon das Konzept für ein Herzkatheterlabor zum Kippen gebracht, und auch ein OP-Roboter, der beim Reinigen Probleme machte, hatte schlechte Karten: Es ging nur um ein Detail, ein paar Gewinde an den Armen des Roboters trugen Überwurfmuttern, die sich nicht ganz zurückdrehen ließen. So entstanden Hohlräume, die kaum zu bespülen sind, die Reinigung erschien schwierig, eine Ergebniskontrolle war mangels Sicht ebenfalls nicht möglich. „Also musste man sagen“, fasst Strunk zusammen, „der ganze teure Roboter ließ sich nicht wieder aufbereiten.“ Damit war das Thema in der Klinik aus Kostengründen vom Tisch.
Die knappen Finanzen sind es natürlich auch, die überhaupt erst die Diskussion um die Aufbereitung in Gang gebracht haben. Das Reinigen und Sterilisieren eines Instrumentes oder Katheters vor dem nächsten Einsatz an einem anderen Patienten gilt als Kosten senkende Maßnahme im Gesundheitswesen. Dabei ist das Wiederherstellen von Funktion und Sicherheit eines Medizinproduktes, das mit einem kranken Menschen in Kontakt war, eine schwierige Angelegenheit: Kritiker betonen, dass jedes aufbereitete Produkt für den Patienten ein Risiko berge. Schließlich gibt es nicht nur Metallteile mit glatten Oberflächen zu reinigen, sondern es müssen zum Beispiel selbst aus den enger und länger werdenden Hohlräumen von Instrumenten für die minimal-invasive Chirurgie alle Reste von Blut, Eiweiß oder Krankheitserregern entfernt werden. Vor allem dann, wenn die Aufbereitung möglicherweise nicht ganz sachgerecht abgelaufen sei, können daraus Probleme entstehen, sagen die Experten. Manch einer fordert sogar ein generelles Verbot der Aufbereitung.
Ob das erforderlich ist, fragten sich auch das deutsche Bundesgesundheitsministerium (BMG) und die EU-Kommission. Der Erfahrungsbericht aus 79 Meinungen, den das BMG vorgelegt hat, kommt zu dem Schluss, dass ein generelles Verbot nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht sachdienlich sei. Handlungsbedarf bestehe aber sehr wohl noch. So ist zum Beispiel die Aufbereitung in Deutschland zwar über Gesetze geregelt. Es wird aber derzeit diskutiert, die RKI-Richtlinie gesetzlich zu verankern. Auch die Kontrolle der Aufbereitung in den Kliniken und bei Dienstleistern wird in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Obwohl also die Bundesrepublik in vielerlei Hinsicht in Sachen Aufbereitung als recht fortschrittlich gilt, steht nicht alles zum Besten.
Eine Studie der EU-Kommission verweist auf die Diskrepanzen zwischen Regelungen in den Ländern der Union, die vom Zulassen der Aufbereitung über Skepsis bis zum Verbot reichen – und die internationale Studie stellt fest, dass bei weitem nicht genügend Daten vorliegen, um Nutzen und Risiken der Aufbereitung abschließend zu bewerten.
Vor diesem Hintergrund plant das Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Auftrag des BMG eine Detail-Studie, die Auskunft über die Qualität und Sicherheit aufbereiteter Medizinprodukte geben soll. Der Startschuss dafür soll im kommenden halben Jahr fallen, sagt Dr. Dirk Wetzel, der am BfArM die Abteilung Medizinprodukte leitet. Auf diese Daten wird auch die EU zurückgreifen, die bis 2010 für ganz Europa zu einer einheitlichen Entscheidung kommen will.
Für die Hersteller wird diese Entscheidung von Bedeutung sein: Bei einem generellen Aufbereitungsverbot wird im Gesundheitswesen sicherlich die Kostenfrage noch intensiver diskutiert als bisher – ausschließlich mit Neuprodukten zu arbeiten, ist für den Patienten natürlich sicher, wirft aber die Frage nach der Finanzierung auf. Gilt hingegen Aufbereitung als zulässig, könnte die Eignung eines Produktes für diesen Prozess in stärkerem Maß als bisher den Charakter eines Wettbewerbsfaktors annehmen.
Unterschieden werden muss hier zwischen den so genannten Einmal-Produkten und den Mehrweg-Produkten. Bisher liegt es im Ermessen der Hersteller, ihre Produkte für den einmaligen oder mehrmaligen Gebrauch vorzusehen und zu kennzeichnen. Für Mehrweg-Produkte ist eine Beschreibung erforderlich, wie sich diese sicher aufbereiten lassen – und wenn die EU die Aufbereitung zulässt, werden hier wohl die Anforderungen an die Hersteller steigen: Der aktuelle Erfahrungsbericht des BMG hat gezeigt, dass viele Anwender und auch Aufbereitungsdienstleister mit manchen mitgelieferten Angaben unzufrieden sind.
Jens Strunk vom Aufbereitungsdienstleister Vanguard hat zu diesem Thema eine differenzierte Meinung. Wenn ein Produkt – insbesondere ein Einmalprodukt – aufbereitet werden solle, müssen dafür feste Richtlinien vorhanden sein. Auch das Ergebnis der Reinigung und Sterilisierung müsse nach standardisierten Verfahren geprüft werden, und der gesamte Prozess brauche ein Qualitätsmanagementsystem, um wiederholbar sicher zu sein. Bei Vanguard werde jedes einzelne Produkt getestet, bevor es das Haus verlasse, nicht nur auf hygienische Eigenschaften, sondern auch auf die technischen Funktionen. „Da wir nach diesen Vorgaben arbeiten, kann ich ausschließen, dass von den bei uns aufbereiteten Medizinprodukten eine Gefahr für Patienten ausgeht“, sagt Strunk.
Rund 13 000 Einmalprodukte, für die die Hersteller kein Aufbereitungsverfahren beschreiben, haben die Spezialisten von Vanguard bisher daraufhin untersucht,
ob sie sich wirtschaftlich und sicher aufbereiten lassen: Nur bei etwa 4600 Produkten ist das möglich, der Rest ist nach einmaligem Gebrauch nicht mehr verwendbar. „Zu 99 Prozent haben diese Probleme ihren Ursprung in konstruktiven Gegebenheiten, seltener in der Materialauswahl“, erläutert Strunk. In Experimenten, die Vanguard- Mitarbeiter oder Forscher an Partnerinstituten durchführen, werde spürbar, dass Konstrukteure oftmals ihr Hauptaugenmerk darauf lenkten, dem Wunsch der Mediziner nach Miniaturisierung und neuen Operationstechniken zu folgen. „Ein extrem langer Herzkatheter mit engem Lumen bietet in dieser Hinsicht zwar Vorteile, irgendwann ist aber eine Grenze erreicht, bei deren Überschreiten trotz moderner Technik eine zweite Verwendung nicht mehr möglich ist.“ Neben langen englumigen Kathetern gehören vor allem abwinkelbare Teile, mehrere Gelenke, besonders lange Rohrschäfte und Bowdenzüge zu den üblichen Verdächtigen, die Schwierigkeiten bei der Aufbereitung vermuten lassen. Darüber hinaus sind Produkte laut Strunk jedoch zu individuell, um allgemeine Verbesserungstipps zu geben.
Es gebe allerdings schon einige Hersteller von Medizinprodukten, die sich dieser Frage auf konstruktiver Ebene näherten. In Kooperation mit den Berlinern laufen zum Beispiel an die zehn Projekte, die zu innovativen medizinisch-technischen Lösungen führen sollen, die dennoch gut zu reinigen und zu sterilisieren sind. „Prinzipiell geht das sehr wohl zusammen“, meint Strunk. Manchmal führe aber nur eine Neukonstruktion zu einem guten Ergebnis.
Als Vorteil solcher Gemeinschaftsprojekte nennt er die Möglichkeit, dass ein erprobtes Aufbereitungsverfahren gleich mit dem neuen Produkt zertifiziert werden könne. Vor allem deutsche Traditionsunternehmen orientierten sich in diese Richtung. Anbieter, die mehr auf die internationalen Märkte ausgerichtet arbeiteten, seien weniger aktiv, da eine Aufbereitung wegen der fehlenden Regularien nicht betrieben werde oder als nicht sicher gelte. Strunk ist sich allerdings sicher, „dass in einigen Jahren nur noch Anbieter am Markt eine Chance haben werden, die technisch innovative Produkte anbieten, aber auch die Ressourcenschonung berücksichtigen.“
In diese Richtung denken auch die Teilnehmer des VDI-Arbeitskreises „Risikomanagement der Aufbereitung von Medizinprodukten“, der im Januar 2008 ins Leben gerufen wurde. Fachleute aus Forschung und Industrie tragen dort ihr Wissen zusammen und wollen einen Leitfaden entwickeln, der sowohl den verschiedenen Bereichen der Aufbereitungsindustrie nützt als auch den Überwachungsbehörden und den Herstellern von Medizinprodukten. Prof. Marc Kraft von der TU Berlin beispielsweise leitet eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Gefährdung durch ungeeignetes Produktdesign befasst.
„Auf lange Sicht wollen wir einen Katalog erstellen mit Risikofaktoren wie Ballons oder Hohlräumen in einem Instrument, die eine Aufbereitung erschweren“, erläutert der Berliner Medizintechnik-Experte. Solchen Faktoren sollen Maßnahmen gegenübergestellt werden, die die Aufbereitung vereinfachen – im genannten Fall wäre es zum Beispiel hilfreich, wenn man zur Ergebniskontrolle bei der Aufbereitung in den Hohlraum Einblick nehmen könnte. Auch zu Materialien und anderen Aspekten, die den Konstrukteur beschäftigen, sollen solche Gegenüberstellungen gesammelt werden. „Ich bin der Meinung, dass uns so etwas gelingen kann“, betont Kraft, der im Übrigen – wie auch Vanguard-Mitarbeiter Strunk – die Meinung vertritt, dass das Begriffspaar Einweg-Mehrweg bei Medizinprodukten überdacht werden muss. „Wir wollen lieber zu einer ganz neuen Begrifflichkeit kommen und die Produkte in aufbereitbare und nicht aufbereitbare Produkte unterteilen.”
Bis sich solche grundlegenden Änderungen im Markt durchsetzen, wird es sicherlich noch eine Weile dauern und so manche Diskussion unter Fachleuten erfordern. Auf dem Weg dahin aber sind die Hersteller als Gesprächspartner gefragt. Nicht nur Dr. Wetzel vom BfArM wünscht sich im Umfeld der geplanten Studie „viele Anregungen zur Definition des sicheren Gebrauchs“ von Medizinprodukten. Auch Prof. Kraft bezeichnet den VDI-Arbeitskreis zum Risikomanagement ausdrücklich als Mitmachangebot: „Wir sind in jeder Hinsicht offen für neue Anregungen aus der Industrie.“
Generell verbieten oder verbindliche Regelungen schaffen
Für international ausgerichtete Hersteller ist Aufbereitung nur ein Randthema

Ihr Stichwort
  • Aufbereitung in Europa und Deutschland
  • BfArM-Studie zur Qualität
  • Konstruktive Veränderungen
  • Alternativen zur Einweg- oder Mehrweg-Kennzeichnung

  • Einmal, zweimal, mehrmals
    Aktuell kennzeichnen Hersteller ihre Produkte als Einweg- oder Mehrwegprodukt. Für Mehrwegprodukte muss eine Anleitung mitgeliefert werden, wie der Anwender diese sicher aufbereiten kann. Anhaltspunkte dafür liefert die Richtlinie, die das Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) und das BfArM in Bonn zusammengestellt haben.
    Nach Angaben von Fachleuten können aber auch für Einwegprodukte nachträglich geeignete Aufbereitungsverfahren entwickelt werden – diesen Weg beschreiten sowohl die für die Sterilisation zuständigen Abteilungen in Kliniken als auch externe Dienstleister. Umgekehrt seien die vom Hersteller für sein Mehrwegprodukt beschriebenen Aufbereitungsverfahren nicht immer zufriedenstellend. Neben sehr guten Anleitungen gebe es auch Fälle, die nur „das Abspülen mit kaltem Wasser und anschließende Sterilisieren“ empfehlen.
    Derzeit wird diskutiert, die bisherige Klassifizierung Einweg – Mehrweg abzuschaffen und statt dessen die Begriffe „aufbereitbar“ und „nicht aufbereitbar“ zu verwenden. Kriterien für eine Zuordnung zu solchen neuen Kategorien sind aber noch nicht definiert.

    Für und Wider
    In der Diskussion um die Aufbereitung von Medizinprodukten werden manche Aspekte häufig genannt. Befürworter betonen, dass
    • Kliniken und Krankenhäuser durch das wiederholte Verwenden der Produkte die Kosten reduzieren und daher
    • auch aufwendigere Behandlungsmethoden für viele Patienten angeboten werden können.
    Kritiker hingegen mahnen, dass
    • die Kostenreduktion niemals ausreichend unter Beweis gestellt worden sei,
    • jede Aufbereitung mit einem Risiko verbunden bleibe – was insbesondere dann gelte, wenn Reinigung und Sterilisation nicht sachgerecht erfolgen,
    • keine Untersuchungen dazu vorliegen, wie groß die Risiken tatsächlich sind, die zum Beispiel verbleibende Eiweißreste verursachen können, und dass
    • für das Inverkehrbringen eines Produktes sehr strenge Vorschriften gelten, diese aber bisher nicht für die aufbereiteten Produkte angewendet würden.
    Vor diesem Hintergrund bewerten die EU-Staaten die Aufbereitung sehr unterschiedlich. Was in Deutschland – mit Auflagen – gestattet ist, wird in Frankreich verboten, in Italien „nicht empfohlen“. Die EU-Kommission sammelt derzeit noch Daten und will bis 2010 zu einer einheitlichen Lösung kommen.
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