Im nahen Umfeld kann ein herkömmlicher Blindenstock Informationen über die Umwelt anzeigen – er meldet jedoch nicht, wo in einiger Entfernung der Durchgang zwischen Häuserfronten ist. Das können wiederum radargestützte Systeme, die das Konsortium des Projekts „Ravis-3D“ entwickelt hat. Die Systeme, die intuitiv benutzbar sind, erfassen die Umgebung und setzen sie in Audiosignale um, die über ein halboffenes Hörgerät ausgegeben werden. Drei Lehrstühle der Ruhr-Universität Bochum (RUB) sowie mehrere Industriepartner waren an dem Projekt beteiligt.
Verschiedene Sensoren im Blindenstock
Das Konsortium machte sich zunächst daran, das technisch Machbare zu entwickeln. So bauten sie unterschiedliche Radarsysteme, die von rotierenden 360-Grad-Sensoren über spezielle Antennen, welche das Gesichtsfeld des Nutzers erfassen, bis hin zu gerichteten Sensoren reichten, die die Entfernung eines Fokuspunkts messen. Für die passende Akustik analysiert das System die Geräuschumgebung und blendet dann die Hindernisse aus, die selbst Töne von sich geben.
„Akustisch aktive Hindernisse, wie etwa ein sprechender Mensch, sollte das System nicht als Hindernis begreifen, da der Nutzer sie ja ohnehin schon wahrnimmt“, erläutert Prof. Rainer Martin vom Lehrstuhl für Kommunikationsakustik der RUB. Durch Vermessungen des individuellen Hörvermögens von Nutzern wurde die räumliche Ortung von Quellen weiter verbessert. „Damit wollten wir erreichen, dass sich die Vertonung von realen Hindernissen beziehungsweise Navigationshinweisen möglichst akkurat in die natürliche akustische Wahrnehmung der Nutzer eingliedert“, so Prof. Gerald Enzner aus der RUB-Kommunikationsakustik.
Je intuitiver, desto beliebter ist der Blindenstocl
Das Forscherteam entwickelte für das Projekt unterschiedliche Sensoren und Systeme und testete sie gemeinsam mit Betroffenen. „Das Erstaunliche war, dass es vor allem die einfachen, intuitiven Systeme waren, die das positivste Nutzer-Feedback ergaben“, berichtet Prof. Nils Pohl, Inhaber des Lehrstuhls für Integrierte Systeme der RUB. So tat sich ein relativ einfaches Sensorsystem hervor, das man wie eine Taschenlampe in eine Richtung halten kann, um die Entfernung zum nächsten Hindernis als Ton ausgegeben zu bekommen. „In Verbindung mit der Audioausgabe über Hörgeräte ergibt sich damit ein intuitiv zu bedienender virtueller Blindenstock, der in größerer Reichweite funktioniert“, erläutert Dr. Corinna Weber von der Sensorbasierte Neuronal Adaptive Prothetik GmbH, kurz Snap, aus Bochum.
Großes Vermarktungspotenzial für Blindenstock mit Radartechnik
Die Mitglieder des Konsortiums sind sicher, dass die Ergebnisse ein großes Vermarktungspotenzial haben. „Ein solches System ist bisher am Markt noch nicht vorhanden“, sagt Dirk Kampmann von der Essener Kampmann Hörsysteme VerwaltungsGmbH, die das Konsortium leitet. „Wir müssen nun daran arbeiten, dass die Komponenten kleiner und günstiger werden und dass das System sich in weitere IT-basierte Blindenhilfsmittel zum Beispiel auf dem Smartphone gut eingliedert.“