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Gerät mit feiner Nase

Analytik: Empfindlicheres Gerät soll Diagnosen anhand der Atemluft ermöglichen
Gerät mit feiner Nase

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An das weiterentwickelte SESI-Gerät (Bildmitte) ist ein handelsübliches Massenspektrometer angeschlossen. ETH-Privatdozent Pablo Sinues will damit Patienten untersuchen und schneller als bisher zu Diagnosen kommen Bild: ETH Zürich / Pablo Sinues
ETH-Wissenschaftler haben sehr empfindliche Analysegeräte für Luft und Gase nochmals deutlich empfindlicher gemacht. Die Instrumente sind damit reif für den Einsatz in der Medizin, der biologischen Forschung und der Forensik.

Wenn es darum geht, winzige Spuren flüchtiger chemischer Verbindungen in der Luft zu messen, gehören die Analysegeräte in Pablo Sinues‘ Labor zu den weltweit empfindlichsten. Man findet mit ihnen sprichwörtlich die Nadel im Heuhaufen: Die Nachweisgrenze für flüchtige Verbindungen in Luft liegt im Bereich der Konzentration von einem Billionstel – und das in Echtzeit. Mit einer Luftanalyse lässt sich so beispielsweise in einem Frachtcontainer versteckter Sprengstoff aufspüren, so schnell und empfindlich, wie das Spürhunde können. Im Gegensatz zu Hunden können Sinues‘ Messgeräte jedoch eine breite Stoffpalette gleichzeitig analysieren – und sie werden auch nicht müde. Sinues, Privatdozent am Labor für Organische Chemie, hat nun die bereits große Empfindlichkeit der Messgeräte nochmals erhöht.

Bei seinen Messgeräten handelt es sich um speziell angepasste Massenspektrometer, in denen die Proben vor der Messung elektrisch aufgeladen (ionisiert) werden. Sekundäre Elektrospray-Ionisierung (SESI) heißt die Technik. Dabei wird ein Gerät zum Ionisieren der in der Luft vorhandenen Moleküle an ein handelsübliches Massenspektrometer angeschlossen.
Bei der Entwicklung dieser Technik ist Sinues seit zehn Jahren führend. Kennengelernt hat er sie als Doktorand bei einem Aufenthalt an der Yale University. Gemeinsam mit Forschern eines Unternehmens in Spanien, das die Technik heute vermarktet und mit der er im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts zusammenarbeitet, konnte er nun die Geometrie der SESI-Ionisierungskammer optimieren. Das führte dazu, dass die neuste Generation der Geräte fünfmal empfindlicher ist als die Vorgängergeneration.
Um dies zu erreichen, erstellten die Forscher ein Computermodell der Ionisierungskammer, in dem sie den Ionsierungsvorgang im Detail simulieren können. „Dieses Modell half uns, das ideale Design der Kammer zu finden“, so Sinues.
In Experimenten mit einem verbesserten SESI-Gerät konnten die Wissenschaftler äußerst geringe Konzentrationen von Medikamenten und körpereigenen Hormonen nachweisen: Je nach Verbindung reichten für den Nachweis eine Handvoll bis einige Dutzend Moleküle in einer Billion Molekülen der Umgebungsluft. „Diese Empfindlichkeit reicht aus, um unsere SESI-Geräte für Atemluftanalysen in der Medizin zu verwenden“, sagt Sinues. In ersten Versuchen mit dem neuen, verbesserten Messgerät hätten sich in Atemluft einige Stoffwechselmoleküle messen lassen, die nie zuvor im Atem nachgewiesen werden konnten.
In früheren Studien hat Sinues zusammen mit Kollegen gezeigt, dass sich die Aufnahme und der Abbau von Medikamenten im Körper von Versuchsmäusen anhand einer Atemluftanalyse nachvollziehen lassen. „Unsere Methode könnte dereinst Klinikmitarbeitern helfen, um zu entscheiden, wann sie Patienten eine erneute Dosis eines Medikaments verabreichen müssen“, so der ETH-Dozent. Der Einsatz der Technik in der Klinik wird in den kommenden Jahren im Rahmen eines neuen Flagship-Projekts unter der Ägide der Hochschulmedizin Zürich vorangetrieben.
Hochschulmedizin Zürich ist ein Verbund von ETH Zürich, der Universität Zürich und den in der Region angesiedelten universitären Spitälern. Im November 2015 gab die Organisation den Start zweier langfristiger Forschungsprojekte bekannt. Die Möglichkeiten der SESI-Massenspektrometrie in der Atemanlayse sollen in einem der Projekte ausgelotet werden. Projektleiter sind Renato Zenobi, Professor für analytische Chemie an der ETH Zürich, und Malcolm Kohler, Direktor der Klinik für Pneumologie am Universitätsspital Zürich. Im Projekt geht es zum Beispiel darum, Diabetes oder Schlafapnoe über die Atemluft zu diagnostizieren. Dies wäre schneller, kostengünstiger und für die Patienten angenehmer als etwa Bluttests oder eine Nacht im Schlaflabor.
Der ETH-Dozent Pablo Sinues plant, im Rahmen dieses Flagship-Projekts die Diagnose bakterieller Lungenentzündungen mittels Atemluftanalyse zu erforschen. Heute dauern die Laboranalysen zum Nachweis einer spezifischen Bakterienart oft zwei Tage. Sinues geht davon aus, dass sich der Nachweis mit dem SESI-Gerät in einer Viertelstunde erbringen lässt. Denn Bakterien sondern je nach Art unterschiedliche Stoffwechselprodukte ab, welche in der Atemluft nachgewiesen werden können. Ärzte wüssten so von Beginn an, ob bei einem Patienten eine bakterielle Lungenentzündung vorliegt, und sie könnten ihn mit dem Antibiotikum der Wahl behandeln.
Auch Lungenkrebs könnte möglicherweise mittels Atemanalysen diagnostiziert werden. Weitere Einsatzmöglichkeiten in der Medizin: Ärzte können damit überprüfen, ob ein Patient seine Medikamente eingenommen hat – oder ob er geraucht hat. Bei Patienten, die nach dem Konsum von Designerdrogen ins Spital eingeliefert werden, können sie schnell herausfinden, welche Substanz konsumiert wurde.
Fabio Bergamin ETH Zürich
Weitere Informationen Über die Arbeiten in der Gruppe von Professor Zenobi: www.zenobi.ethz.ch/the-group.html

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