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Dünne Kappe für den Knochen

Implantate: Metallfreier Materialmix soll Skelett und Gesundheit schonen
Dünne Kappe für den Knochen

Ein neuartiges Implantat aus Kunststoff und Keramik soll vorzeitige Folgeeingriffe bei Hüftgelenkersatz vermeiden helfen. Die Zweitoperation nach zehn Jahren könne damit entfallen, teilen die Entwickler mit.

Ein neuartiges Hüftimplantat bietet – anders als seine marktüblichen Pendants – eine metallfreie Lösung und weist eine dem Knochen ähnliche Elastizität auf. Entwickelt haben es Forscher des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart in einem internationalen Team. Die Europäische Kommission hat das Projekt „Endure“ (Enhanced Durability Resurfacing Endoprosthesis) gefördert.

Das Besondere am neuen Implantat ist eine spezielle High-Tech-Materialpaarung: Die Hüftpfanne ist aus kohlefaserverstärktem PEEK – einem hochfesten, reibungsbeständigen, biokompatiblen Polymer-Verbundstoff. Für den Hüftkopf wurde Keramik verwendet. Darüber hinaus gewährleistet eine Hydroxylapatit-Beschichtung an der Schnittstelle zum Knochen, dass dieser gut in die Oberflächenstruktur des Implantats einwächst.
„Bisherige Kobalt-Chrom-Implantate sind sehr starr. Die Krafteinleitung in den Knochen ist nicht optimal, was zu abnormalen knöchernen Anpassungen führen kann“, betont Jasmin Hipp, Ingenieurin am IPA. „Dank der neuen Materialpaarung kann die Kraftweiterleitung über die PEEK-Hüftpfanne in den Beckenknochen der natürlichen Situation nachempfunden werden.“ Darüber hinaus setze das Endure-Implantat keine Metallionen frei. Die gute Reibbeständigkeit der neuen Hüftprothese konnten die Wissenschaftlerin und ihr Team in ersten Tests mithilfe eines Roboters bestätigen, mit dem sie verschiedene Bewegungsabläufe wie gehen, Treppen hoch- und hinuntersteigen simulierten. Für die Versuche wurde ein Prototyp des Implantats eingesetzt.
Die Wissenschaftler überarbeiteten aber auch die mechanische Fixierung der Prothese am Knochen. Klassische Implantate haben lange Metall-Schäfte zur Fixierung, für die zunächst Platz geschaffen werden muss, was mit einem erheblichen Verlust an Knochenmasse verbunden ist. Die Endure-Implantate entsprechen dem knochenerhaltenden Prinzip der Oberflächenersatzprothese: Dünnwandige Schalen ersetzen lediglich die Gelenkfläche und werden zementfrei genutzt, eingepresst und über integrierte Stützstrukturen auf der knochenzugewandten Seite mit dem Knochen verbunden. „Der halbkugelförmige Kopf und die Pfanne werden auf den vorbereiteten Oberschenkelknochenkopf und in das Acetabulum – die natürliche Hüftgelenksgrube – eingeschlagen und befestigt“, erklärt Hipp.
Um den optimalen Sitz des künstlichen Hüftgelenks zu gewährleisten, haben die Forscher vom IPA ein in der Größe skalierbares Instrument entwickelt. Durch das Anbringen an gewöhnliche Chirurgieinstrumente erlaubt es ein Implantieren, Nachjustieren und Entfernen des Implantats. Das Werkzeug kann nach einmaligem Gebrauch entsorgt werden – vergleichbar mit Einmalhandschuhen.
Die Herausforderung bei diesem Teil des Projekts: Das Instrument musste die sehr dünnwandige Implantat-Pfanne fest aufnehmen, um ein Umpositionieren im Acetabulum zu ermöglichen. Die Besonderheit des Instruments ist daher eine Hülse, die durch einen einsteckbaren Stift ausgespreizt wird und somit das Implantat stabil, schnell und in seiner Lage eindeutig verankert.
Die Wissenschaftler haben das Gerät bereits zum Patent angemeldet. Dass sowohl das Einsetzen als auch das Entfernen des neuen Hüftgelenks problemlos funktioniert, hat ein Ärzteteam der Universität Newcastle an Leichen nachgewiesen.
Mittlerweile sind die präklinischen Studien beendet. Abschließende Entwicklungen sind geplant, um baldmöglichst in die klinischen Studien einstiegen zu können. op
Weitere Informationen Partner des EU-Projekts Endure sind Aurora Medical, Medicoat, Hunt Developments, Ala Ortho, CeramTec, Invibio, Biomatech sowie die Universitäten Göteborg und Southampton. http://endure-fp7.com/

Ihr Stichwort
  • Keramik-Kunststoff-Paarung
  • Knochenschonendes Verfahren
  • Fixierung ohne Zement
  • Einsetzen und Entnahme mit Einmalwerkzeug
  • Klinische Studien geplant

  • Probleme mit der Hüfte
    Seit 50 Jahren ermöglichen künstliche Hüftgelenke Menschen mit irreparablem Gelenkschaden ein beschwerdefreies und aktives Leben. Doch nicht alle Prothesen funktionieren einwandfrei, vor allem Metall-auf-Metall-Implantate müssen während des chirurgischen Eingriffs hochpräzise eingesetzt werden. Nicht optimal positionierte Implantate neigen zu Versagen, besonders bei zierlichen Patientinnen. Mediziner fordern sogar das Verbot dieser Ersatzgelenke aus Kobalt-Chrom-Legierungen, bei denen beim Gehen der Gelenkkopf aus Metall in der Gelenkpfanne aus Metall reibt.
    Minderwertig ausgeführte oder eingesetzte Metall-auf-Metall-Implantate können zu erhöhten Reibungswerten führen, was wiederum ein Ansteigen von freigesetzten Kobalt-Chrom-Ionen bewirkt. Diese Ionen können sich über das Blut und die Lymphe ausbreiten und in der Folge Organe schädigen und Entzündungen auslösen. Sie stehen zudem im Verdacht, krebserregend zu sein. Wegen ihrer Robustheit wurden Prothesen dieser Art bisher besonders häufig jungen aktiven Betroffenen eingesetzt.
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