Die Fingerfertigkeit eines Menschen verrät, wie es ihm insgesamt geht: Die Wirkung von Medikamenten, Drogen, Stress oder Krankheit schlägt sich im Schriftbild nieder. Sensoren im Stift erfassen das, und die Telemedizin kann damit arbeiten.
Dass die Parkinson-Krankheit fortschreitet, ist unter anderem an einem Stück Papier zu erkennen: Je stärker die nervliche Steuerung beeinträchtigt ist, desto kleiner und unleserlicher wird die Schrift des Patienten. Solche neuromotorischen Effekte sind – auch wenn sie viel diskreter ausfallen – schon nachweisbar, wenn ein Mensch durch Medikamente oder Alkohol beeinflusst ist oder schnell aus dem Garten in den dritten Stock läuft und außer Atem gerät. Jede solche Abweichung von dem, was der Mensch in seinem Normalzustand an Fingerfertigkeit aufbringen kann, lassen sich mit Hilfe von Sensoren im Kugelschreiber erfassen.
Dass sich diese Veränderungen für zukünftige telemedizinische Anwendungen eignen, betonen Wissenschaftler der Hochschule Regensburg, die das entsprechende Werkzeug, den Biometric Smart Pen oder kurz Bisp, entwickelt haben. „Wir sind mit dem Projekt soweit fortgeschritten, dass wir das Produkt mit einem Industriepartner in zwei oder drei Jahren auf den Markt bringen könnten“, sagt Prof. Jürgen Kempf vom Fachbereich Mikrosystemtechnik, einer der Projektleiter.
Anwendungen sehen die Regensburger, neben der telemedizinischen Überwachung von Patienten, in der Biometrie, also der Personenerkennung, oder auch der Computerindustrie – als Alternative zu Eingabewerkzeugen wie Maus oder Handytastatur.
Die Sensoren im Stift erfassen viele Faktoren, die für das Schriftbild charakteristisch sind: den Druck, mit denen die Finger das Schreibgerät umschließen, die Kraft, mit der die Miene auf die Unterlage gepresst wird, die Neigung des Stiftes und die Beschleunigung, mit der die Hand ihn führt. Die dafür verwendeten Sensoren und elektronischen Komponenten sind Standard-Elemente, wie zum Beispiel piezoelektrische und piezoresistive Druckaufnehmer, kapazitive mikromechanische Neigungs- und Beschleunigungssensoren (MEMS), Dehnungsmessstreifen sowie LED oder eine Faseroptik. Damit wollten die Entwickler sicherstellen, dass eine Serienproduktion zu niedrigen Kosten möglich ist. Weitere Techniken wie Ultraschall oder magnetische Lösungen sind im Gespräch.
Die auf diese Weise erfassten Daten sind so charakteristisch für eine Person, dass die Auswertung der Messwerte kaum zu Irrtümern führt. „Derzeit liegt die Fehlerrate, die wir bei der Identifizierung mit dem Bisp-Kugelschreiber erreichen, bei unter 0,05 Prozent “, erläutert Kempf. Ebenso typisch seien Veränderungen, die durch ein bestimmtes Maß an Alkohol oder anderen Drogen hervorgerufen würden.
Für ihren Ansatz sind die Regensburger im Jahr 2006 mit dem Fresenius-Erfinderpreis ausgezeichnet worden, im Jahr 2008 schafften sie es unter die drei Nominierten für den Sensor-Innovationspreis, der vom Ama Fachverband für Sensorik verliehen wird.
In den vergangenen Monaten haben sich die Regensburger intensiv mit der Frage befasst, wie sich der Einfluss von Krankheiten und Drogen auf das Schriftbild in Zahlen ausdrücken lässt, wo Grenzwerte definiert werden können und wann eindeutige Kennzeichen auftreten, dass ärztliches Know-how einem Menschen weiterhelfen muss.
„Wir stellen uns vor“, sagt Kempf, „dass beispielsweise ein Parkinson-Patient in Zukunft zu Hause regelmäßig bestimmte Schreibaufgaben mit dem Bisp-Kugelschreiber ausführt. Die Daten werden – zunächst über ein Kabel, später sicherlich auch drahtlos – an eine Auswerteeinheit übertragen, auf die der Arzt zugreifen kann.“ Verschlechterungen der neuromotorischen Fähigkeiten wären so zu erkennen, und ein Besuch in der Praxis oder im Krankenhaus nur in diesem Fall erforderlich. „Es ist also möglich, mit einem nicht-invasiven und objektiven Verfahren zu erfassen, wann die Medikamentendosis an den aktuellen Zustand des Patienten angepasst werden muss.“ Solche Tests haben die Regensburger bisher, in Zusammenarbeit mit Kliniken, für Parkinson- und für Schlaganfall-Patienten durchgeführt sowie für Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind.
Die potenziellen Märkte für den sensorbestückten Kugelschreiber sind nach Kempfs Ansicht riesig: Sowohl der Telemedizin als auch dem Zugriffsschutz und der Verschlüsselung für mobile Datenträger würden hohe Wachtumsraten vorhergesagt. Und was das Schreiben selbst angeht, ist Papier keine Voraussetzung, nicht mal eine feste Unterlage wird gebraucht: „Unser System ist so empfindlich, dass es auch ein in die Luft geschriebenes Passwort erkennt.“ Da werden sich Hacker wohl in Zukunft etwas mehr anstrengen müssen, wenn sie sich illegalen Zutritt zu Daten verschaffen wollen.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
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