Damit eine Patientenliege den Menschen wie gewünscht in ein Bildgebungsgerät fahren kann, sind Präzision und Sicherheit gefragt. Was heißt das aber für die Montage? Pro Liege müssen 280 Schraubprozesse ausgeführt werden, und das Bauteil wird bei der Montage oft gedreht und gewendet. Bisher lief das oft von Hand – „teils über Kopf oder gebückt, weil die Schrauben sowohl von unten als auch von oben zugeführt werden müssen“, erläutert Florian Beer. Als Projektmanager Robotik und Automatisierung arbeitet er in der Prozessinnovation bei Siemens Healthineers und hatte diese Situation als ungünstig im Blick. „Ergonomisch war die Arbeitssituation für unsere Mitarbeiter alles andere als ideal“, erzählt Beer. Einen Roboter würde das natürlich wenig kümmern, sagt er mit einem Augenzwinkern. Eine Lösung mit Roboter wurde daher eingeführt und entlastete nicht nur die Mitarbeitenden, sondern sorgt auch für Prozesssicherheit: Der Roboter reproduziert den Vorgang immer wieder zu 100 Prozent gleich.
Prozessinnovation: Einsatz von Leichbaurobotern verbessern
Den Einsatz von Leichtbaurobotern in seiner Produktion treibt Technologieanbieter Siemens Healthineers an seinem Standort Kemnath in der Oberpfalz daher voran und fungiert von dort aus hauptsächlich als interner Zulieferer für die verschiedenen Business Lines. „Ob in der Computer- oder Magnetresonanztomographie – überall dort, wo sich bei unseren Geräten etwas dreht oder bewegt, kommen Getriebe, Antriebstechnologie und Mechatronik zum größten Teil aus Kemnath“, erklärt Beer. „In der Prozessinnovation stellen wir uns daher permanent die Frage, wie die Herstellung unserer Produkte in fünf bis zehn Jahren aussehen könnte“, führt er weiter aus.
Robotersystem für die Montage sollte flexibler werden
Eine zukunftsfähige Lösung fand sich nun für die Montage von Patientenliegen, die in die Bildgebungssysteme eingefahren werden. Die Montage der zugehörigen Linearachsen erledigt bereits eine Roboterzelle. „Die bisher genutzte Lösung funktionierte zwar, war jedoch an einigen Stellen stark eingeschränkt“, bemängelt der Projektmanager. „Beispielsweise haben wir Probleme mit dem Datentransfer, speziell bei der Kommunikation zwischen Roboter und Schraubsystem.“ Denn: der eingesetzte Roboter spricht als Master kein Profinet. Das ließe sich zwar über Digital I/Os lösen, aber das würde den Aufbau unflexibel machen – und der Wechsel zum Roboter eines anderen Herstellers brächte erheblichen Mehraufwand.
Darüber hinaus mangelt es bislang an Granularität bei der Programmierung der einzelnen Maschinen: Das heißt, es fehlen Zwischenschritte und Unterprogramme, die den Gesamtprozess übersichtlich gliedern. Wenn die Produktion im Notfall unterbrochen werden muss, gibt es kaum Möglichkeiten, den Fertigungsprozess am richtigen Bearbeitungsschritt weiterzuführen oder an die korrekte Stelle im Programm zu springen. Statt die bisherige Lösung entsprechend auszubauen, ist geplant, den Prozess stattdessen mit einer übergeordneten SPS umzusetzen.
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Neues Software-Fundament: Roboter und SPS verschmelzen
Deshalb entschied sich die Innovationsabteilung dazu, das Software-Fundament dafür neu zu gießen. Das Pilotprojekt dazu war eine Masterarbeit an der OTH Amberg-Weiden, die zusammen mit dem Karlsruher Softwareunternehmen Artiminds Robotics GmbH umgesetzt wurde. Dabei trafen laut Beer zwei Welten aufeinander: die des Roboters und die der speicherprogrammierbaren Steuerung, kurz SPS. „Mit dem Projekt wollten wir beide verschmelzen.“
Dazu vollzog das Team zwei Neuausrichtungen: Im ersten Schritt überführte es die Steuerung der Anlagenkomponenten auf eine zentrale SPS. Anschließend vereinheitlichte die Abteilung die Roboterprogrammierung durch eine Software: die Robot Programming Suite (RPS) von Artiminds. Als Schnittstelle zwischen SPS und RPS fungiert der hierfür von Artiminds entwickelte Artia-Connector.
Artia-Connector stellt Kontakt zu fast allen Robotern her
Diese spricht nahezu mit jedem Roboter. Was für Beer heißt, dass selbst beim Herstellerwechsel die Programmierung oder auch die Programmiersprachen nicht jedes Mal neu gelernt werden müssen. Zudem gliedere die Software das erzeugte Roboterprogramm automatisch kongruent zu den Prozessschritten.
Bei Bedarf kann die Granularität laut Artiminds weiter erhöht werden. „Dadurch sind einzelne Montageprozesse besser nachvollziehbar, die Suche nach Fehlern wird leichter und der Handlungsspielraum ist in Notfällen größer“, erläutert Christopher Abel, Senior Business Development Manager bei Artiminds.
Ein großer Pluspunkt ist für Beer die anwenderfreundliche Handhabung der Software: „Artiminds RPS ist sehr intuitiv aufgebaut. Mit einer zweitägigen Schulung und ein wenig Einarbeitung kann damit jeder innerhalb weniger Tage einen Roboter programmieren.“ Gerade, weil Robotik-Experten am Markt rar gesät sind, macht dieser Vorteil die Software für Beer attraktiv.
Neue Roboter-Lösung wird in die Serie überführt
Die Pilotphase startete im Juli 2021. Im Februar 2022 zog Beer ein erstes Zwischenfazit: „Wir sehen einen deutlichen Mehrwert bei der Programmierung unserer Anlagen. Deshalb haben wir beschlossen, das Pilotprojekt vom ‚Proof of Concept‘ in die Serie zu überführen.“ Beim Einsatz der RPS beschränkt sich das Team um Beer nicht nur auf den Schraubprozess – künftig sollen damit auch die Verschiebekräfte an der Linearachse der produzierten Liegen automatisiert gemessen werden. Diese beeinflussen das haptische Verhalten und die Nutzerfreundlichkeit: Die Achsen sollen vom Endanwender möglichst leicht bewegt werden können.
Nach den guten Erfahrungen mit der RPS soll als nächstes das Analysetool Learning & Analytics for Robots (LAR) von Artiminds genauer unter die Lupe genommen werden, um Schleifprozesse bei der Fertigung von Computertomographen zu optimieren. „Die ersten Gespräche laufen“, verrät Beer. „Der nächste Schritt ist eine Machbarkeitsstudie.“
Kontakt zum Steuerungsanbieter:
Artiminds Robotics GmbH
Albert-Nestler-Str. 11
76131 Karlsruhe