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Roboter bringt filigrane Strukturen zum Glänzen

Hochglanzpolieren: Keramikoberflächen automatisiert bearbeiten
Roboter bringt filigrane Strukturen zum Glänzen

Ein Werkstoff- und ein Automatisierungsspezialist haben eine vollautomatische Lösung entwickelt, mit der Keramikoberflächen poliert werden können. Der Auftrag kam aus der Automobilindustrie. Die Technik passt auch für Prothesen.

Keramikteile sind wegen ihrer erstklassigen optischen, haptischen, kratzerresistenten und alterungsbeständigen Eigenschaften in Automotive und Infocom stark im Kommen. Schöne und robuste Sichtteile für Premiumfahrzeuge eines süddeutschen Automobilherstellers sollten zum Beispiel für die Produktion in großen Mengen vorbereitet werden. Eine große Herausforderung war dabei das sichere maß- und wiederholgenaue Polieren von 3D-Freiformflächen in einem automatisierten Prozess.

„Vor dem ersten Treffen war nicht klar, ob aus den gemeinsamen Ideen ein tragfähiges Projekt werden kann“, erinnert sich Matthias Weisskopf, Geschäftsbereichsleiter Keramik beim Werkstoffspezialisten Oechsler AG in Ansbach. Die Automatisierung des Polierverfahrens war notwendig, weil für den Einsatz im Automotivebereich sehr große Stückzahlen an glänzenden Keramikteilen gefordert sind. „Mit den Kleinserien, wie man sie beispielsweise für die Verschalung teurer Edelhandys kennt, hat das nichts mehr zu tun“, erklärt Weisskopf. Als Spezialist auf dem Gebiet der Automatisierung hat in diesem Projekt die Zeltwanger Automation GmbH aus Dußlingen mitgearbeitet, und es enstand eine den Aufgaben angepasste Poliermaschine.
Geräuschlos und gleichmäßig gleitet heute eine der beiden Beladeschubladen in die Maschine hinein. Bis zu 13 Keramik-Rohteile liegen positionsgenau für den Roboter zur Entnahme bereit. Die im Pulverspritzgussverfahren hergestellten Teile haben als Grünlinge noch rund 30 % Übermaß, bevor der hochgefüllte Kunststoff herausgelöst wird. Nach einem weiteren Prozessschritt sind sie bereit für den Schleif- und Polierprozess, der Endmaß und Oberflächengüte sicherstellt.
Wenn sich der Sechs-Achs-Knickarm-Roboter das Teil mit einem eigens entwickelten Greifer nimmt, verwirrt zunächst sein Bewegungsmuster. Erst beim zweiten Blick wird dem Betrachter bewusst, dass der Roboter sich „verkehrt herum“ bewegt. Zeltwanger hat ihn kopfüber an der oberen Verstrebung der Poliermaschine befestigt. „Dies ermöglicht eine kleinere Zelle und verhindert die Verschleppung von Emulsion. Außerdem macht dies die Konstruktion stabiler und sorgt für weniger Vibrationen“, versichert Felix Bob, Entwickler bei Zeltwanger. In flüssigen Bewegungen wird das Keramikteil, das die Experten von Oechsler zu einer komplexen, dreidimensionalen Freiform gebacken haben, zu den einzelnen Polierstationen geführt. Dort erhält es seine endgültige, hochglänzende Oberfläche.
Bis zu fünf Polierstationen haben im Arbeitsraum der Maschine Platz. Sie können je nach benötigten Prozessschritten bestückt und aktiviert werden. Der Roboterarm führt das Werkstück dank einer schnellen und intelligenten Steuerung stets im gewünschten Winkel an das Polierwerkzeug. Die unregelmäßigen Freiformen des Werkstücks werden so in allen Winkeln zum Glänzen gebracht.
Beim Bearbeiten des Keramikteils stutzt das Auge des Betrachters erneut, wenn die Polierstationen nachgeben, sobald der Roboter das Werkstück gegen die Polierscheibe drückt. „Die Polierwerkzeuge regeln die Widerstandskraft gegen das angedrückte Bauteil innerhalb eines Bearbeitungsfensters selbsttätig und geben entsprechend nach“, erläutert Bob.
Nach dem Polieren an der letzten Station wird das Bauteil in einem Ultraschall-Reinigungsbad von den Resten der Polieremulsion gereinigt. Anschließend wird es in einem Luftstrom getrocknet und zuletzt auf die passende Aufnahme der Fertigteil-Entnahmeschubladen abgelegt. Auf dem Weg durch die Gabellichtschranke stellt der Roboter fest, ob wirklich kein Bauteil mehr am Greifer sitzt. Mit der Entnahme des nächsten Rohteils beginnt der mannlos arbeitende, vollautomatische Polierprozess erneut.
So reibungslos lief das zu Beginn nicht. Bob erzählt von den Anfängen: „Der Roboter hat das Teil während des Schwenkens immer wieder einmal verloren.“ Es gab keinen passenden Greifer, der das Teil sicher fassen und durch die Bearbeitungsschritte führen konnte. „Als auch der Marktführer für Greifsysteme nicht weiterhelfen konnte, haben wir den Greifer eben selbst gebaut“, berichtet Bernd Kohler, Montageleiter von Zeltwanger. Zusätzlich lieferte Oechsler die Datensätze der geometrischen Aufnahmeform, auf der die Keramikblende später im Endprodukt montiert wird. Franz Plaßwich, Geschäftsführer der Zeltwanger Automation, findet dafür große Anerkennung: „Das war ein Zeichen hoher Wertschätzung von Oechsler und Vertrauen dafür, dass wir den Prozess hinbekommen.“ Mit dem Greifsystem und der passenden Aufnahme arbeitet der Roboter verlier- und prozesssicher sowie lagen- und wiederholgenau.
Im Ergebnis entspricht die Güte der Keramikoberfläche den hohen Anforderungen sowohl von Oechsler als auch des Automobilherstellers. Obwohl es aufgrund fehlender Messmöglichkeiten an den unregelmäßigen krummen und schiefen Flächen keine Aussage zum Ra-Wert der Oberflächen geben kann, sieht und spürt man sofort deren Güte und die Qualität der Bearbeitung. Optisch und haptisch zeigt sich die angepeilte Premiumqualität. Als Innenraum-Design-Sicht- und Funktionsteil in einem PKW hat Keramik aber auch ein erstklassiges thermisches Verhalten und ist praktisch neutral gegenüber der Umgebungstemperatur. Die Oberfläche bleibt maßhaltig und lässt sich bei hohen Plus- wie auch bei tiefen Minusgraden gefahrlos anfassen.
Der Mittelständler Oechsler betrat schon früher ab und zu völliges Neuland. „Mit diesem Auftrag aus der Automobilindustrie hat Oechsler einen gewagten Schritt in Richtung der neuen Technologie des Keramikspritzgusses gemacht“, erzählt Weisskopf. Dass die glänzenden Keramikoberflächen nun für glänzende Aussichten hinsichtlich Folgeaufträgen sorgen, ist das Ergebnis einer gelungenen Zusammenarbeit zweier Spezialisten, deren Ergebnis so nicht planbar war.
Komplexe Teile aus Keramik trotz filigraner Struktur automatisiert zu polieren, ist aber nicht nur für die Automobilindustrie interessant. Die Automatisierer aus Dußlingen haben hier eine Technologie weiterentwickelt, die schon zum Polieren von Teilen für künstliche Knie- und Hüftgelenke eingesetzt wurde. Dass nun auch 3D-Formen poliert werden können, öffnet Perspektiven für die Bearbeitung kleiner Prothesenteile aus Keramik, zum Beispiel für den Wirbelbereich oder für den Ellenbogen. Entsprechende Tests laufen bereits, heißt es aus Dußlingen.
Jürgen Fürst Fachjournalist in Fellbach
Weitere Informationen Die Zeltwanger Automation GmbH entwickelt Polieranlagen für glänzende Keramikoberflächen und Montage- und Prüfanlagen. www.zeltwanger.de Die Oechsler AG beliefert weltweit die Automobil-, Medizin-, Kommunikations- und Industrietechnik. Neben der Fertigung von Präzisions-Kunststoffteilen und Baugruppen werden Produktentwicklung, Prototyping, Produktmanagement sowie hoch spezialisierter Werkzeugbau angeboten. www.oechsler.com

Ihr Stichwort
  • Keramik- und Metallteile polieren
  • Polierwerkzeug auch für feine Strukturen
  • Andruckregelung an der Station
  • Ellenbogenprothesen
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