Inhaltsverzeichnis
Green Deal und die Kunststoffverarbeitung
Was sind Ökobilanzen
Ökobilanz: Wie exakt die Ergebnisse sind
So interpretiert man eine Ökobilanz
Aufwand für eine Ökobilanz
Expertise im eigenen Unternehmen?
Warum eine Branche beim Thema Ökobilanz geschlossen handeln sollte
Perspektiven für eine nachhaltigere Kunststoffverarbeitung
Herr Prof. Endres, laut European Green Deal soll bis 2050 Treibhausgas-Neutralität erreicht werden. Was bedeutet das für Kunststoffe und ihre Verarbeitung?
Beim Green Deal geht es um viele Bereiche. In der öffentlichen Wahrnehmung dominieren meist erneuerbare Energien und Mobilität. Doch die Pläne betreffen auch andere Branchen wie die Kunststoffverarbeitung, die Ressourcen sowie Energie verbraucht und unter anderem Treibhausgase freisetzt. Kunststoffe haben eine Vielzahl von positiven Merkmalen, wie ihre Fähigkeit zum Isolieren. Sie eignen sich als Leichtbauwerkstoff oder zum Schutz von Lebensmitteln in Form von Folien. Wir werden Kunststoffe daher auf jeden Fall weiterhin brauchen – und müssen beim Green Deal auch die Frage beantworten, was aus einem Produkt am Lebensende wird. Kann man es recyceln? Soll es verbrannt werden? Wir müssen genauer überlegen, wie wir mit Kunststoffen künftig noch nachhaltiger umgehen. Bisher wird Rohöl zwar vor allem als Brennstoff genutzt, nur fünf Prozent davon sind die Basis für Kunststoffe. Dieser Anteil wird aber zunehmen, und damit wächst auch die Verantwortung der Kunststoffindustrie.
Was sind Ökobilanzen, was leisten sie beim Umgang mit Kunststoffen?
Die Ökobilanz ist ein Instrument, das uns zeigt, wo wir ökologisch etwas verbessern können. Bei der Nachhaltig-keitsbewertung werden drei Bereiche betrachtet: das Life Cycle Assessment oder die Ökobilanz betrachtet die ökologischen Aspekte, das Social Life Cycle Assessment berücksichtigt die sozialen Auswirkungen, die mit der Herstellung, Nutzung und Entsorgung eines Produkts einhergehen. Das Life Cycle Costing schließlich geht darauf ein, welche tatsächlichen Kosten ein Produkt verursacht – zum Beispiel durch einen Transport zu einem tausend Kilometer entfernten Supermarkt. Wenn alle drei Säulen betrachtet werden, lässt sich beurteilen, ob ein Produkt nachhaltig ist.
In eine Ökobilanz fließen viele Daten. Wie exakt sind die Ergebnisse?
Standards und Richtlinien legen inzwischen fest, wie eine Ökobilanz grundsätzlich zu erstellen ist. Es gibt Softwarelösungen, die das umsetzen. Aber natürlich hängt das Ergebnis davon ab, wie gut die Daten sind, die ich benutze, und welche Systemgrenzen ich bei der Bewertung ziehe. Am Beispiel des European Green Deal erklärt: Was will ich alles berücksichtigen? Nur das, was in der EU selbst passiert? Oder auch Teile, die ich in mein Produkt einbaue – die irgendwo anders hergestellt und in die EU transportiert wurden? Wie sieht es zudem mit Exporten oder Importen von Rohstoffen oder Energie aus? Diese Punkte beeinflussen die Ergebnisse und damit die Vergleichbarkeit der Bilanzen.
Auf EU-Ebene werden derzeit Vorgaben zur einheitlichen Erstellung von produktspezifischen Ökobilanzen erarbeitet, so genannten Product Environmental Footprints. Diese sollen einen Vergleich von Produkten ermöglichen. Industriezweige und Verbände sind schon seit Jahren aufgerufen, die Regeln für die eigene Branche mit zu definieren. Die Baubranche ist hier sehr aktiv, Kunststoffverarbeitung und Automobilbranche halten sich zurück. Aus Medizintechnik und Pharma gibt es erste Interessenten, die ihre Produkte nachhaltiger gestalten und damit eine Vorreiterrolle übernehmen wollen und sich engagieren.
Wie lässt sich eine Ökobilanz interpretieren?
Auf jeden Fall differenziert. In die Bilanz gehen nach EU-Vorgaben Einflussfaktoren aus 16 Kategorien ein. Kein Produkt ist in allen Kategorien nur gut oder nur schlecht. Daher gibt es nicht eine Zahl, die alles zusammenfasst. Das macht die Kommunikation der Ergebnisse nicht ganz einfach, und das Marketing sollte sich nicht die Rosinen herauspicken und nur die positiven Aspekte ausloben. Die Ökobilanzierung ist das beste Instrument, das wir derzeit zur Bewertung der ökologischen Nachhaltigkeit haben. Die Ergebnisse einer Ökobilanz ermöglichen es mit ihren Details, die eigenen Prozesse und Produkte zu verbessern oder Hot Spots zu erkennen, an denen sich die Nachhaltigkeit eines Produkts steigern lässt.
Wie aufwendig ist es für ein Unternehmen, zu einer Ökobilanz zu kommen?
So aufwendig, dass es sich lohnt, vorher genau zu überlegen, was man mit der erstellten Bilanz anfangen will. Will ich die Nachhaltigkeit im Unternehmen verbessern und Prozesse ändern? Will ich Ergebnisse für die Kommunikation nutzen? Oder will ich mich gar durch Vergleiche vom Wettbewerb abgrenzen? Der einfachste Weg zur Ökobilanz ist derzeit, einen Dienstleister zu beauftragen, der alle wichtigen Fragen zum Produkt stellt. Je nach Umfang liegen die Kosten dafür im Bereich zwischen 5000 und 50 000 Euro. Der Auftraggeber kann diese Ergebnisse intern nutzen, um seine Prozesse zu verbessern. Sollen die Erkenntnisse veröffentlicht werden, muss ein unabhängiger Gutachter sie vorher prüfen. Die Kosten für dieses Review betragen bis zu 10 000 Euro. Der direkte Vergleich mit dem Wettbewerb oder einem anderen Produkt verursacht den größten finanziellen Aufwand: Hier müssen drei unabhängige Gutachter prüfen, bevor man damit an die Öffentlichkeit gehen darf.
Lohnt es sich da nicht, im eigenen Unternehmen die Expertise aufzubauen?
Manche versuchen das, kaufen eine Software und bilden Mitarbeiter aus oder stellen neue ein. Die Software allein kostet allerdings zwischen 30 000 und 60 000 Euro, der Experte muss geschult werden und vielleicht ein Jahr lang Erfahrungen sammeln. Das bedeutet beim ersten Durchgang viel Aufwand – beim zweiten Produkt geht es natürlich schneller. Die Ergebnisse lassen sich für den internen Gebrauch und die Prozessoptimierung verwenden. Für alles, was nach außen kommuniziert werden soll, müssen aber auch hier Gutachter für ein externes Review hinzugezogen werden. Und man sollte sich nichts vormachen: Experten, die für das Erstellen einer Ökobilanz qualifiziert sind, gibt es, aber nicht sehr viele, und sie sind durchaus heiß begehrt.
Welche Synergien könnten Unternehmen einer Branche eventuell nutzen?
Eine Abstimmung in der Branche bietet sich natürlich an. Wenn Einigkeit herrscht, dass beispielsweise Materialhersteller Daten für die Ökobilanz ihrer Werkstoffe bereitstellen sollten, wird das eher Gehör finden, als wenn einzelne Unternehmen das Thema angehen.
Gemeinsam lassen sich auch die Systemgrenzen und Rahmenbedingungen für Ökobilanzen definieren. Sollen Abfälle mit betrachtet werden? Auch dann, wenn diese in anderen Branchen recycelt werden? All das mitzubestimmen, wäre für die Unternehmen eines Industriesektors interessant und hilfreich.
Welche Perspektive sehen Sie für eine nachhaltigere Kunststoffverarbeitung?
Das Thema ist ohne Frage komplex. Aber das ist kein Grund, sich nicht damit zu befassen. Wir sollten die Produkte kritisch betrachten und sachlich diskutieren, um nachhaltiger zu werden, als wir es bisher sind. Dazu gibt es keine Alternative. Die Ökobilanz ist derzeit das beste Instrument, das uns dafür Anhaltspunkte liefert.
Kontakt
Prof. Dr.-Ing. Hans-Josef Endres
Institut für Kunststoff- und Kreislauftechnik
Leibniz Universität Hannover (LUH)
Fakultät für Maschinenbau
An der Universität 2
D-30823 Garbsen
E-Mail: endres@ikk.uni-hannover.de
www.ikk.uni-hannover.de