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Der Stent, der aus der Kälte kam

Ultrakurzpulslaser: Materialbearbeitung in der Medizintechnik
Der Stent, der aus der Kälte kam

Bereits vor 15 Jahren hatte das Laser Zentrum Hannover die ersten Abtragsergebnisse mit Femtosekundenlasern vorgestellt und damit den Weg für den so genannten kalten Abtrag von Werkstoffen durch Laserstrahlung geebnet. Seit dieser Zeit ist die Lasertechnologie entscheidend vorangekommen.

Die Frage der optimalen Pulsdauer für die Materialbearbeitung ist noch nicht abschließend geklärt. Klar zu sein scheint, dass sie unterhalb der Relaxationszeit der zu bearbeitenden Werkstoffe liegen muss, um die thermische Beeinflussung zu minimieren. Diese Zeitspanne, die vergeht, bis absorbierte Energie von den Elektronen an das Gitter eines Werkstoffes übertragen wird, liegt für die meisten Werkstoffe unterhalb von 10 Picosekunden.

Um für unterschiedliche Anwendungsfälle Lösungen anbieten zu können, hat Rofin sowohl Pico- als auch Femtosekundenlaser in sein Produktportfolio aufgenommen. Neben einigen wenigen Ausnahmen, bei denen Ultrakurzpulslaser mit sehr hohen Repetitionsraten beispielsweise zum Verbinden von Glas eingesetzt werden, besteht die überwiegende Anzahl der Anwendungen in abtragender Materialbearbeitung.
Dabei kann man prinzipiell Prozesse zum Oberflächenabtrag, zur Modifikation im Volumen und zum vollständigen Schneiden von Bauteilen unterscheiden. Die Vorteile, die man sich vom Einsatz dieser ultrakurzen Laserpulse verspricht, liegen in einer Bearbeitung ohne signifikante Wärmeeinflusszonen und Schmelzeanhaftungen. Dadurch soll ein möglichst nachbearbeitungsfreier Materialabtrag realisiert werden.
Ein Beispiel dafür ist die Herstellung von medizintechnischen Implantaten (Koronar-stents) aus rohrförmigem Halbzeug. Hier wird seit vielen Jahren das Laserschmelzschneiden mit μs-Pulsdauern von lampen-gepumpten Nd:YAG- oder Faserlasern verwendet. Das Entfernen des auf der Rohr- innenseite entstehenden Grates ist bei Stählen oder CoCr-Materialien in einem einfachen Verfahren mittels Ultraschall möglich. Wesentlich aufwendiger ist die Gratentfernung bei Implantaten aus Nickel-Titan-Formgedächtnislegierungen, die hier überwiegend durch manuelle mechanische Nacharbeit erfolgt und zum Teil mit hohen Ausschussraten verbunden ist. Bei filigraneren Implantaten, beispielsweise für neurologische Anwendungen mit Wanddicken von gerade noch 50 μm, ist eine mechanische Nachbearbeitung generell nicht mehr möglich. Hier kann nur noch durch die Verwendung von Ultrakurzpulslasern versucht werden, Gratbildung und Wärmeeinflusszone nahezu vollständig zu vermeiden.
Noch deutlicher wird der Ruf nach Ultrakurzpulslasern, wenn man die nächste Generation dieser medizinischen Implantate betrachtet. Nahezu jede Forschungsabteilung großer Medizintechnikfirmen arbeitet an der Entwicklung bioresorbierbarer Materialien, die sich nach der Implantation im menschlichen Körper sukzessive auflösen sollen, um somit das Risiko eines Zuwachsens (Stenose) zu verhindern.
Derzeit am heißesten diskutierte Werkstoffe sind Kunststoffe aus der Familie der Milch-Glycol-Säure, beispielsweise PLGA. Da die Implantate, wie Stents, auch hier mit möglichst geringer Materialveränderung in Form geschnitten werden müssen, bietet die klassische Lasertechnik, bestehend aus CO2- oder Festkörperlasern mit Pulsdauern im μs- oder ns-Bereich, nicht den Hauch einer Chance auf Erfolg. Tests mit unterschiedlichen Pulsdauern der Ultrakurzpulslaser an Universitäten und Forschungseinrichtungen haben gezeigt, dass ebenfalls Pulsdauern im ein- bis zweistelligen Picosekundenbereich schon zu intolerablen Veränderungen der Polymerstruktur im Schnittbereich führen.
Im Rahmen der Messe Laser World of Photonics Ende Mai in München wird das Thema Ultrakurzpulslaser innerhalb des eigenen Ausstellungsbereichs „Laser und Lasersysteme für die Fertigung“ eine besonders zukunftsweisende Rolle spielen. Nach Aussagen der Veranstalter geht der aktuelle Technologietrend bei Femtosekundenlasern hin zur weiteren Optimierung der Systeme. Darüber hinaus arbeite die Industrie an der Implementierung der neuen Technologie in die Produktionsketten: Die Leistungsmerkmale der neuen Laser werden für verschiedene Materialien erprobt und definiert, um die optimale Leistung für festgelegte Aufgaben zu ermitteln. Damit schaffen die Hersteller jetzt die industriellen Standards, die den Femtosekundenlasern in Zukunft den Weg in die Fertigungsbetriebe weiter erleichtern sollen.
Die Verbreitung ultrakurzgepulster Laser in industriellen Anwendungen wird kontinuierlich ansteigen, da bei Instituten und Firmen immer mehr Wissen zu den spezifischen Charakteristika des Materialabtrags angesammelt wird. Über größere Stückzahlen dieser Laser werden ebenfalls die Investitionskosten sinken, wodurch dann auch die Umsetzung von Applikationen mit geringerem Leidensdruck wirtschaftlich sinnvoll realisiert werden kann. Der Vorteil in der Bearbeitungsqualität gegenüber konventionellen Lasern ist offensichtlich und wird zunehmend mehr Anwender von dieser Technologie überzeugen.
Dr.-Ing. Roland Mayerhofer Leiter Innovations-Management bei Rofin/Baasel Lasertech, Starnberg

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