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„Zahl der Anwendungen steigt“

Technische Kunststoffe: Bildgebende Verfahren fördern Einsatz
„Zahl der Anwendungen steigt“

Technische Kunststoffe lassen sich nach Wunsch färben, sind wahlweise auf Röntgenbildern sichtbar oder nicht und ertragen selbst die mehrfache Sterilisation klaglos. Ensinger will zudem mit Komposit-Werkstoffen die Festigkeiten nach oben treiben, erläutern Nina Finkbeiner und Rainer Gottschalk.

Frau Finkbeiner, Herr Gottschalk, wird der Einsatz von Kunststoffen in der Medizintechnik künftig zunehmen?

Rainer Gottschalk: Kunststoffe spielen nicht nur als medizinische Einwegartikel eine wichtige Rolle – Polymere dringen auch immer stärker in die klassische Domäne der Metalle ein. Mehrfach verwendbare Artikel machen im EU-Medizintechnikmarkt rund 40 Prozent des Verbrauchs an Kunststoffen aus. Und ihr Einsatz wird weiter zunehmen. Betrachtet man etwa den Griff eines Endoskops, lässt sich mit Kunststoff das Gewicht deutlich reduzieren, das Gerät damit einfacher handhaben. Außerdem ist die Haptik angenehmer. Zusätzlich muss der Werkstoff natürlich beständig gegen Reinigungs- und Desinfektionsmittel sein und auch gängigen Sterilisationsverfahren – etwa mit Heißdampf, Ethylenoxid, Heißluft oder Gammastrahlen – standhalten. Dabei darf er sich weder verziehen noch Festigkeit einbüßen. Wir entwickeln und fertigen deshalb Halbzeuge, Profile und Bauteile aus Thermoplasten unserer MT-Reihe, die speziell den besonderen Anforderungen in der Medizintechnik gerecht werden, auch hinsichtlich FDA-Konformität beziehungsweise Biokompatibilität.
Nina Finkbeiner: Dazu kommt, dass wir Werkstoffe dank eigener Compoundierung nach Kundenwunsch modifizieren können. Ein wichtiger Punkt hierbei ist die Farbe. Probe-Implantaten wird etwa abhängig von der Größe eine bestimmte Farbe zugeordnet, so dass der Operateur verwechslungssicher direkt zum passenden Langzeitimplantat greift. Auch hier gilt: Trotz chemischer Reinigungsmittel und mehrerer tausend Sterilisationszyklen darf die Farbe nicht verloren gehen und die Probeimplantate müssen maßhaltig bleiben. Weitere Modifikationen ermöglichen eine höhere Festigkeit dank Faserverstärkung, die Sichtbarkeit auf Röntgenbildern oder antimikrobielle Eigenschaften.
Welche Trends sind im Markt erkennbar?
Rainer Gottschalk: Da Kunststoffe vor allem hinsichtlich des Gewichts ein hohes Einsparpotenzial bieten, geht es vor allem um eine höhere Festigkeit. Mit extrudierten Halbzeugen, bei denen wir kurze Kohlenstofffasern zugeben, um die Festigkeit zu steigern, stoßen wir hier aber an Grenzen. Eine Lösung sind Komposit-Werkstoffe auf thermoplastischer Basis, bei denen wir auch Gewebeeinlagen einsetzen können. Über den Daumen gepeilt lässt sich sagen, dass etwa bei PEEK das Zugeben von Kurzfasern rund 50 Prozent mehr Zugfestigkeit liefert. Mit dem entsprechenden Komposit-Werkstoff können wir das noch einmal um den Faktor vier steigern. Hinzu kommt, dass das Material mit Kurzfasern anisotrop ist. Denn bei der Extrusion werden die Fasern nahezu alle gleich ausgerichtet, die höhere Festigkeit ist also nur in Faserrichtung gegeben. Auch hier bieten ganze Gewebelagen aus Kohlenstofffasern einen Vorteil, da sie die Richtungsabhängigkeit reduzieren.
Nina Finkbeiner: In der Medizintechnik wird zunehmend mit bildgebenden Verfahren gearbeitet – auch deshalb rechnen wir mit einem höheren Wachstum bei Komposit-Materialien. Während Bauteile aus Metall die Bildqualität einschränken, also Störstellen verursachen, lassen sich mit Kunststoffen viele dieser Probleme lösen. Da aber hinsichtlich Festigkeit und Verzugsneigung Eigenschaften wie bei Metallen gefragt sind, können Komposit-Werkstoffe hier punkten.
Welcher Werkstoff eignet sich besonders, wenn er mehrere tausend Zyklen lang die Sterilisation aushalten muss?
Nina Finkbeiner: Quasi von Haus aus geeignet ist Tecapeek MT. Dieser PEEK-Werkstoff zeichnet sich nicht nur durch seine Resistenz gegenüber den üblichen Sterilisationsverfahren aus, sondern auch durch seine Chemikalienbeständigkeit. Gut ist auch die Strahlungsbeständigkeit. Spannungsrisse sind kein Problem, und Bauteile aus Tecapeek MT sind sehr dimensionsstabil. Darüber hinaus lässt sich das Material leicht zerspanen, und die tribologischen Eigenschaften sind hervorragend.
Wo liegt der Nachteil?
Nina Finkbeiner: Wer auf einen Teil der Eigenschaften verzichten kann, greift zu kostengünstigeren Werkstoffen. Lässt sich etwa eine Heißluftsterilisation bei 180 Grad Celsius von vornherein ausschließen, lassen sich Alternativen finden.
Welche Werkstoffe mit besonderen Eigenschaften liefern Sie neben PEEK und künftig den Komposit-Werkstoffen?
Rainer Gottschalk: Zu nennen sind hier unsere röntgenopaken XRO-Werkstoffe, das heißt Bauteile aus diesen Materialien sind im Röntgenbild klar zu erkennen – wichtig vor allem für die bildgesteuerte Chirurgie. Ein spezielles Kontrastmittel zeigt Instrumente oder Testimplantate sehr genau. Teilweise wird diese Eigenschaft auch bewusst gefordert, um eine abschließende Qualitätskontrolle zu ermöglichen – sprich zu sehen, ob das richtige Implantat verwendet wurde. Eine weitere Werkstoffgruppe sind die SAN-Materialien. Eine kontinuierliche Freisetzung von Silber-Ionen an der Oberfläche der Kunststoffbauteile sorgt dabei für eine antimikrobielle Wirkung.
Nina Finkbeiner: Interessant ist auch noch unser Tecapeek Classix. Während die medizinischen Werkstoffe normalerweise bis zu 24 Stunden lang mit Blut und Gewebe in Kontakt kommen dürfen, sind dies bei diesem Material im Standardfall 30 Tage. Ein hochreiner Grundwerkstoff, der chargenweise geprüft wird, macht dies möglich. Eine Anwendung sind etwa die Einheilkappen als Kurzzeitimplantate in der Dentaltechnik. Dann lässt sich zudem der Einsatzzeitraum von Tecapeek Classix von 30 auf 180 Tage verlängern – allerdings müssen solche kundenspezifischen Anwendungen vorab geklärt werden.
Hier dürfte auch das Thema Rückverfolgbarkeit eine Rolle spielen?
Nina Finkbeiner: Zum Zweck der lückenlosen Rückverfolgung stellen wir eine Bescheinigung über FDA-Konformität und Biokompatibilität immer in direkter Verbindung zu einem Auftrag aus – über die Rechnungsnummer können wir auf diese Weise den Werdegang bis zur Rohwaren-Chargennummer rückverfolgen.
Michael Corban Fachjournalist in Nufringen

Zum Unternehmen
Die Ensinger-Gruppe beschäftigt sich mit der Entwicklung, Fertigung und dem Vertrieb von Halbzeugen, Profilen und technischen Teilen aus Konstruktions- und Hochleistungskunststoffen. An 24 Standorten arbeiten insgesamt 1800 Mitarbeiter für das Unternehmen mit Sitz in Nufringen. Ensinger bedient sich einer Vielzahl von Herstellungsverfahren, vor allem der Extrusion sowie der mechanischen Bearbeitung (Zerspanung) und des Spritzgießens. Speziell für die Medizintechnik bietet das Unternehmen eine Reihe von Thermoplasten an, die die hohen Standards in der medizinischen Diagnostik und Therapie erfüllen – die sich also wiederholt desinfizieren und sterilisieren lassen. Bauteile und Materialien der Nufringer finden sich unter anderem in Kernspin- und Röntgencomputertomographen sowie in der minimalinvasiven Chirurgie und Dentaltechnik.

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