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Superstabiler Biege-Künstler

Werkstoff Nitinol: Neue Möglichkeiten für die minimal-invasive Chirurgie
Superstabiler Biege-Künstler

Neue Ideen und innovative Lösungen, die auf der Formgedächtnis-Legierung Nitinol basieren, finden den Weg in die medizinische Anwendung. Spezialisten wie Endosmart zeigen, wie der Werkstoff die Funktionalität und Lebensdauer vieler Instrumente, Komponenten und Implantate verbessert.

In der Medizintechnik, insbesondere im Bereich der minimal-invasiven Chirurgie, finden immer mehr Instrumente, Komponenten und Implantate Anwendung, die auf der Formgedächtnis-Legierung Nitinol basieren. Je nachdem, wie der Werkstoff temperaturmäßig behandelt wird, kommen dabei entweder seine Formgedächtnis- oder seine superelastischen Eigenschaften zum Tragen. Der Formgedächtnis-Effekt lässt sich beispielsweise bei chirurgischen Spateln nutzen. Die Spatel, die in der Regel vom Operateur dem Gewebe angepasst und damit verbogen werden, nehmen nach der operativen Anwendung, bei der Sterilisation, wieder den ihnen eingeprägten geraden Zustand an.

Diese Eigenschaft strahlt zwar eine gewisse Faszination aus und kann ad hoc bei Marketing-Präsentationen sogar für Verblüffung sorgen – für die Medizintechnik ist jedoch der superelastische Effekt wesentlich bedeutsamer. Die extreme Flexibilität des biokompatiblen Werkstoffs Nitinol bei gleichzeitig stark ausgeprägter Materialstabilität erlauben kreative Lösungen für die endoskopische Arbeit. Mit anderen Materialien wie Edelstahl oder Titan können sowohl Instrumente- wie auch Implantat-Entwickler leichter bis zu den Grenzen des Machbaren vorstoßen.
Dr. Cornelia Gretz, geschäftsführende Gesellschafterin des Nitinol-Spezialisten Endosmart in Stutensee bei Karlsruhe, ist davon überzeugt, dass die Nutzung dieses Werkstoffs in Zukunft zunehmen wird. „Die Möglichkeiten von Nitinol in der Medizintechnik sind noch lange nicht ausgeschöpft.“ Die Superelastizität dieses Werkstoffs – der Nitinol-Experte Dieter Stöckel spricht in diesem Zusammenhang auch von „mechanischem Formgedächtnis“ – zeigt sich eindrucksvoll bei den aus diesem Material gefertigten filigranen, spitzenlosen Steinfangkörbchen. Diese werden zum Beispiel in der Urologie zur endoskopischen Entfernung von Nierensteinen eingesetzt.
Hintergrund ist, dass die hohe Präzision endoskopischer Eingriffe nur mit entsprechend feinen Instrumenten sichergestellt und weiter verbessert werden kann. So können Steinfangkörbchen aus Nitinol mit einem spitzenlosen Endeffektor auch Konkremente entfernen, die zum Beispiel in schwierig erreichbaren Nierenkelchen liegen. Zugleich wird die Gefahr einer Verletzung des Gewebes minimiert – im Gegensatz zu alternativen Operationsmethoden, die in der Konsequenz zu längeren Liegezeiten im Krankenhaus führen. Erreicht wird der spitzenlose Zustand durch eine minimalistische Verbindung der Nitinol-Drahtschlaufen, aus denen die Körbchen gefertigt sind.
„Für minimal-invasive Anwendungen ist es zudem ein großer Vorteil, dass die Steinfangkörbchen selbst bei einer 260°-Biegung problemlos aus dem Kathederschlauch hinausgeschoben und wieder eingezogen werden können“, so Cornelia Gretz. Die Festigkeit der Nitinol-Drahtschlaufen bleibt davon unberührt.
Im Vergleich zu Federstahl, der für die Entfernung von Steinen in den etwas robusteren Harnleitern in Frage kommt, ist der elastische Effekt des Werkstoffs Nitinol deutlich stärker. „Nitinol ist circa 10-mal flexibler“, betont Cornelia Gretz. Deshalb ist man für die Entfernung von Nierensteinen auf Nitinol-Instrumente angewiesen. Die superelastischen Qualitäten des Werkstoffs Nitinol zeigen sich auch bei abwinkelbaren chirurgischen Instrumenten. Entsprechend vorgebogene Nitinol-Röhrchen kommen schon seit Jahren in der Augenchirurgie zum Einsatz.
Dabei ermöglicht die Superelastizität, dass die Röhrchen über feine, gerade Zugangswege problemlos, etwa trokarbasiert, an den Situs eingeführt und dann per Daumen-Schiebemechanismus auf kleinstem Raum abgewinkelt werden können. In diesen filigranen Röhrchen (Außendurchmesser 0,38 mm – noch kleinere Durchmesser sind ebenso möglich) wird eine Laserfaser geführt. Die jeweilige Behandlung kann deshalb erheblich gewebeschonender durchgeführt werden als mit geraden Instrumenten.
Darüber hinaus eignen sich die Röhrchen auch für Anwendungen mit Wasserstrahl- und Kryotechnik. Der Einsatz der abwinkelbaren Nitinol-Röhrchen in der Laparoskopie, Wirbelsäulenchirurgie und Urologie wird derzeit in vitro und in vivo getestet.
Zurzeit sind bei abwinkelbaren Instrumenten noch Systeme Standard, die aus vielen einzelnen Komponenten gefertigt werden (Viel-Gelenkstruktur). Die Hintereinander-Reihung einzelner, miteinander verbundener Gelenke erlaubt eine aktive Abwinkelung. „Die Nachteile dieser Technik sind“, erläutert Dr. Gretz von Endosmart, „dass die Gelenke auf Basis von Stiftverbindungen zusammengefügt werden, die zu viel Spiel haben, um eine exakt definierte Abwinkelung zu erreichen.“ Reduziere man ‚dieses Spiel‘, erhöhe sich die Reibung in einem Maße, die eine abwinkelbare Funktion unmöglich macht. Zudem sei die Fertigung dieser Instrumente mit deutlich höheren Kosten verbunden als bei einer Lösung, die nur aus einer Komponente besteht.
Dirk Syrbe Fachjournalist in Ladenburg

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