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Silikon aus dem 3D-Drucker

Generative Fertigung: Neues Verfahren und spezielles Material machen Silikon druckbar
Silikon aus dem 3D-Drucker

Ein Verfahren, mit dem sich auch Objekte aus Silikon im 3D-Druck fertigen lassen, hat der Münchner Chemiekonzern Wacker entwickelt. Ein Roboter setzt mit einer Düse winzige Tröpfchen nebeneinander ab. Anschließend wird das Silikon mit ultraviolettem Licht vulkanisiert.

42 Kilometer und 195 Meter: Die Marathondistanz fordert Maximilian Peter jedes Mal aufs Neue heraus. Neben der körperlichen Fitness ist die Ausrüstung wichtig, vor allem bestmöglich passende Laufschuhe. Und da hat der promovierte Chemieingenieur und Wacker-Mitarbeiter eine Vision: Stoßdämpfende Einlegesohlen, die an seine Füße individuell angepasst sind. „Leider gibt es so etwas noch nicht“, bedauert der Sportler, „aber wir sind damit gerade im Zieleinlauf“.

Die Lösung dafür hat er gemeinsam mit seinen Kollegen von Wacker Silicones und Fachleuten der Enders Ingenieure GmbH aus dem niederbayerischen Ergolding entwickelt: den dreidimensionalen Druck von Silikon – einen Durchbruch in diesem Technikbereich. „Elastomere, also gummiartige Substanzen, konnte man bisher nicht drucken. Es gab einfach kein geeignetes Verfahren dafür“, erläutert Dr. Bernd Pachaly, Leiter der Silikonforschung im Geschäftsbereich Wacker Silicones.
Formteile aus Silikon konnten bisher nur im kostspieligen Spritzgussverfahren gefertigt werden, was sich nur für größere Stückzahlen lohnt. Nicht aber für ein Paar Einlegesohlen. „Spritzguss ist das etablierte Verfahren für die Serienproduktion. Das wird auch so bleiben“, sagt Pachaly. „Aber diejenigen, die Prototypen entwerfen oder nur wenige Exemplare eines Bauteils produzieren wollen, können solche Kleinserien jetzt schnell und flexibel fertigen und dabei immer neuen Anforderungen anpassen. Darin besteht der eigentliche Mehrwert des Verfahrens.“
Damit schließt Silikon mit der neuen Technologie zu Materialien wie thermoplastisch verformbaren Kunststoffen, Metallen und Keramiken auf. Den Markt für die additive Fertigung schätzen Experten für das Jahr 2014 auf rund 3,8 Mrd. US-Dollar weltweit, mit einer rasanten Steigerungsrate von 30 % und mehr pro Jahr. Davon entfällt nicht einmal die Hälfte auf die Hardware, also Drucker und Materialien. Dienstleistungen wie Produktentwicklung und Kundenlösungen sind als Markt noch wichtiger.
In den USA haben Forscher und Unternehmer den Trend zur additiven Fertigung längst erkannt. 150 000 Drucker gibt es dort bereits – sogar Kinder experimentieren damit in Grundschulen. Deutschland ist da noch längst nicht so weit.
Für den 3D-Druck von Silikon mussten Wacker-Mitarbeiter und die Ingenieure bei Enders eine grundlegend neue Lösung austüfteln. Denn das Material schmilzt in der Hitze nicht, wie das thermoplastische Kunststoffe oder Metalle tun. Man kann es also nicht einfach Schicht für Schicht als Pulver auftragen und mit einem Laserstrahl verschmelzen. Die Experten haben schließlich in nur einem Jahr ein Verfahren entwickelt. „Eine sehr spannende und konstruktive Zeit“, wie Bernd Pachaly nicht ohne Stolz anmerkt.
Das Ergebnis ist ein Glaskasten, in dessen Werkraum ein mit einer Düse ausgerüsteter Roboter arbeitet. Zügig wird ein Tröpfchen Silikon nach dem anderen auf einer Unterlage abgesetzt, exakt dort, wo es die Computerdatei mit der Designsoftware vorgibt – genau wie beim Tintenstrahldruck auf Papier.
Für die Steuerung des Roboters konnten die Entwickler keine Lösung von der Stange verwenden: „Ein zentraler Entwicklungsschritt war die Erstellung eines maßgeschneiderten Programms“, berichtet Enders-Geschäftsführer Florian Ganz. Aus der Sicht von Bernd Pachaly hat sich der Aufwand gelohnt: „Das ist die erste wirklich benutzerfreundliche Software auf diesem Gebiet“, findet er.
Regelmäßig hält der Roboter kurz an, und ein UV-Lichtstrahl wandert über die winzigen Tropfen. Die sind zu einem schmalen Streifen zusammengeflossen. Nun wird das Silikon in weniger als 1 s im ultravioletten Licht vulkanisiert. Dabei vernetzen die Moleküle zu einer gummielastischen Substanz. Anschließend trägt der Roboter die nächste Lage aus Silikontröpfchen auf.
Dank der Vulkanisation entsteht ein homogener Körper, denn das zähflüssige Material verbindet sich gleich nach dem Auftragen auch mit den Schichten, die unmittelbar daneben oder darunter liegen. Beeindruckend rasch wächst aus dem Nichts das Bauteil. Nach einer guten Viertelstunde ist es rund 1 cm groß und einige Millimeter dick. Größere Objekte zu fertigen, dauert entsprechend länger. Langfristig wollen die Entwickler in einer Stunde rund 100 g Silikon ausdrucken – schnell genug für jede Anwendung.
Dabei ist die Präzision besonders eindrucksvoll. Denn der Roboter erzeugt extrem feine Strukturen: Der Silikonstreifen ist etwa 0,6 mm breit und nur halb so hoch. Das macht die Herstellung sehr genauer Konturen möglich und ergibt eine Oberfläche, die bei angenehmer Haptik nahezu eben ist. „Die Rauigkeit kann noch besser werden als 100 Mikrometer“, betont Pachaly. Das ist kaum mehr als Haaresbreite und deutlich glatter als bei gedruckten Kunststoffen.
Fast wie mit Spritzguss hergestellt sehen die Objekte aus – die additive Fertigung sieht man ihnen kaum an. Um das zu erreichen, musste Silikonentwickler Dr. Ernst Selbertinger eine Formulierung finden, die sich als winziges flüssiges Tröpfchen dosieren lässt und anschließend sofort an Ort und Stelle stehen bleibt. „Man kann sich das so vorstellen wie bei der Zahncreme: in der Tube unter Druck flüssig, wird sie auf der Zahnbürste wieder standfest“, erklärt der Chemiker. Mehr verrät er nicht über die Mischung – nur dass ein Platinkatalysator enthalten ist, der die Vernetzung der Moleküle im UV-Licht bewerkstelligt.
Kleinserien und Einzelstücke lassen sich mit dem 3D-Druck deutlich schneller fertigen als mit herkömmlichen Techniken. „Im Automobilsektor wird die aufwendige Lagerhaltung von Silikonteilen überflüssig werden“, davon ist Bernd Pachaly überzeugt. Auch die Medizin interessiert sich für das biokompatible Material. Etwa für Implantate, die sogar während einer Operation passend für den Patienten gefertigt werden könnten – nach den Daten, die bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie liefern. Auch individuell hergestellte Atemmasken und Hörgeräte aus Silikon sollen schon bald im 3D-Druck produziert werden. Und, was alle Brillenträger freuen wird: Nasenpolster, die wirklich passen. Die Vision dazu: Der Optiker braucht nur noch mit einem Laser die dreidimensionale Kontur der Nase zu erfassen und sie in einen 3D-Drucker einzulesen, der sofort das perfekt sitzende Pad herstellt. Weil Silikon wegen seiner Transparenz geschätzt wird, denken Forscher auch an optische Anwendungen wie maßgeschneidert gedruckte Linsen. Und nicht zuletzt an individuell gefertigte Einlegesohlen für Laufschuhe.
Florian Degenhart Wacker, München
Weitere Informationen Über den Konzern: www.wacker.com Auf der Messe Fakuma: Halle A6, Stand 6414 Über Enders Ingenieure: http://enders-ing.de

Systemlösung für gedrucktes Silikon
Bisher haben Wacker und Endres das Verfahren entwickelt und auch die geeigneten Silikone. Damit ist das Thema aber noch nicht erschöpfend behandelt. „Wir haben viele Ideen und wollen unseren Kunden mehr zur Verfügung stellen, als nur das Silikon für die additive Fertigung“, sagt Dr. Bernd Pachaly, Leiter der Silikonforschung. Das bedeutet: Wenn ein Unternehmen ein bestimmtes Produkt aus Silikon drucken möchte, muss es nicht erst mit großem Aufwand ein neues Verfahren entwickeln. Wacker wird sich in naher Zukunft um die Systemlösung kümmern, also um geeignete Maschinen und die passende Software – und damit neuartige Leistungen anbieten. „Bald wird es nicht mehr ausreichen, den Kunden Gebinde mit Chemikalien vor die Werkshalle zu stellen“, so die Einschätzung des Innovationsleiters. Wertschöpfung werde zukünftig vor allem durch kundenorientierte Gesamtlösungen möglich. Und dafür eigne sich der 3D-Druck von Silikon hervorragend.

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