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Pumpen ohne Blutkontakt

Simulationssoftware: Schwierige Bedingungen im virtuellen Test überwunden
Pumpen ohne Blutkontakt

Wer ein ganz neues Konzept für eine Herzpumpe entwickeln will, muss dafür ungewöhnliche Situationen und Belastungen simulieren. Das neuseeländische Unternehmen Sunshine Heart war hierbei mit einer speziellen Software erfolgreich.

Dr. William Peters ist Herz-Thorax-Chirurg und Forscher am Auckland City Hospital in Neuseeland – und überzeugt, dass er eine bessere Lösung für die Herzunterstützung hat als die Möglichkeiten, die heute verfügbar sind. „Ich habe mich schon immer sehr für Geräte zur Herzunterstützung interessiert“, erzählt Dr. Peters, der bereits ein wirtschaftlich erfolgreiches minimal-invasives Bypass-Systems erfunden hat. „Da die vorhandenen Möglichkeiten meiner Meinung nach nicht unproblematisch sind, habe ich nach einem Gerät gesucht, das hilft, ohne mit dem Blut in Kontakt zu kommen.“

Gängige implantierte Systeme, etwa Linksherzunterstützungssysteme (LVAD), kommen um den Kontakt mit dem Blut nicht herum. Auch wenn sie Patienten, die auf eine Transplantation warten, das Weiterleben ermöglichen, sind diese auf blutverdünnende Mittel angewiesen, um Blutgerinnsel zu verhindern. Deren Nachteil: Sie erhöhen das Risiko für Schlaganfälle. Bei einigen Geräten zur Herzunterstützung gab es zudem Probleme mit der Zuverlässigkeit.
Vor diesem Hintergrund erdachte Dr. Peters ein neuartiges Pumpensystem, das zwar im Körper, aber außerhalb des Blutkreislaufs arbeitet – das C-Pulse. Es besteht aus einer Manschette um die Aorta, die Hauptschlagader, die sauerstoffreiches Blut vom Herzen in den Körper leitet. Mit einer ballonförmigen Membran kann die Manschette durch Aufpumpen und Luftablassen wechselnden Druck auf die Außenseite des Gefäßes ausüben. Das lässt die Aorta im gleichen Rhythmus wie das Herz pulsieren und verstärkt so den Blutfluss durch den Körper. Für das Herz bedeutet das weniger Arbeit und eine geringere Belastung. Das Gerät wird durch eine batteriebetriebene Pumpe außerhalb des Körpers angetrieben.
Seine Idee ließ sich der neuseeländische Arzt patentieren und gründete zur Entwicklung und Erprobung des Gerätes das Unternehmen Sunshine Heart. Nachdem erste Tests im Labor und an Tieren erfolgreich verliefen und es sinnvoll erschien, den Ballon auf menschliche Verhältnisse zu übertragen, sollte eine anspruchsvollere Herangehensweise an Entwurf und Entwicklung eingesetzt werden. Sie sollte das empirische Ausprobieren, mit dem man bisher gearbeitet hatte, ersetzen. Hierbei ging es nicht nur um eine kürzere Entwicklungszeit, sondern auch um die Gewissheit, dass das Produkt den ärztlichen Anforderungen langfristig genügen würde.
„Bei einer menschlichen Herzfrequenz von 80 Schlägen pro Minute kommen wir auf 42 Millionen Kontraktionen im Jahr“, erläutert Scott Miller, Leiter der mechanischen Konstruktion bei Sunshine Heart. Die besondere Herausforderung bei der Konstruktion lag also in der Dauerbelastung, die besonders auf die verwendeten Polymere zukommen würde. Schließlich sei C-Pulse „im Grunde genommen ein Dauerimplantat“. Um zu gewährleisten, dass der Entwurf auf die angestrebte ermüdungsfreie und dauerhafte Haltbarkeit ausgelegt sein würde, beschlossen die Neuseeländer, die Sache mit der Finite-Elemente-Methode zu arbeiten.
Miller und sein Entwicklungsteam nutzten dafür technische Software der Matrix Applied Computing Ltd. Um das Verhalten der C-Pulse-Manschette und des Ballons im Zusammenspiel mit der Aorta zu simulieren, führte Matrix die Lösung Abaqus/Standard von Simulia ein, eine Lösung für wirklichkeitsgetreue Simulationen des französischen Anbieters Dassault Systèmes.
„Die FEM-Analyse erstreckte sich über mehrere Durchläufe und erforderte aufgrund der Arbeitsweise des Geräts, der Materialien und des späteren Implantierens einige höchst individuelle Ansätze“, berichtet Miller. So muss sich der Ballon während des Eingriffs zur Implantation gut handhaben lassen, der Form der Aorta anpassen und stark und flexibel genug sein, um immer wieder von konkav zu konvex umzuschlagen. Gleichzeitig muss er die Arterie zusammendrücken können und über viele Jahre zuverlässig funktionieren – das alles auf sehr beengtem Raum.
Ziel der FEM-Modellierung war es, das tatsächliche Verhalten des späteren Geräts abzubilden, um die richtigen Konstruktionsentscheidungen zu treffen und die Leistung des C-Pulse zu optimieren. Dabei nutzen die Software-Experten von Matrix konkave und konvexe Pro/E-Modelle des Geräts als Ausgangspunkt der FEM-Analyse. Die Modelle stellte Sunshine Heart bereit. Don Campbell, leitender Technikanalyst bei Matrix, sagt über die Herausforderungen: „Bei unserer Analyse mussten hyperelastisches Material, eine Gewebemembran, vereinfachtes biologisches Gewebe für die Aorta, Kontakt, große Dehnung und ein mehrphasiges Implantieren modelliert werden.“
Zunächst erstellte Matrix eine Reihe von Versuchsmodellen. Sie sollten zeigen, welche Art von Elementen – also geometrische Formen, die Einzelteile eines FEM-Gitters mathematisch darstellen – zum Modellieren verwendet werden sollten. Viereckige Schalenelemente waren demnach am besten geeignet für den Großteil der parametrischen Entwurfsstudien. So wurde beispielsweise die so wichtige optimale Dicke des Ballons ermittelt.
Um die Oberflächendehnung, die im Bereich des Kehlenradius auf den Ballon wirkt, zu ermitteln, entschied man sich für sechsflächige Solid-Volumenelemente. Mit Substrukturverfahren sollten so aus den Ergebnissen des Schalenmodells präzisere Ergebnisse für die Analyse der Solid-Elemente erzielt werden. Die Untersuchungen zum Kehlenradius des Ballons waren den Entwicklern besonders wichtig, denn gerade in diesem Bereich waren bei den allerersten Entwürfen Fehler aufgetreten.
Beim Modellieren verschiedener Materialien mussten die Entwickler Einschränkungen beachten, die sich aus Physiologie- und Anatomiestudien ergaben. Das in Abaqus eingesetzte Ogden-Modell für hyperelastische Materialien wie Polymere oder biologische Materialien passte laut Campbell sehr gut.
Nachdem die FEM-Modelle für den C-Pulse feststanden, führte Matrix weitere Simulationen zur Form des Ballons beim Einsetzen in den Körper durch. Wie sich herausstellte, konnte die Dehnung am wirkungsvollsten minimiert werden, indem man mit einer konvexen Konfiguration begann. Anschließend wurde das Umschlagen des Ballons von konvexer zu konkaver Form und zurück simuliert. „Die Komplexität dieser Analyse war nicht so sehr durch Geometrie oder Größe bedingt, sondern vielmehr durch die Simulation des fortlaufenden Wechselprozesses“, erinnert sich Campbell. Die Dehnung, die auf den Ballon wirkte, lag durch das Umschlagen abwechselnd an der äußeren und der inneren Oberfläche des Materials an.
Da Matrix von einer symmetrischen Geometrie des Medizinprodukts ausging und die Simulationen so mit Viertelmodellen anstelle von ganzen Modellen durchführen konnte, verkürzte sich die Rechenzeit. „Dem Viertelmodell lagen einige Näherungen zugrunde, da die Aorta nicht ganz gerade, sondern gekrümmt ist“, sagt Campbell. Die Experten gingen aber davon aus, dass sich das nur minimal auf die Entwurfsparameter auswirkt. So ließen sich viele parametrische Durchläufe in vertretbarer Zeit durchführen.
Das Ziel der FEM-Analyse war es, zu einer Geräteform zu kommen, die eine möglichst homogene Dehnungsamplitude bot und gleichzeitig einen maximalen durchschnittlichen Druck während eines Betriebszyklus. Die Bilanz von Campbell: „Das von uns entwickelte Modell hat in der Testumgebung schließlich sehr gute Ergebnisse erbracht.“
Sunshine-Heart-Konstruktionsleiter Miller bestätigt, dass bereits nach einem Entwicklungsdurchlauf der endgültige Entwurf vorlag, und auch später keine zusätzlichen FEM-Analysen erforderlich gewesen seien. Seine Abteilung konnte nachweisen, dass die entwickelte Lösung auch in unterschiedlichen Größen eingesetzt werden kann, so dass das Gerät einzelnen Patienten maßgeschneidert angepasst werden kann. Auch für die Haltbarkeit gebe es Beweise genug. „Wir haben diese Geräte jetzt seit Jahren buchstäblich Tag und Nacht in Betrieb – und was regelmäßig gewartet werden muss, ist die Testmaschine, denn der C-Pulse überanstrengt sie einfach.“
Inzwischen hat die US-Gesundheitsbehörde FDA die von Miller in den USA durchgeführte IDE-Machbarkeitsstudie für den C-Pulse genehmigt. Zudem wurde die Einstufung als von US-Krankenkassen erstattungsfähiges Gerät der Kategorie B bestätigt. „In Kürze können wir somit die weltweit erste von der FDA zugelassene Studie für die Herzunterstützung in chronischen Fällen mittelschwerer Herzinsuffizienz starten“, freut sich Scott Miller.
Lynn Manning Fachjournalistin im US-amerikanischen Providence/Rhode Island
Weitere Informationen Zum Pumpenhersteller: www.sunshineheart.com Zur Simulationssoftware: www.3ds.com

Wenn das Herz schwächelt
Herzinsuffizienz ist eine fortschreitende, kräftezehrende Erkrankung, bei der das Herz nicht in der Lage ist, ausreichend Blut durch den Körper des Patienten zu pumpen. Allein in den USA leiden derzeit rund fünf Millionen Menschen an Herzinsuffizienz, und jedes Jahr kommen 500 000 neue Fälle hinzu. Mögliche Ursachen sind Erkrankungen der Herzkranzgefäße, ein Herzinfarkt oder hoher Blutdruck sowie Diabetes, eine Herzmuskelentzündung, Erkrankungen der Lunge oder der Herzklappen. Zu den Symptomen, die lebensbedrohliche Ausmaße annehmen können, zählen Atemnot, Wasseransammlungen in den Gliedmaßen, Gewichtszunahme, Energielosigkeit und mangelnde Ausdauer.
Um eine Herzinsuffizienz zu behandeln, steht heute eine große Bandbreite von Therapien zur Verfügung. Sie reichen vom Einsatz von Medikamenten über Defibrillatoren (ICD) bis hin zu implantierten Herzpumpen oder einer Herztransplantation als letzter Möglichkeit. Nicht jede Behandlung ist jedoch für alle Patienten geeignet, und implantierte Pumpen können Nebenwirkungen durch den Kontakt mit dem Blut und mechanische Probleme mit sich bringen, wenn sie nicht ausreichend zuverlässig arbeiten.

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