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Katheter nur noch ein Mal pro Monat

Abbaubares Implantat: Medikamentendepot in der Blase senkt Nebenwirkungen
Katheter nur noch ein Mal pro Monat

Resorbierbare Implantate sollen eine neue Therapieform für Blasenkranke ermöglichen: Katheter bringen mit ihnen den Wirkstoff ins Organ. Das Implantat löst sich dort von selbst auf – was unangenehme Behandlungen erspart.

Einen neuen Weg zur Therapie der überaktiven Blase beschreiten Forscher aus drei Instituten in einem gemeinsamen Projekt: Sie entwickeln ein resorbierbares Implantat für den Einsatz in der Harnblase, das vier Wochen im Organ verbleibt, dabei Medikamente freisetzt und sich von selbst auflöst.

Dieser Ansatz ist eine Alternative zu bisherigen Therapieformen, die aus verschiedenen Gründen Nachteile mit sich bringen: Die orale Einnahme der Medikamente ist mit zahlreichen Nebenwirkungen verbunden. Die andererseits praktizierte Lösung, das Medikament mit Hilfe von Kathetern in die Blase zu bringen, bedeutete für den Patienten tägliches Katheterisieren – im ungünstigen Fall können sogar mehrere Behandlungen an einem Tag erforderlich sein, um so den in Kochsalzlösung gelösten Wirkstoff zu verabreichen. Dieses Verfahren senkt zwar die Nebenwirkungen, ist für viele Patienten aber dennoch nicht akzeptabel.
Durch die angestrebte Freisetzung des Wirkstoffes über einen längeren Zeitraum, wie sie ein Drug Eluting System ermöglicht, würde die Anzahl urologischer Eingriffe abnehmen. Um zu so einem System aus einem resorbierbaren Trägermaterial und dem benötigten Wirkstoff zu kommen, mussten die Forscher Neuland betreten: Entsprechende Implantate für den Einsatz in der Harnblase sind bisher nicht kommerziell verfügbar. Daher haben sich Forschungsstellen aus dem medizinischen und kunststofftechnischen Bereich zusammengefunden, um diese interdisziplinäre Aufgabe anzugehen: das Institut für Kunststoffverarbeitung an der RWTH Aachen (IKV), der Lehrstuhl für Medizintechnik der TU München (MedTech) und die Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Aachen.
Für ihr intravesikales Implantat wählten sie das resorbierbare Material Resomer PEG Sample CR (Poly-D,L-lactid co-Glycolide-co-PEG), das die Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, Ingelheim am Rhein, herstellt. Das Design für das Implantat entwickelten IKV-Mitarbeiter.
Es besteht aus mehreren, flexibel miteinander verbundenen kugelförmigen Implantatkörpern, die über die Harnröhre eingeführt und in der Harnblase platziert werden. Da das Implantat mit einem Expansionsmechanismus ausgestattet ist, kann es seine Größe verändern, so dass es in der Harnblase verbleibt. Der Grundkörper des Implantats kann aus mehreren Schichten bestehen, die je nach Bedarf mit Wirkstoff beladen sind oder nicht.
Die Implantatgrundkörper stellen die IKV-Mitarbeiter im CESP-Verfahren her, dem Controlled Expansion of Saturated Polymers. Damit lässt sich ein Kunststoff schon bei niedrigen Temperaturen zu einem geschäumten Bauteil verarbeiten. Die mikrozelluläre Schaumstruktur ermöglicht es, dass das resorbierbare Polymer an seiner Oberfläche vom Körper abgebaut wird. Eine Degradation im Bulk kann damit ausgeschlossen werden.
An der Klinik für Urologie des Univeristätsklinkums Aachen wurde unter anderem untersucht, wie der im CESP-Verfahren hergestellte Implantatkörper den anticholinergen Wirkstoff Trospiumchlorid (TrCl) freisetzt. Hierbei wurden sowohl einschichtige als auch zweischichtige Körper untersucht. Bei den zweischichtigen war der Kern mit Wirkstoff beladen und der Mantel frei von Wirkstoff. In Experimenten mit Kunsturin zeigte sich, dass die Ummantelung der Träger die Freisetzung deutlich verzögert – was als erwünscht anzusehen ist, da die Freisetzung sonst innerhalb weniger Stunden bereits abgeschlossen wäre.
In einem physiologischen Harnblasenmodell wurde untersucht, welchen Effekt so ein ummantelter Wirkstoffträger auf die ganze Schweineblase im Organbad hat. Hier gingen die Mediziner der Frage nach, ob er die induzierbare Kontraktion des Muskels, der zur Harnentleerung führt, beeinflusst. Das Hinzugeben des Trägers dämpfte die Kontraktion deutlich, wobei der Eintritt dieser Wirkung leicht verzögert war. Die Versuche belegen aber die prinzipielle Funktionalität des Drug-Delivery-Ansatzes.
Am Münchener Lehrstuhl für Medizintechnik wurde eine wirkstoffbeladene Trägermatrix aus Nanofasern entwickelt. Die Herstellung der Fasern sowie die gleichzeitige Inkorporation des Wirkstoffs erfolgt über das Electrospinning. Dieses ermöglicht es, polymere Nanofaserstrukturen durch elektrostatische Kräfte, ohne thermische oder mechanische Belastungen, zu generieren. In Kunsturin setzen zweischichtige, elektrogesponnene Körper den Wirkstoff ähnlich schnell frei wie die im CESP-Verfahren hergestellten Probekörper. Anschließend wurde in vitro untersucht, wie die Trägerstrukturen abgebaut werden: Die Degradationszeiten der elektrogesponnenen Körper sind mit 33 Tagen kürzer sind als die der im CESP-Verfahren geschäumten Körper, die erst nach 39 Tagen abgebaut waren.
Der beschriebene Ansatz ist demnach ein viel versprechender Weg, um die Nachteile bisheriger Therapien zu minimieren. In weiteren Versuchen soll nun das Profil der Wirkstofffreisetzung optimiert und in Tierversuchen überprüft werden. Eine neue Therapieform könnte den betroffenen Patienten in einigen Jahren angeboten werden.
Prof. Dr.-Ing. W. Michaeli, Dipl.-Ing. Ina Michaelis IKV, Aachen

Ihr Stichwort
  • Resorbierbare Prothese
  • Drug Eluting System
  • Gestaltung des Katheters
  • Werkstoffauswahl
  • Funktionsversuche

  • Die Krankheit
    Die überaktive Harnblase (overactive bladder syndrome, kurz OAB) ist vor allem durch zwei Symptome gekennzeichnet: den unangenehmen Drang zu häufigem Wasserlassen, bei dem jedoch nur geringe Mengen ausgeschieden werden, sowie plötzlichen und schwer unterdrückbaren Harndrang. Häufig tritt auch Dranginkontinenz, also Harndrang mit unfreiwilligem Harnverlust, auf. Auslöser ist oftmals eine Hyperaktivität des Detrusormuskels, dessen Kontraktion zur Harnentleerung führt.
    Behandelt wird die Krankheit vor allem durch anticholinerge Medikamente, die Rezeptoren im menschlichen Körper blockieren und den Reiz des Harndrangs unterdrücken sollen. Nach oraler Einnahme gelangen die Wirkstoffe aber in den gesamten Organismus, blockieren auch andere Rezeptoren und führen zu Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Verdauungs- und Sehstörungen, Depressionen und Schwindelgefühl.
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