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Heiß, nass oder geschwollen?

Integrierte Sensorik: Wundauflagen überwachen das Geschehen
Heiß, nass oder geschwollen?

Elektrisch leitfähige Fasern in Wundauflagen ermöglichen es, den Zustand einer heilenden (akuten) Wunde zu ermitteln. Regelmäßige Verbandwechsel zusammen mit einer visuellen Inspektion könnten dann vielfach entfallen.

Ein Wundverband auf akuten Hautwunden, also zum Beispiel frischen Operationswunden oder ärztlich-chirurgisch versorgten Verletzungen, besteht zumeist aus einer Wundauflage, die aufgeklebt oder mit einer Binde fixiert wird. Er dient in vielfältiger Weise dem Schutz der Wunde. Übliche Wundauflagen bestehen meistens aus Baumwollfaser-Geweben (Mullkompressen) oder -Vliesen (mit integriertem Pflaster).

Die Aufgaben eines solchen Wundverbandes sind insbesondere
  • der mechanische Schutz der Wunde vor Einflüssen der Umgebung, also Berührungen (Stöße, Druck, Reiben oder ähnliches), die zum Aufreißen der Wunde oder zum Zerreißen des Nahtmaterials führen können,
  • der Erhalt einer möglichst keimarmen Wundumgebung, damit es nicht zu einer nachträglichen Entzündung des Gewebes um die Wunde kommt – Berührungen mit keimhaltigen Objekten, wie beispielsweise Kleidung, Erde und Insekten, gilt es daher zu vermeiden,
  • sowie die Aufnahme von Sickerblutungen und Wundsekreten (hygienischer Schutz der Kleidung und der Umgebung vor Verunreinigung).
Akute Wunden werden heute in regelmäßigen Abständen neu verbunden. Ein wichtiger Grund für den Verbandwechsel ist der Blick auf die Wunde: Die visuelle Kontrolle ist die einzige Möglichkeit, Störungen der regulären Heilung – wie Eröffnung der Wunde, Blutung oder Entzündung – frühzeitig zu entdecken und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Auch sollen Sekret oder Sickerblut, die sich im Verband befinden, entfernt werden, damit sie nicht für Bakterien und andere Keime zum „Paradies“ werden. Schließlich garantiert eine warme, feuchte Umgebung mit Nährstoffen im Überfluss deren Gedeihen.
Ließe sich der Zustand der Wunde von außen beurteilen, könnten viele Verbandwechsel entfallen. Dafür bräuchte man allerdings funktionale Wundauflagen: Sie müssten Störungen der Heilung zuverlässig detektieren, also zum Beispiel das Klaffen der Wunde anzeigen, Blutung oder Sekretentleerung nach außen, Rötung des Gewebes durch eine Entzündung oder eine Schwellung durch Blutung in das Gewebe wie auch eine Erwärmung der Haut durch eine Entzündung.
Genau das können elektrisch leitfähige Fasern leisten, die in geeigneter Weise in textile oder auch in nicht-textile Wundauflagen eingearbeitet sind. Deren elektrische Gleich- oder Wechselstromeigenschaften dienen dann als Kenngrößen, um den Zustand der Wunde zu ermitteln. Solche Wundauflagen sind weich und flexibel, haben die gleichen Abmessungen wie die gewohnten Produkte, und es können mehrere Messgrößen quasi gleichzeitig bestimmt werden. Der integrierte Messgrößenwandler ist sehr dünn und offen strukturiert, was für einen ungehinderten Sekret- und Blut-Durchlass wichtig ist.
Die Temperatur unter der Wundauflage ist bei diesem Ansatz ein Maß für die Temperatur in der Wundumgebung, die bei einer Infektion ansteigt. Der Feuchtegehalt in der Wundauflage, insbesondere unter der der Haut zugewandten Oberfläche, zeigt die aufgenommene Menge an Wundsekret oder Blut – zumindest solange dieses nicht eingetrocknet ist.
Mehr Aufwand erfordert die Detektion einer Gewebeschwellung, die zum Beispiel durch eine Blutung in das Gewebe verursacht werden kann. Dazu muss die Wundauflage mit einem Klebestreifen rund um die Wunde oder flächig fixiert werden, dann zeigt eine Dehnung der Wundauflage die Zunahme des Volumens darunter an.
Die elektrisch leitfähigen Fasern sind – je nach Ausgestaltung – entweder elektrisch isoliert oder auch nicht isoliert. Die Messgröße ist nur der ohmsche Widerstand, wenn die Temperatur erfasst werden soll, oder die Impedanz, wenn es um Temperatur, Feuchtigkeit und Dehnung geht.
Aus der Vielzahl möglicher elektrisch leitfähiger Faser-Strukturen muss man die optimale Lösung finden, die mit möglichst nur einer Faserstruktur sukzessive unterschiedliche Widerstandswerte (direkt oder indirekt) bestimmt. Die Struktur des Messwertewandlers hängt natürlich auch von den technisch gewünschten Eigenschaften des Gesamtsystems aus Wundauflage und Messeinheit ab.
Eine Möglichkeit ist eine einfache mäanderförmige Struktur von zwei parallel verlaufenden und elektrisch isolierten Fasern, mit der sich sowohl die Temperatur und Feuchtigkeit als auch die Dehnung bestimmen lässt. Dabei bilden die beiden parallel laufenden Fasern funktionell einen Kondensator, wenn die elektrischen Anschlüsse an zwei Punkten erfolgen und die beiden anderen Punkte im Textil ohne elektrisch leitfähige Kontaktierung enden. Das Dielektrikum wird überwiegend von den zwischen den leitfähigen Fasern befindlichen Stoffen wie Textil, Luft und Feuchtigkeit gebildet, wobei unter den Bedingungen auf einer Wunde vor allem eine Änderung der Feuchte durch Blut oder Wundsekret zu einer Änderung des Dielektrikums führt. Die Änderung der Kapazität des Kondensators und so des kapazitiven Blindwiderstandes ist die zu messende Größe.
Wenn die elektrischen Anschlüsse dagegen so gewählt sind, dass die dazwischen verlaufende mäandrierende Faser ein ebenes spulen-ähnliches Gebilde ist, beeinflusst die Geometrie die Verhältnisse: Wird der Mäander bei Dehnung beispielsweise gespreizt, ist die Induktivität verändert und somit der veränderte induktive Blindwiderstand messbar. Und der ohmsche Widerstand kann das Maß für die Temperatur in Drahtnähe sein, da der Widerstandswert unter anderem von der Temperatur abhängt.
Als stromleitende Fasern kommen zum Beispiel feine bis feinste Silberdrähte oder Silberdrahtgeflechte in Frage. Dass Silber antibakteriell wirksam ist, ist ein Vorteil dieses Materials. Sie können in die textilen Wundauflagen eingewebt, -geflochten, -gewirkt, -gestrickt oder -gepresst sein. Technisch einfacher ist es, sie auf ein Textil aufzusticken oder -nähen, so dass sie eine Schicht einer mehrschichtigen textilen Wundauflage bilden. Denkbar ist auch die Integration in nicht-textile Wundauflagen, wie beispielsweise in Schäume, Gele, Kolloide oder Lyophilisate.
Messungen und Anzeige können entweder kontinuierlich über eine an die Wundauflage angeschlossene Mikroelektronik erfolgen oder nur bei ärztlicher oder pflegerischer Visite mit einem vorzugsweise berührungslosen Lesegerät. Dieses erhält die Daten durch induktive Energie- und Signalübertragung. Zu denken ist im ersten Fall möglicherweise insbesondere an ambulante Patienten, die sich zu Hause aufhalten, im zweiten Fall insbesondere an stationär versorgte Patienten.
Obwohl das System teurer ist als herkömmliche einfache textile Wundauflagen, ergeben sich durch den verminderten Aufwand für das Personal Einsparungen. Eine industrielle Entwicklung und Verwertung dieser Idee steht noch aus.
Dr. Kai Zirk, Hamburg Dr. Harald Pötzschke, Bodenheim
Weitere Infomationen Das beschriebene Konzept für die Wundüberwachungssysteme haben der niedergelassene Arzt Dr. Harald Pötzschke aus Bodenheim und der Ingenieur Dr. Kai Zirk aus Hamburg entwickelt. E-Mail-Kontakt: zirk@ses-entwicklung.de oder poetzschke@web.de
Kontinuierlich messen oder nur bei der Visite ablesen

Ihr Stichwort
  • Textile oder nicht-textile Wundauflagen
  • Integrierte leitfähige Fasern
  • Zustandserfassung an der Wunde
  • Auswerteelektronik
  • Ambulanter und stationärer Einsatz
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