Herr Süberkrüb, ist die Zertifizierung nach 13485 ein Muss für einen Medizinproduktehersteller – und für seine Zulieferer?
Ganz klar: Nein. Die MDR legt nichts dergleichen fest, was mich ehrlich gesagt sogar überrascht hat. Aber natürlich schaut eine Benannte Stelle auf das Qualitätsmanagementsystem eines Medizinprodukteherstellers. Und natürlich schaut dieser Hersteller darauf, wie seine Zulieferer ihr Qualitätsmanagement gestalten. Aber nirgendwo steht geschrieben, dass es dafür eine Zertifizierung nach der EN ISO 13485:2016 geben muss.
Was spricht dennoch für ein Zertifikat gemäß dieser Norm?
Sich an der 13485 zu orientieren ist für alle Beteiligten sehr praktisch. Um die Norm zu verfassen, haben sich ja Fachleute eine Menge Gedanken gemacht. Sich ein eigenes QM-System zusammenzustellen, wäre viel aufwendiger, als sich nach den beschriebenen Vorgaben zu richten. Und auch für eine Benannte Stelle wäre der Aufwand, ein selbst entwickeltes System zu prüfen, viel zu hoch.
Welche Rolle spielt die 13485 bei Erbe Elektromedizin und für Sie als Einkäufer bei der Auswahl der Zulieferer?
Erbe Elektromedizin arbeitet mit einem QM-System, das gemäß der EN ISO 13485:2016 von der zuständigen Benannten Stelle zertifiziert ist. Auch die wichtigsten 15 unserer insgesamt rund 500 Zulieferer haben ihre entsprechenden Zertifikate. Diese 15 sind sehr stark in der Medizintechnik engagiert, so dass es für sie sinnvoll war, ihr QM-System auch entsprechend zu organisieren. Allerdings enthält unser QM-Handbuch keine Vorgabe, dass alle Zulieferer das Zertifikat haben müssen – denn dann müssten wir uns natürlich strikt daran halten und würden uns damit den Zugang zu neuen Technologien unter Umständen verbauen.
An welche wichtigen Technologien denken Sie da?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sehr interessante neue technische Ansätze in anderen Branchen geben kann, sei es in der Luft- und Raumfahrt, der Automobilindustrie oder in der Biotechnologie. Für Unternehmen, die in diesen Branchen tätig sind, ist die Medizintechnik unter Umständen nur ein Randgebiet – sie haben vielleicht ein gut funktionierendes QM-System, das aber nach einer anderen Norm oder noch gar nicht zertifiziert ist. Wenn uns also die Technik interessiert, schauen wir persönlich und an Ort und Stelle auf die Prozesse. Der Aufwand lohnt sich für uns, da wir, wie in der Branche üblich, an langfristigen Lieferantenbeziehungen interessiert sind. Meistens findet sich dann eine Lösung, wie wir auch ohne ein 13485-Zertifikat mit dem neuen Zulieferer zusammenarbeiten können. Wer allerdings nur eine tolle Technik, aber keine funktionierenden Prozesse hat, kommt für uns nicht in Frage.
Dann spielt das 13485-Zertifikat für den Einkauf keine Rolle?
Das stimmt nicht ganz. Wenn zwei Anbieter technologisch vergleichbar sind, würde ich mich als Einkäufer eher für das Unternehmen mit dem Zertifikat entscheiden – eben weil die Zusammenarbeit doch ein bisschen einfacher zu organisieren sein dürfte.
Wie stehen Benannte Stellen oder auch Zertifizierer zu dem Thema?
Für eine Benannte Stelle, die in Deutschland von der ZLG akkreditiert ist und sehr genau hinschauen muss, ist ein zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem auch beim Zulieferer eine Erleichterung. Dennoch wird von uns als Hersteller erwartet, dass wir uns nicht nur auf die Selbstauskunft unseres Zulieferers und dessen Zertifikat verlassen, sondern uns selbst ein Bild machen. Daher ist es ein Gerücht, dass ein Zulieferer, der das 13485-Zertifikat hat, auf weniger Aufwand mit Besuchen durch seinen Kunden aus der Medizintechnik hoffen darf.
Sie verlassen sich also nicht auf das Zertifikat?
Auch wir hatten schon mal überlegt, ob man sich nicht einfach auf solche Zertifikate stützen kann. Doch dann stellt sich die Frage, ob wir den Zertifizierer, der das Zertifikat für den Zulieferer ausgestellt hat, als unseren Dienstleister betrachten müssen– so wie jeden Übersetzer oder Kalibrierservice, den wir selbst beauftragen. Entsprechende Nachweise, dass so ein Dienstleister geeignet ist, möchte die Benannte Stelle dann sehen und ebenso die FDA. Der Prozess wird auf die Weise keinesfalls einfacher, weshalb dieser Weg nicht wirklich in Frage kommt.
Was empfehlen Sie für den Umgang zwischen Medizinproduktehersteller und Zulieferer?
Derzeit ist ein Zertifikat nach der EN ISO 13485 für Zulieferer, die neu in die Medizintechnik einsteigen wollen, sicher noch ein Türöffner. Mein Eindruck ist, dass im Moment viele Hersteller sehr auf das Zertifikat schauen und dabei die Bedeutung der Technologien vergessen. Das wird sich aber ändern. Wir sollten lieber mehr darauf achten, wo ein Zulieferer mit seinem Know-how punkten kann. Das produktspezifische Risiko-Management muss der Hersteller – Zertifikat hin oder her – ohnehin komplett erstellen. Und auch da sollten wir nach einem vernünftigen Gleichgewicht streben: Nicht zu wenig Risiken betrachten, aber auch nicht, um es überspitzt zu formulieren, auf Erdöl verzichten wollen, da dessen Entstehungsprozess nicht validiert war.