Für Arzneimittel und Medizinprodukte ist das Prozedere der Zulassung in Richtlinien und Verordnungen geregelt. Was zu beachten ist, wenn beide Elemente in einem Produkt kombiniert sind, erläutert Prof. Sabine Kloth im Interview.
Frau Prof. Kloth, wie gut ist die Gesundheitsbranche auf neue Entwicklungen wie zum Beispiel Kombinationen aus zellbasierten Wirkstoffen und Medizinprodukten vorbereitet?
Die Zahl der innovativen und komplexen Produkte nimmt auch und gerade im Bereich der Medizintechnik stetig zu. Hersteller, Benannte Stellen und Behörden stellt das vor große Herausforderungen. Denn das Neue bietet nicht nur ein erweitertes Potenzial für Diagnostik, Behandlung und Heilung, sondern bringt auch Unsicherheiten mit sich: Man muss die Routinepfade verlassen, und oft sind etablierte Prozeduren nicht passgenau anwendbar.
Welche Produkte gelten denn als Kombinationsprodukte?
Die so genannten Kombinationsprodukte bestehen aus zwei oder mehr Komponenten. Häufig wird ein Medizinprodukt mit einem herkömmlichen Arzneimittel oder einem humanen Blutprodukt kombiniert. Auch die Zusammenstellung aus Medizinprodukt und Gentherapeutikum oder einem Arzneimittel mit menschlichen Zellen ist anzutreffen. Weitere Kombinationen aus drei und mehr Komponenten sind ebenfalls möglich. Es kommt aber im Detail darauf an, ob der oder die Kombinationspartner letztlich einen integralen Bestandteil des Endproduktes bilden: Nur dann gelten die Zulassungsregeln für Kombinationsprodukte. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, gelten die für die jeweils einzelne Komponente anwendbaren gesetzlichen Vorgaben.
Wie unterscheidet sich die Zulassung bei Kombinationsprodukten von der der einzelnen Komponenten?
Das Verfahren ist komplexer, als man es zum Beispiel für reine Medizinprodukte gewohnt ist. Neben den Richtlinien für Medizinprodukte RL 93/42/EWG und RL 90/385/EWG müssen auch die Richtlinie für Arzneimittel RL 2001/83/EG sowie die Verordnung für Arzneimittel für neuartige Therapieverfahren (VO 1394/2007/EG) in Betracht gezogen werden. Hieraus ergeben sich Veränderungen, insbesondere im Hinblick auf den Ablauf und den zeitlichen Rahmen des Konsultationsverfahrens.
Und welche der Richtlinien gilt dann für ein bestimmtes Kombinationsprodukt?
Ob die Arzneimittel- oder Medizinprodukterichtlinie anzuwenden ist, entscheidet sich anhand mehrerer Faktoren. Zunächst ist der bestimmungsgemäße Gebrauch des Produktes zu betrachten, den der Hersteller festlegt. Wenn der Arzneimittelkomponente nur eine unterstützende Funktion zukommt, wird das Kombinationsprodukt als Medizinprodukt betrachtet und gemäß der geltenden Richtlinie bewertet und zertifiziert. Basiert hingegen die Hauptwirkung des Produktes auf dem Arzneitmittel, folgt die Zulassung den Regeln der Richtlinie für Arzneimittel. Eine Ausnahme davon gibt es nur bei zellbasierten Produkten für neuartige Therapieverfahren, den so genannten Advanced Therapy Medicinal Products oder ATMP. Werden vitale humane Zellen mit einem Medizinprodukt zu einem ATMP kombiniert, wird per Legaldefinition die Hauptwirkung generell den Zellen zugeschrieben und das Endprodukt grundsätzlich als ein Arzneimittel angesehen.
Welche Besonderheiten sind im Verlauf des Zertifizierungsverfahrens für Medizinproduktkombinationen zu beachten?
Im Rahmen des Zertifizierungsverfahrens für ein solches Kombinationsprodukt ist eine Behörde zu konsultieren. Die Wahl einer nationalen Behörde obliegt der benannten Stelle. Es gibt jedoch eine Reihe von festen Vorgaben, die dabei zu berücksichtigen sind, und es ist gute Praxis, wann immer möglich, die Wahl der Behörde mit dem Hersteller abzustimmen. Für Kombinationen mit herkömmlichen Arzneimitteln wird häufig die Behörde konsultiert, die für die Zulassung der Arzneimittelkomponente verantwortlich ist. Beim zentralen europäischen Verfahren ist die Europäische Arzneimittelagentur EMA zuständig. Für Blutproduktkombinationen ist allerdings die EMA zu konsultieren, ebenso wie für die ATMP-Kombinationsprodukte. Bei letzteren liegt die Verantwortung für das Verfahren grundsätzlich bei der EMA. Die benannte Stelle wird aber, wie es der EMA Leitfaden 354785/2010 vorsieht, im Rahmen des Zulassungsverfahrens um Informationen zur Medizinproduktkomponente gebeten.
Was muss der Hersteller im Umfeld der Konsultation beitragen?
Für die Konsultation der Behörde im herkömmlichen Verfahren muss der Hersteller des Kombinationsproduktes, der für ein Endprodukt die Verantwortung trägt, Informationen zur Arzneimittelkomponente aufbereiten und der Benannten Stelle zur Verfügung stellen. Diese leitet die Dokumente an die Behörde weiter, die prüft, ob die Daten mit den Erfordernissen der Arzneimittelrichtlinie übereinstimmen. Sie bewertet außerdem das klinische Risiko sowie das Nutzen-Profil des Endprodukts. Gemäß der revidierten Fassung der Medizinprodukte-Richtlinie betrachtet die Behörde beim Erstellen des Gutachtens dann sowohl den Herstellungsprozess als auch die Angaben, die den Nutzen aus der Verwendung des Arzneimittels im Produkt beschreiben, wie er von der benannten Stelle ermittelt wurde. Das Ergebnis der Bewertung fließt in die Entscheidung der Benannten Stelle zur Zertifizierung des Endprodukts ein. Einen direkten Kontakt zwischen Hersteller und Behörde gibt es in diesem Prozedere also nicht.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Prof. Sabine Kloth berät Hersteller von Kombinationsprodukten im Hinblick auf die Zulassung: www.device-expertise.de Über regenerative Medizin und ATMP berichtete medizin&technik in der Ausgabe 2014 im Interview mit Prof. Emmrich vom Translationszentrum für Regenerative Medizin in Leipzig.
Ihr Stichwort
- Zulassung von Kombinationsprodukten
- Bestimmungsgemäßer Gebrauch
- Hauptwirkkomponente
- Konsulation der Behörde
Steckbrief: Kombinationsprodukte
Als Kombinationsprodukte werden Produkte bezeichnet, die sowohl einen Medizinprodukte- als auch einen Arzneimittelanteil enthalten. Entscheidend für die Zuordnung ist, dass diese beiden eine integrale Einheit bilden.
Insulinfertigspritzen beispielsweise gelten als ein Kombinationsprodukt, das unter den Vorgaben des Arzneimittelgesetzes zugelassen werden muss. Ein Knochenzement, dem Antibiotika zugesetzt wurden, oder auch ein mit Heparin beschichteter Katheter sind ebenfalls Kombinationsprodukte, werden aber unter den Vorgaben des Medizinproduktegesetzes zugelassen.
Bei einem wiederverwendbaren Insulin-Pen hingegen muss das Gerät als Medizinprodukt, sein Inhalt, das Insulin, als Arzneimittel zugelassen werden. Gleiches gilt für Arzneimittelampullen, denn in den zuletzt genannten Fällen bilden Arzneimittel und Medizinprodukt im Sinne des Gesetzes keine integrale Einheit. Mit Hydroxylapatit beschichtete Implantate gelten ebenfalls nicht als Kombinationsprodukt. Sie haben zwar eine bioaktive Oberfläche, aber als Arzneimittel werden nur Stoffe und Zubereitungen mit metabolischer, immunologischer oder pharmakologischer Wirkung eingestuft. Die bioaktive Oberfläche aber erfüllt keines dieser drei Kriterien.
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