Der Medizintechniksektor in Deutschland steht mit der EU-MDR immer noch vor einer immensen Herausforderung. Im internationalen Wettbewerb stellt das die Spitzenposition des bisher als äußerst innovativ geltenden Landes
in Frage. Hohe bürokratische Anforderungen, explodierende Kosten für die Zertifizierungsprozesse und mangelnde Umsetzbarkeit der neuen MDR bringen
die Branche ins Schleudern. Die in Berlin und Bonn ansässige GHA – German Health Alliance vereint rund 120 deutsche Medizintechnik-Unternehmen und hat die aktuelle Situation, die viele Mitgliedsunternehmen betrifft, beleuchtet. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen ist die Lage schwierig.
Weniger neue Produkte,
Innovationsprozesse gebremst
Der bürokratische Aufwand für die Umstellung der technischen Dokumentationen vom MDD-Zertifikat zum MDR-Zertifikat ist nach Angaben der Mitgliedsunternehmen recht hoch. Daher würden teilweise Bestandsprodukte aus dem Sortiment genommen. Auch auf die Zulassung neuer Produkte verzichten Hersteller, da der Aufwand und die Kosten dafür im Verhältnis zu den Umsatzerwartungen zu hoch seien. Somit lege die MDR Innovationsprozesse in Unternehmen lahm.
Unternehmen der Branche stellten auch die Sinnhaftigkeit der geltenden Regelungen in Frage. Konstruktion und Herstellung etablierter und sicherer Bestandsprodukte würden durch die in der MDR gestellten erhöhten Anforderungen an die Nachweisführung nicht verbessert. Vorteile für Patienten und Anwender seien nicht erkennbar. Für Hersteller eines breiten Produktsortimentes sei das Prozedere zur Aufnahme von Bestandsprodukten in das MDR-Zertifikat durch jeweilige „Change Notifications“ sehr zeit- und kostenaufwendig.
GHA: Appell an Politiker der EU-Kommission
Regulatory-Affairs-Experten der German Health Alliance – GHA wie der Vorstandsvorsitzende Erhard Fichtner appellieren daher an die Politiker der EU-Kommission, die Innovationskraft und Marktstärke der deutschen Medizinprodukte-Hersteller nicht durch zu hohe Hürden der Regulierung zu gefährden.
„Vor allem die gestiegenen Anforderungen an die klinische Bewertung und die klinische Nachbeobachtung, der Post Market Clinical Follow-up oder kurz PMCF, treffen die Unternehmen am meisten“, sagt Luca Salvatore. Er verantwortet den Bereich International Regulatory Affairs am Johner Institut in Konstanz. Von der GHA wurde er befragt, um den GHA-Arbeitskreis Regulatory Ark zu unterstützen. Laut Salvatore sei es vor der MDR gängige Praxis gewesen, „die Sicherheit und Leistung anhand von klinischen Daten von Vergleichsprodukten zu bewerten, anstatt eigene klinische Daten mit dem eigenen Produkt zu generieren, zum Beispiel in Form von klinischen Prüfungen am Menschen“. Da die MDR nun bezüglich der Äquivalenz strengere Kriterien vorgebe, sei es kaum noch möglich, diese häufig vereinfachte Route zu wählen.
Ausgewogenes Verhältnis von Patientensicherheit und Vorgaben
Für die gestiegenen Anforderungen an die klinischen Bewertungen wäre ein risikobasierter Ansatz in der MDR sinnvoll. An Produkte niedrigerer Risikoklasse und Produkte mit etablierter Technologie sollten weniger Anforderungen für klinische Bewertung und klinische Nachweise gestellt werden als an Produkte mit höherem Risiko. „Ein ausgewogenes Verhältnis von Patientensicherheit und umsetzbaren Vorgaben für Hersteller sowie die Förderung von Innovation und Forschung am Standort Deutschland wäre unser Appell an die zuständigen EU-Politiker“, so GHA-Vorstandsvorsitzender Erhard Fichtner.