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Materialwechsel bei Medizinprodukten: Was das rechtlich heißt

Materialien bei Medizinprodukten
Was ein neues Material beim Medizinprodukt bedeutet

Was ein neues Material beim Medizinprodukt bedeutet
Sarah Gruber ist Ingenieurin der Biotechnologie und seit 2020 als Beraterin und Expertin für biologische Produktsicherheit bei der Johner Institut GmbH in Konstanz tätig. Zu ihren Beratungsschwerpunkten gehört unter anderem die Materialbewertung (Bild: Johner Institut)
Mehr Nachhaltigkeit, Vorgaben für Verpackungen, mögliches PFAS-Verbot: Es gibt viele Gründe, die zu einem Materialwechsel beim Medizinprodukt oder seiner Verpackung führen können. Um die Veränderung konform zu allen rechtlichen Vorgaben umzusetzen, empfiehlt Sarah Gruber vom Johner Institut, einen detaillierten Plan vorzubereiten.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Frau Gruber, warum ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um sich zu rechtlichen Vorgaben bei einem Materialwechsel rund um ein Medizinprodukt Gedanken zu machen?

Aktuell wächst das Interesse an nachhaltigeren Lösungen generell und auch in der Medizintechnik. Dabei geht es nicht nur um eine unverbindliche Diskussion von Möglichkeiten, sondern es zeichnet sich bereits ab, dass in den kommenden Jahren feste Vorgaben seitens des Gesetzgebers kommen werden. Der in der EU beschlossene Green Deal weist dafür die Richtung: Er wurde 2019 vom Europäischen Rat präsentiert und verfolgt das Ziel, bis 2050 in der
EU die Netto-Emission von Treibhausgasen auf null zu reduzieren, also Klimaneutralität zu erreichen. Im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit sind dafür verbesserte Ressourcenschonung, das Vermeiden von Abfall und mehr Recycling erforderlich. Das Gesundheitssystem und die Medizinproduktehersteller müssen natürlich dazu beitragen. Ansatzpunkte dafür sind unter anderem Materialien, aus denen Medizinprodukte gefertigt werden, aber auch die Produktion dieser Produkte, deren Verpackung sowie Wiederverwendbarkeit oder Entsorgung. Wer hier etwas verändert, darf aber weder die Sicherheit noch die Funktionalität der Produkte beeinträchtigen. Darüber hinaus muss er die regulatorischen Vorgaben der Branche einhalten – und dabei gilt es, auf viele Details zu achten, denn es gibt mögliche Zielkonflikte zwischen Sicherheit und Nachhaltigkeit.

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Was genau macht den Wechsel zu anderen Materialien so heikel?

Ein Materialwechsel wird in der Regel rechtlich als ein Design Change einzustufen sein. Selbst Veränderungen von Materialstärken, Verbindungen oder veränderte Anordnungen von Bauteilen zählen dazu. Kurz gesagt, verwenden alle Regularien den Begriff „Design Change“ als Synonym für jede Änderung an der Auslegung von Medizinprodukten. Allerdings liefern weder die EU-Verordnungen über Medizinprodukte (MDR) und In-vitro Diagnostika (IVDR) eine exakte Definition des Begriffs „Design Change“, noch die Food and Drug Administration (FDA), auch wenn sie den Begriff verwendet. Im Zweifel ist es also hilfreich, die zuständige Benannte Stelle einzubinden, um die Frage zu klären, ob ein Design Change vorliegt. Eine der wenigen Ausnahmen könnte der Wechsel zu Recyclingpapier für eine Gebrauchsanweisung sein – solange die Lesbarkeit nicht beeinträchtigt ist.

Aus regulatorischer Sicht stellt sich darüber hinaus aber die Frage, ob eine geplante Veränderung als ‚wesentliche Änderung‘ anzusehen ist – was für die Umsetzung viele Konsequenzen hat. Die Medical Device Coordination Group MDCG hat genau dazu eine Leitlinie veröffentlicht, in der ausgeführt wird, wann Änderungen als wesentlich anzusehen sind. Der Wechsel von einem Material mit einem geringen toxikologischen oder biologischen Risiko zu einem Material mit einem höheren Risiko wäre so ein Fall. Das könnte sinnvoll sein, um neue Funktionalitäten zu erhalten. Kommen Materialien innerhalb der gleichen Spezifikation lediglich von einem anderen Lieferanten, ist das meist keine wesentliche Änderung.

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Welche Folgen ergeben sich, wenn bei einem Medizinprodukt eine wesentliche Änderung umgesetzt werden soll?

Wenn man ein Medizinprodukt durch Materialwechsel wesentlich verändert, bedeutet das, dass der Hersteller dies am Ende kommunizieren muss, an Behörden, Benannte Stellen, Kunden, Anwender, Lieferanten und andere. In der Folge kann es auch erforderlich sein, dass der Hersteller – oder beteiligte Dritte – Dokumente und Aufzeichnungen aktualisieren oder neu erstellen.

Um welche Dokumente geht es da?

Üblicherweise geht es dabei natürlich um die Risikomanagementakte, insbesondere die Risikoanalyse. Aber auch die Beschreibung des Produkts mit seinen Bauteilen, Materialien und Komponenten kann betroffen sein, das Labeling, die Prüfung der Biokompatibilität, sonstige Produkt- und Materialprüfungen wie Festigkeit und Haltbarkeit. Nicht zu vergessen die Vorgaben für die Produktion und Prüfung, Vorgaben für die Reinigung und Sterilisation sowie Vorgaben für die Entsorgung. Und allein diese Aufzählung zeigt schon, dass es dringend zu empfehlen ist, einen Materialwechsel mit allen daraus folgenden Schritten und Aktivitäten sehr sorgfältig zu planen.

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Welche Aspekte gehören in den Plan?

Der Änderungsplan legt typischerweise fest, worin genau die Änderung bestehen soll und was deren Ziele sind. Nachgewiesen sein muss natürlich, dass die Änderung sich lohnt und der Nutzen die Restrisiken überwiegt. Der Plan beschreibt im Einzelnen, welche Rollen zu beteiligen sind, welche konkreten Personen die jeweiligen Rollen einnehmen und welche Aktivitäten durchgeführt werden. Unter anderem gilt es auch, die Reihenfolge der Aktivitäten und die geplanten Termine dafür festzulegen. Dabei kann der Plan auf weitere Pläne verweisen wie einen Verifikations- und Validationsplan oder einen speziellen Risikomanagementplan für diese Änderung. Und eines sei vorweggenommen: Es ist üblich, dass dieser Plan im Lauf der Änderung auch angepasst wird. Ein Design Change, wie es die Änderung des Materials ist, betrifft übrigens regelmäßig auch Prozesse wie die Post-Market Surveillance.

Wie sinnvoll erscheint es vor dem Hintergrund der Konsequenzen, überhaupt über Materialwechsel nachzudenken?

Solche Veränderungen umzusetzen, bedeutet natürlich einen erheblichen Aufwand für den Hersteller und ist mit entsprechenden Kosten verbunden. So dauerte bei einem Unternehmen, das künstliche Gelenke produziert, die Umstellung der Verpackungsmaterialien von Kunststoffpolstern auf einen gefalteten Karton fast zwei Jahre. Dennoch sollten Medizinproduktehersteller nicht tatenlos bleiben. Denn sich künftig aktiv um das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele zu kümmern, bietet auch Chancen – und im besten Fall lassen sich langfristig Kosten etwa durch eine mögliche Effizienzsteigerung senken.

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Welche Gründe rechtfertigen einen Wechsel und den Aufwand dabei?

Gesteigerte Anforderung an die Nachhaltigkeit sind nur ein möglicher Grund für Veränderungen bei den Materialien. Es kommen aber weitere in Frage, individuelle wie auch übergreifende. Gemeldete Vorkommnisse wie Rötungen, Allergien oder Materialversagen aufgrund mechanischer Belastung können einen Wechsel erfordern. Neue oder geänderte Produktionsverfahren oder der Wunsch nach Einsparungen sind Beweggründe, wenn zum Beispiel die neuen Werkstoffe preisgünstiger in der Anschaffung oder Verarbeitung sind. Der Wegfall eines Materials, weil der bisherige Lieferant dieses nicht mehr liefert, zwingt den Hersteller ebenfalls zum Handeln. Und auch Gesetze können Änderungen erfordern, die alle Marktteilnehmer betreffen: Dazu zählt das Verbot von Substanzen, wie das bereits diskutierte PFAS-Verbot – aber auch Vorgaben zur Kreislaufwirtschaft, zur Entsorgung oder Wiederaufbereitung und Recycling.

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Welche rechtlichen Entwicklungen könnten demnächst noch relevant sein für mögliche Materialwechsel?

Beim Thema Verpackungen ist mit Veränderungen zu rechnen. Ende 2022 hat die Europäische Kommission einen Verordnungsvorschlag veröffentlicht, der zum Beispiel abfallintensive Verpackungen verbieten und Wiederverwendung und Recycling von Verpackungen fördern soll – auch das, um die Ziele des „Green Deals“ zu erreichen. Diese Verordnung auf EU-Ebene wird das nationale Verpackungsgesetz sowie die Abfallrichtlinie 2008/98/EG weiter verschärfen. Der Blick auf Werkstoffe wird also weiterhin und sogar verstärkt ein Thema bleiben.

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Weitere Informationen

Einen umfassenden und ausführlichen Überblick über viele Details, die vor einem Materialwechsel bei Medizinprodukten für die Planung eine Rolle spielen können, haben Sarah Gruber und Prof. Christian Johner vom Konstanzer Johner Institut im Auftrag der Biopro Baden-Württemberg GmbH erstellt.

https://hier.pro/imfWS


Über Biopro Baden-Württemberg

Die Landesgesellschaft Biopro Baden-Württemberg GmbH vertritt die Gesundheitsindustrie (Medtech, Pharma und Biotech) in Baden-Württemberg. Als Innovationsagentur setzt sie Impulse, für die weitere Entwicklung der Gesundheitsindustrie, initiiert Kooperationen, begleitet Innovationen sowie Gründungen und unterstützt die nachhaltige Transformation von gesundheitswirtschaftsbezogenen Liefer- und Nutzungsketten.

www.bio-pro.de

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