Seit dem 1. März dürfen Hersteller ihre Produkte alternativ auch mit einer elektronischen Gebrauchsanweisung ausliefern. Welche Anforderungen der Gesetzgeber stellt und warum es Ausnahmen gibt, erläutert der Fachmann Jürgen Mehring.
Herr Mehring, was ändert sich mit der neuen Verordnung für die Hersteller?
Die Verordnung gilt für Produkte, die sowohl unter die Richtlinien 90/385/EWG (beispielsweise aktive implantierbare Geräte) fallen als auch für Medizinprodukte nach 93/42/EWG (beispielsweise passive Implantate und festinstallierte Produkte). In-Vitro-Diagnostik-Produkte sind ausgeschlossen. Den Herstellern wird für bestimmte Produkte und für eine definierte Zielgruppe die Möglichkeit eröffnet, anstelle von Gebrauchsanweisungen in Papierform auch elektronische Versionen zur Verfügung zu stellen. Die neue Verordnung schafft damit allerdings nicht die Papierversionen ab. Der Hersteller kann die neue Variante nutzen, ist aber nicht dazu verpflichtet. Der Anwender muss über eine einfache Kommunikationsmethode jederzeit eine Papierversion der Gebrauchsanweisung beim Hersteller anfragen können.
Welche Vorgaben muss ein Hersteller erfüllen, um seine Produkte mit elektronischer Gebrauchsanweisung ausliefern zu können?
Die Verordnung gibt konkrete Informationen zu den Vorgaben und Verpflichtungen, die erfüllt werden müssen, damit der Hersteller seine Produkte mit einer elektronischen Gebrauchsanweisung ausliefern darf. Dazu gehören:
- Durchführung einer ergänzenden Risikobetrachtung, mit dem Ergebnis, dass ein mindestens gleichwertiges Sicherheitsniveau der elektronischen Gebrauchsanweisung gegenüber der Papierversion erreicht wurde.
- Die elektronische Gebrauchsanweisung wird in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit gleichem Inhalt zur Verfügung gestellt.
- Der Hersteller muss dem Anwender eine Papierversion der Gebrauchsanweisung auf Verlangen und nach Anforderung spätestens innerhalb von 7 Tagen kostenfrei zur Verfügung stellen.
- Informationen für vorhersehbare medizinische Notfallsituationen müssen auf dem Medizinprodukt oder einem Beipackzettel vermerkt werden; bei Medizinprodukten mit eingebauter elektronischer Gebrauchsanweisung Informationen über den notwendigen Einschaltvorgang.
- Nachweis in Form von Prüfungen und Validierungen, dass die elektronische Gebrauchsanweisung korrekt ist und funktioniert.
- Hersteller von Produkten, in denen die elektronische Gebrauchsanweisung über ein internes System zugänglich ist, müssen den Nachweis erbringen, dass die Funktionalität des Gerätes nicht beeinträchtigt wird und die Sicherheit gewährleistet ist.
- Der Hersteller muss den Anwender über die Hard- und Softwarevoraussetzungen zur Anzeige der elektronischen Gebrauchsanweisung informieren.
- Auch für die elektronischen Gebrauchsanweisungen gelten die Aufbewahrungsfristen aus den zutreffenden Richtlinien: Für nicht implantierbare Medizinprodukte noch zwei Jahre nach dem Verfallsdatum des letzten hergestellten Produkts, bei implantierbaren Medizinprodukten noch 15 Jahre nach der Herstellung des letzten Produktes
Des weiteren muss der Hersteller den Kunden vor Anwendung des Produktes darüber informieren, dass eine elektronische Gebrauchsanweisung anstelle der Papierversion zur Verfügung gestellt wird. Hierzu sind auf jeder einzelnen Verpackung deutliche Hinweise anzubringen. Weitere Pflichthinweise sind die Kontaktdaten des Herstellers sowie die direkte Referenz auf die gültige Version, beziehungsweise deutliche und nachvollziehbare Informationen zum Auffinden und Auswählen der gültigen elektronischen Gebrauchsanweisung
Wo sehen Sie Vorteile für den Hersteller?
Dazu gehören zum Beispiel schnellere Realisierungsprozesse und die damit verbundene Aktualität sowie die Umweltfreundlichkeit durch den geringeren Papierverbrauch. Aber natürlich zählen auch die wirtschaftlichen Aspekte, denn die Druckkosten sinken deutlich. Zudem können bei elektronischen Gebrauchsanweisungen ergänzende multimediale Formen zum Informationstransport benutzt werden, die wiederum die Anschaulichkeit erhöhen. Die Textinformationen zur sicheren Anwendung des Medizinproduktes müssen jedoch mit der Papierversion identisch sein.
Und wo gab es Bedenken?
Lange wurde diskutiert, ob die sichere Anwendung durch elektronische Gebrauchsanweisungen beeinträchtigt wird und die Anwender über die notwendige Infrastruktur verfügen, die elektronischen Informationen bekommen, öffnen und benutzen können. Gerade in Arztpraxen und Kliniken haben sich die IT-Strukturen erst in den letzten Jahren entwickelt. Die Sicherheitsbedenken waren so groß, dass die neue Verordnung nun einige Einschränkungen hinsichtlich der Medizinprodukte und der Anwender vorschreibt. Außerdem werden in der Verordnung weitere Prozesse beschrieben, die vom Hersteller durchgeführt werden müssen, bevor eine elektronische Gebrauchsanweisung dem Fachanwender zur Verfügung gestellt werden darf.
Welche Anforderungen muss ein Hersteller erfüllen?
Dazu zählt das Durchführen eines Risikomanagements, Angaben darüber, wie die elektronische Gebrauchsanweisung zur Verfügung gestellt wird, eine alternative Bezugsquelle für die Papierversion sowie die Einbindung der benannten Stellen, sofern für die Produkte notwendig. Zusammenfassend kann man sagen, dass es deutliche Sicherheitsbedenken in der Europäischen Kommission hinsichtlich des Gebrauchs von elektronischen Gebrauchsanweisungen gegeben hat. Daher wurde der Nutzen von elektronischen Gebrauchsanweisungen nur für bestimmte Produkte und Anwendergruppen unter geregelten Bedingungen mit der Verordnung eröffnet.
Für welche Produkte sind die elektronischen Gebrauchsanweisungen erlaubt?
Die Verordnung gibt im Artikel 3 an, dass nur für bestimmte Medizinprodukte elektronische Gebrauchsanweisungen durch den Hersteller zur Verfügung gestellt werden können. Darunter fallen:
- Aktive Implantate und Zubehör nach 90/385/EWG, das ausschließlich zur Implantation oder Programmierung eines bestimmten aktiven Implantates bestimmt ist.
- Passive Implantate und Zubehör nach 93/42/EWG, das ausschließlich zur Implantation eines bestimmten passiven Implantates bestimmt ist.
- Fest installierte Medizinprodukte, die in den Geltungsbereich der Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG fallen.
- Medizinprodukte und Zubehör gemäß den Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG, in die ein System zur Anzeige der elektronischen Gebrauchsanweisung eingebaut ist.
- Eigenständige Software gemäß Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG.
Beispiele sind Herzschrittmacher, Stents, Cochlearimplantate, Kniegelenke, Beatmungsgeräte mit Display und integrierter Gebrauchsanweisung, implantierbare Defibrillatoren sowie PACS und diagnoseunterstützende Software. Zudem muss der Hersteller sicherstellen, dass die Produkte nicht von Patienten, sondern ausschließlich durch professionelle Anwender benutzt werden.
Welche Vorteile haben die Anwender?
Grundsätzlich müssen sich alle Anwender eines Medizinproduktes mit der korrekten Benutzung auseinandersetzen, bevor sie die Produkte anwenden dürfen. Elektronische Gebrauchsanweisungen bieten den Vorteil, die notwendigen Informationen zum Produkt interessanter und ergänzend mit weiteren multimedialen Inhalten aufbereitet, dem Anwender zur Verfügung zu stellen. Ziel dabei ist es, die Informationen zum Produkt besser und verständlicher zu transportieren. Als weiteren Nebeneffekt kann damit auch die Compliance hinsichtlich der Nutzung von Gebrauchsanweisungen erhöht werden. Die digitalen Formate bieten beispielsweise Suchfunktionen, Textvergrößerungen und Verlinkungen zu weiteren Informationen an. Bei den professionellen Anwendern zeigt sich auch ein Trend zur Nutzung von Smartphones und Tablet-PC’s. Sie können die elektronischen Gebrauchsanweisungen in ihrem PC oder den tragbaren IT-Systemen speichern und haben sie somit fast immer griffbereit. Es besteht auch die Möglichkeit, die elektronischen Gebrauchsanweisungen an einem zentralen Ordner im lokalen Netzwerk zu speichern. Über die lokalen Zugangsregelungen kann somit gewährleistet werden, dass nur autorisierte Anwender darauf zugreifen können. Einen weiteren Vorteil bieten die elektronischen Gebrauchsanweisungen, die direkt im Produkt integriert sind. Auf diese Informationen hat der Anwender dann sofortigen Zugriff, sobald diese benötigt werden.
Was müssen Hersteller beachten, deren Produkte sowohl vom professionellen Anwender als auch direkt vom Patienten genutzt werden?
Eine Möglichkeit besteht darin, die Produkte an sich für die beiden unterschiedlichen Produktgruppen deutlich zu unterscheiden, beispielsweise mit einer Kennung, und diese dann auch selektiv, mit Papierversion für die Laienanwender und rein elektronsicher Gebrauchsanweisung für die Fachanwender zu verkaufen. Aus der Begleitdokumentation muss dies sofort für den Anwender ersichtlich sein, so dass eine Verwechslung ausgeschlossen ist. Der Hersteller kann für diese Produkte wie bisher eine Papierversion ausliefern. Dem Fachanwendern macht der Hersteller dann auf einer Webseite die elektronischen Versionen ergänzend zugänglich. Hier hat der Hersteller die Verpflichtung nachzuweisen, dass nur Fachanwender einen Zugang zum Downloadbereich der Webseite haben. Der Hersteller ist für die Einhaltung der regulatorischen Anforderungen vollumfänglich verantwortlich, somit auch für die Einhaltung der Verordnung zur elektronischen Gebrauchsanweisung.
Nach der neuen Verordnung müssen Hersteller die Risikoanalyse erweitern. Warum?
Zunächst ist festzuhalten, dass jeder Hersteller ein dokumentiertes Risikomanagementsystem für seine Produkte durchführen muss, unabhängig davon, ob er nun das Format der elektronischen Gebrauchsanweisung nutzt oder nicht. Doch durch die Anwendung der elektronischen Gebrauchsanweisungen ergeben sich neue Anwendungsszenarien, die wiederum neue Prozesse beim Hersteller bedingen. Auf solche Änderungen muss dieser reagieren, die Risikobetrachtung neu durchführen und gegebenenfalls anpassen.
Welche Aspekte sind das?
Die Risikoanalysen der betreffenden Produkte müssen die folgenden Aspekte berücksichtigen : Kenntnisse und Erfahrungen der Nutzergruppe, Eigenschaften des Anwendungsumfeldes, Kenntnisse und Erfahrungen der Nutzergruppe mit der Hard- und Software für die Anzeige der elektronischen Gebrauchsanweisung, Zugang der Nutzer zu den benötigten elektronischen Mitteln zur Anzeige der elektronischen Gebrauchsanweisung, Sicherheit gegen unerlaubtes Verändern der elektronischen Gebrauchsanweisung sowie Sicherheit gegen Hard- und Softwarefehler, insbesondere bei Medizinprodukten mit integrierter elektronischer Gebrauchsanweisung, Auswirkungen von Ausfällen der Website, des Internets oder des Internetzugangs und die zeitliche Dauer der internen und externen Prozess-Schritte – von der Anforderung der Papierversion bis zur Auslieferung an den Kunden und deren Versand.
Was müssen Hersteller beachten, die ihre Produkte ins Ausland liefern?
Hier gelten natürlich die gleichen Verpflichtungen an den Hersteller wie bisher auch. Ein Hersteller, der seine Produkte in andere Länder auf den Markt bringen möchte, muss sich vorher informieren, welche lokalen Zulassungsvoraussetzungen gelten und erfüllt werden müssen. Sollten diese Länder, in denen das Produkt verkauft werden soll, keine elektronischen Gebrauchsanweisungen erlauben, so ist der Hersteller verpflichtet, dem Anwender die Gebrauchsanweisung in der Papierversion zur Verfügung zu stellen. Sind elektronische Gebrauchsanweisungen in diesen Ländern erlaubt, so sind auch hier alle Anforderungen durch den Hersteller zu erfüllen. Diese Anforderungen können von der Europäischen Verordnung abweichen. Deshalb ist hier eine genaue Prüfung notwendig.
Wie sollten Hersteller vorgehen, die zur elektronischen Version wechseln wollen?
Gut überlegt, nicht spontan und unter Zeitdruck. Zunächst sollten die Hersteller analysieren, ob die Produkte und die definierten Anwender überhaupt die Anforderungen aus der Verordnung erfüllen. Wenn ja, sollte ein interdisziplinäres Team – beispielsweise aus den Abteilungen Produktmanagement, Marketing, Regulatory, Qualitätsmanagement, IT und Entwicklung – mit der Umsetzung beauftragt werden. Für alle Produkte, bei denen eine benannte Stelle im Konformitätsbewertungsverfahren eingebunden ist, sollte der Hersteller die geänderten Prozesse und Dokumentationen zur Bewertung vorlegen und erst nach erfolgter positiver Bewertung die elektronischen Gebrauchsanweisungen zur Verfügung stellen. Auch wenn die wirtschaftliche Betrachtung noch so verlockend sein sollte, ist eine vernünftige und nachvollziehbare Risiko-Nutzen-Betrachtung zur Umstellung notwendig. Der gesamte Prozess benötigt seine Zeit und sollte daher frühzeitig, beispielsweise vor dem nächsten Audit durch die benannte Stelle, erfolgen.
Susanne Schwab susanne.schwab@konradin.de
Weitere Informationen Informationen zur Verordnung bieten Seminare von qualifizierten Anbietern und benannten Stellen: www.forum-institut.de Unterstützung bei Anforderungen an individuelle Herstellersituationen bieten professionelle Berater: www.mehring-consulting.de
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