EU-Verordnung für Medizinprodukte | Auch wenn die aktuellen Vorschläge nicht mehr alles enthalten, was in den vergangenen Jahren diskutiert wurde, scheint eines klar: Die Vorgaben werden strenger. Die Betroffenen legen Wert auf Regelungen mit Augenmaß, die Patientensicherheit bieten, ohne Innovationen zu hemmen.
Dr. Wolfgang Sening
Senetics, Erlangen
Prinzipiell hat sich der bisher in der EU bestehende Rechtsrahmen bewährt. Durch verschiedene Ereignisse, insbesondere jedoch durch den so genannten PIP-Skandal, bei dem es um ein ungeeignetes Silikon für Brustimplantate ging, findet in Europa seit 2011 eine Diskussion über die Sicherheit von Medizinprodukten statt. Vertreter aus Politik und Gesundheitswesen haben in der Folge generelle Zweifel an der Sicherheit und dem medizinischen Nutzen von Medizinprodukten geäußert.
Seit September 2012 wird nun über einen neuen Rechtsrahmen für Medizinprodukte, aktive implantierbare medizinische Geräte und In-vitro-Diagnostika im Europäischen Rat und im Europäischen Parlament verhandelt. Im Oktober 2015 hat sich der Rat für Beschäftigung, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz (EPSCO) unter der Präsidentschaft Luxemburgs auf einen gemeinsamen Standpunkt geeinigt. Seitdem diskutieren auf dieser Grundlage und anhand der Änderungsanträge des Europäischen Parlaments der Rat, das Europäische Parlament und die Kommission. Die amtierende niederländische Präsidentschaft strebt einen Abschluss der Verhandlungen bis Juni 2016 an. Zurzeit ist jedoch nicht absehbar, wann sie tatsächlich abgeschlossen sein werden und welchen Inhalt die neuen Verordnungen haben werden.
Folgende Vorschläge wurden von der Europäischen Kommission bisher vorgelegt:
- Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über Medizinprodukte und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung(EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009
- Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über In-vitro-Diagnostika
Aktuell ist auf Basis dieser Vorschläge zu erkennen, dass es in Europa weiterhin keine zentrale behördliche Zulassung für Hochrisiko-Medizinprodukte geben wird. Dies hatten Teile der Politik und Krankenkassen speziell in Deutschland nach dem PIP-Skandal gefordert. Eine neue Regelung in Anlehnung an die Arzneimittelzulassung fand weder im Parlament noch in der EU-Kommission oder dem Ministerrat eine Mehrheit. Stattdessen soll das bisherige System aus Überwachung und Kontrolle weitergeführt werden.
Eine zentrale neue Regelung, auf die sich der Gesundheitsministerrat verständigt hat, betrifft die Effektivität der Produktkontrollen durch die benannten Stellen. Diese soll weiter gesteigert werden: Die benannten Stellen dürfen unangekündigt Kontrollen und Audits in den Unternehmen durchführen sowie zusätzliche Produktprüfungen vornehmen. Dies wird nach dem Beschluss der EU-Kommission von 2013 über strengere Kriterien für die Ernennung und Überwachung der benannten Stellen und die Grundlagen für unangekündigte Audits bereits umfangreich umgesetzt. Zudem bekommen nationale Behörden künftig einheitliche Regeln, um die Eignung benannter Stellen zu prüfen und diese zu überwachen.
Im Entwurf der Verordnung kritisiert die EU-Kommission, dass bei Auswahl und Kontrolle der benannten Stellen durch die Mitgliedstaaten, der Risikobewertung durch die Stellen und der Gründlichkeit große Unterschiede vorliegen. Die EU-Kommission schlägt vor, die Arbeit der benannten Stellen auf EU-Ebene regelmäßig zu kontrollieren – nicht nur national. Ergänzend werden die benannten Stellen verpflichtet, jeden neuen Antrag auf Konformitätsbewertung für ein Produkt mit hohem Risiko an eine EU-Expertenkommission zu melden (Scrutiny-Verfahren). Nur bei einem positiven Ergebnis dürfte ein Zertifikat erteilt werden.
Strengere Vorgaben kommen
Die Medizinprodukte-Hersteller müssen sich also auf strengere Vorgaben für klinische Prüfungen und die Marktüberwachung ihrer Produkte einstellen. Es ist vorgesehen, dass Medizinprodukte in einer zentralen Datenbank registriert und schwerwiegende unerwünschte Ereignisse an ein EU-Portal gemeldet werden. Ergänzend soll eine einmalige Produktnummer für Medizinprodukte die Rückverfolgbarkeit gewährleisten. Ein Implantat-Pass soll dafür sorgen, dass betroffene Patienten wichtige Informationen zum Implantat erhalten.
Ein positiver Aspekt der neuen EU-Verordnung wird sicherlich sein, dass alle Mitgliedsstaaten direkt rechtlich gebunden sind. Dadurch wird das im Detail uneinheitliche Konzept der EU-Richtlinien und ihrer Umsetzung in nationale Gesetze vereinheitlicht, denn Verordnungen gelten unmittelbar und europaweit.
Bis der Prozess abgeschlossen ist, stehen noch zähe Verhandlungen aus. So hat die deutsche Bundesregierung im Ministerrat als einzige der gemeinsamen Linie nicht zugestimmt. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) kritisierte den zusätzlichen bürokratischen Aufwand für das geplante Scrutiny-Verfahren und vermisst Übergangs- und Bestandschutzregelungen. Auch betroffene Hersteller und Zulieferer stehen einem Mitspracherecht der EU bei der Zertifizierung von Medizinprodukten – so wie es das Scrutiny-Verfahren vorsieht – kritisch gegenüber, da es die Innovationsfähigkeit der Medizinprodukteindustrie schwächen würde. Eine Übergangsfrist mit Augenmaß und eine Balance zwischen Patientenschutz und Innovationsfähigkeit sind notwendig. ■
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