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Medizintechnik: Qualitätsmanagement-System gemeinsam nutzen

Start-ups: Hilfe vom Medizinproduktehersteller
Osypka: Qualitätsmanagement in der Medizintechnik mit mehreren Unternehmen teilen

Osypka: Qualitätsmanagement in der Medizintechnik mit mehreren Unternehmen teilen
Ohne Qualitätsmanagement geht im Medizintechnik-Umfeld nichts. Aber ein etabliertes System mehrfach zu nutzen, könnte für alle Beteiligten von Vorteil sein (Bild: iuriimotov /stock.adobe.com)
Eine Zusammenarbeit der ungewohnten Art will die Osypka AG in Rheinfelden in Zukunft – nicht nur – mit Start-ups aus der Medizintechnik erproben. Auch beim Erfüllen der MDR-Vorgaben steht die RA-Abteilung den Neulingen zur Seite.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Manchmal bringt eine Kleinigkeit Dinge ins Rollen: Wenn zum Beispiel jeder Blick aus dem Fenster auf ein leerstehendes Industriegebäude fällt und man anfängt, erst allein und dann gemeinschaftlich darüber nachzudenken, was aus diesem werden könnte. Aus den Büros… der Produktionsfläche… dem eingebauten Reinraum… am besten zum Nutzen des eigenen Unternehmens, aber am Ende auch zum Nutzen anderer.

Osypka entwickelt neue Ideen für Kooperation mit KMU und Start-ups

Aus so einer Situation entstand bei der Osypka AG, Rheinfelden, eine neue Idee für Kooperationen. Das leerstehende Nachbargebäude würden die Rheinfeldener nicht komplett für ihre eigenen Abteilungen benötigen. Aber man könnte es mit einer Reihe von Start-ups teilen. Oder, noch kühner: Was wäre, wenn man nicht nur Räumlichkeiten, sondern auch Know-how teilt – vor allem zu so gefragten, aber auch heiklen Themen wie Qualitätsmanagement und Regulatory Affairs? Schnell zeigte sich, dass die geschickte Umsetzung dieser Idee Vorteile für alle Seiten bringt.

Für Osypka selbst: Kontakt zu neuen Ideen aus der Medizintechnik, wie sie oft bei Start-ups entstehen, ist für einen Hersteller und Inverkehrbringer von Medizinprodukten interessant. Aber auch für Start-ups und sogar Benannte Stellen, die mit den alten und neuen Akteuren in der Medizintechnik zu tun haben würden, lohnt sich die Sache. „Wir haben den Gedanken zu Ende gedacht, was passiert, wenn ein Start-up in Zeiten der MDR mit einem neuen Produkt auf den Markt kommen will. Da tun sich viele Fragen auf“, berichtet PhD Thorsten Göttsche, der zusammen mit Guido Derjung nun ein Start-up Center im beschriebenen Gebäude aufbaut. Rechtlich gesehen ist das ein Osypka-Tochterunternehmen und firmiert als Start-up Accelerator GmbH.

Nur ein QM-System zu sichten ist gut für die Benannte Stelle

Bedarf für Unterstützung sieht Göttsche: „Im Grunde hat ein kleines Unternehmen am Anfang weder das Know-how noch die Kapazitäten, um all die Strukturen aufzubauen, die die MDR von den Inverkehrbringern fordert.“ Aber wenn ein erfahrenes Unternehmen als Coach zur Seite steht, das Start-up dessen komplettes, etabliertes und erprobtes Qualitätsmanagementsystem auf seine Belange überträgt, sieht die Sache besser aus. „Das ist sogar für die Benannte Stelle eine gute Sache: Denn angesichts der Berge an Arbeit, die dort anfallen, ist diese aktuell zurückhaltend mit der Aufnahme neuer Kunden, sprich der Prüfung neu aufgebauter QM-Systeme“, sagt Göttsche.

Im Falle der Kooperation aber erledigt die Benannte Stelle das quasi gleich mit, wenn sie das QM-System bei Osypka begutachtet. Guido Derjung, Leiter Regulatory Affairs bei der Osypka AG, hat das mit den Fachleuten einer Benannten Stelle gedanklich durchgespielt – und bekam von Anfang an positive Rückmeldungen. Im Jahr 2021 schließlich war die Idee seitens der Benannten Stelle abgesegnet, so dass sie nun in die Praxis umgesetzt werden kann.

Einen ersten Interessenten gibt es – kein Start-up, sondern ein etabliertes Unternehmen aus dem Ausland. Auch für solche Anfragen sind die Rheinfeldener offen. Schließlich sei die MDR selbst für Unternehmen, die schon eine Weile am Markt aktiv sind, eine Herausforderung.

Start-up aus Aachen zeigt Interesse an der Kooperation

Aber auch die Zielgruppe Start-ups ist schon aktiv: Mit zwei jungen Unternehmen laufen derzeit die Gespräche. Eines davon ist die Aachener Peragraft GmbH. Erfinderin und Gründerin Dr. Valentine Gesché will patientenindividualisierte textile Implantate herstellen. Eingesetzt werden sie dort, wo die Form der Implantate an das Individuum angepasst sein muss – zum Beispiel bei bestimmten Aneurysmen.

Bisher ist so ein individuell gestaltetes Medizinprodukt nur mit Handarbeit herstellbar. Das kann mehrere Monate dauern, in denen der Patient ein erhebliches Risiko hat, an seiner Erkrankung zu versterben. Das Ziel der Gründerin: individualisierte Produkte automatisiert zu fertigen. Geplante Lieferzeit: unter einer Woche. Die Ärzte, mit denen sie das diskutiert hat, waren begeistert, sagt sie.

Für die neu entwickelte Technologie ist sie zusammen mit ihrem Forschungsteam bereits zwei Mal ausgezeichnet worden: sie hat 2019 den Innovationspreis des Landes NRW in der Kategorie „Nachwuchs“ erhalten sowie den AC2 Business Plan Wettbewerb der Gründerregion Aachen.

Start-up:  Auf die Entwicklung folgen unweigerlich die regulatorischen Fragen

Derzeit laufen noch Produktentwicklungen, danach folgt die Phase, in der es um regulatorische Fragen und die Produktion gehen wird. Der Ansatz, Peragraft in das QM-System bei Osypka zu integrieren, hat für Gesché seinen Reiz: „Es geht darum, sich das notwendige Know-how in der Regulatorik anzueignen und aufzubauen. Auf die Expertise bei Osypka zurückgreifen zu können, wäre sicher hilfreich.“

Das Unternehmen kennt die Start-up-Gründerin schon aus dem Studium. „Bei einer Veranstaltung dort war ich beeindruckt von den Menschen, dem Arbeitsklima, von den Innovationen, die dort entstehen, und von der Fertigungstiefe am Standort.“ Von der Idee, mit Start-ups bei QM und rechtlichen Fragen zusammenzuarbeiten, hat sie durch den persönlichen Kontakt früh etwas mitbekommen.

Aber natürlich haben solche Ansätze Vor- und Nachteile, sagt die Gründerin. „Es ist wichtig, sich über Konsequenzen und mögliche Risiken früh Gedanken zu machen und das auch zu besprechen“, so Gesché. Ein Beispiel: Das Start-up begibt sich in eine gewisse Abhängigkeit vom QM-System des erfahrenen Partners. Da sich Unternehmen aus internen und externen Gründen weiterentwickeln und verändern können, sei es wichtig, vertraglich zu regeln, was in so einem Fall aus der Partnerschaft würde. Auch eine regelmäßige Bestandsaufnahme beispielsweise im jährlichen Rhythmus sei sinnvoll. „Da kommt uns das modulare System sehr entgegen, das Osypka plant“, sagt die Peragraft-Geschäftsführerin.

Denkbar sind viele Varianten der Partnerschaft

Die Start-up Accelerator GmbH bietet Start-ups viel Unterstützung, lässt aber auch viel Spielraum dafür, wie die Zusammenarbeit konkret aussehen kann. „Denkbar ist eine sehr lose Zusammenarbeit, die sich zum Beispiel auf das Mieten von Räumlichkeiten beschränkt“, sagt Göttsche, „aber auch eine weiterreichende Kooperation“. Die Kernidee besteht darin, dass das Partnerunternehmen im Zuge der Kooperation gemäß des QM-Systems der Osypka AG dokumentiert.

Will das Start-up dann ein Produkt zur Zertifizierung bringen, greift das Unternehmen auf die Regulatory- und QM-Prozesslandschaft der Osypka AG zurück. Dies in Verbindung mit einer Fertigungslinie in den Produktionsräumen von Osypka bringt die Voraussetzung für eine Produkt-Zertifizierung, ohne dass das Start-Up selbst zeit- und kostenaufwendig all diese Prozesse ausarbeiten muss. Eine Beratung zum Herstellprozess oder zur Auswahl von Fertigungsanlagen ist laut Göttsche ebenfalls denkbar. Eine weitere Möglichkeit ist, das breite Technologieportfolio der Rheinfeldener zu nutzen.

Gemeinsam das QM-System nutzen – das ist wirklich eine neue Herangehensweise

Aus technischer Sicht gebe es keine Einschränkungen für die Auswahl der neuen „Mieter“ oder sogar Partner. Auch zeitlich soll die Zusammenarbeit flexibel gestaltet werden können. „Wir wollen das so offen wie möglich angehen – schließlich hat meines Wissens noch niemand Erfahrungen mit dieser Herangehensweise gemacht.“ Und auf die sind Derjung und Göttsche besonders gespannt.

Nach der Renovierung des Gebäudes ist bereits im Sommer 2019 die erste Abteilung von Osypka eingezogen. Noch sind Plätze an interessierte Start-ups zu vergeben. Damit diese von der Möglichkeit erfahren, plant Osypka Anfang 2022 ein Symposium gemeinsam mit der DGBMT, der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE. Angesprochen sind vor allem Start-ups und Hochschulmitarbeiter, die eine Ausgründung planen. Aber auch weitere KMU sind als Partner willkommen.


Weitere Informationen

Zum Start-up Peragraft:

www.peragraft.de


Über das Unternehmen Osypka

Das erste Produkt der 1977 gegründeten Osypka GmbH war eine implantierbare Herzschrittmacherelektrode. Diese kam aufgrund einer Vierfachwendelung mit lebenslanger Bruchsicherheitsgarantie in den Markt.

Das Produktspektrum wuchs bald. Mit Herzschrittmacherelektroden, implantierbaren Herzschrittmachern und permanenten Adaptern und Kupplungen machte sich das Unternehmen einen Namen. Bald folgte eine große Palette an temporären Stimulationselektroden, zusammen mit externen Herzschrittmachern – weitere Produkte kamen hinzu.

Nach eigenen Angaben werden bei Osypka aus Rohstoffen in über 100 Fertigungsprozessen innovative und bewährte Medizinprodukte entwickelt und hergestellt. Sie kommen unter dem Namen Osypka auf den Markt oder werden als Auftragsarbeit für andere internationale Unternehmen der Branche gefertigt.

Die von Ingenieur Prof. Peter Osypka gegründete Osypka GmbH firmiert seit 2008 als Osypka AG und setzt sich besonders für die Kinderkardiologie ein. Zusammen mit der Peter Osypka Stiftung unterstützt die Osypka AG internationale Projekte von Kinderkardiologen.
www.osypka.de


Kontakt zum Unternehmen:
Osypka AG
Earl-H.-Wood-Str. 1
79618 Rheinfelden
Tel. +49 (0)7623 7405–0
Fax +49 (0)7623 7405–213
E-Mail: mail@osypka.de
URL: www.osypka.de

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