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Die Dinge vom Ende her denken, das ist der Job von Florian Baer. Elektroaltgeräte, Verpackungsmaterialien oder Produktionsausschüsse: Alles, was hier in der Produktrücknahme landet, hat ausgedient. Industriemeister Baer leitet das Abfallmanagement der Dräger Gebäude und Service GmbH mit zwei Standorten in Lübeck, das nach § 56 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) als Entsorgungsfachbetrieb zertifiziert ist. „Wir holen aus den Abfällen das Bestmögliche raus, entsorgen Nichtverwertbares und halten dabei die geltenden Bestimmungen ein – zum Schutz der Umwelt“, so Bear. Scheinbaren Müll betrachtet er als Wertstoffstrom, den er zusammen mit fünf Kollegen in neue Bahnen lenkt.
Fundorte für Rohstoffe sind die Altgeräte, die Kunden nicht mehr benötigen. Das Unternehmen nimmt die Produktverantwortung seit den 1990er-Jahren sehr genau; für den gesamten Lebenszyklus seiner Medizin- und Sicherheitstechnik und darüber hinaus. Zwei Facharbeiter demontieren jährlich mehr als 100 t Medizin- und Messtechnik, Sensoren, Filter sowie andere Verbrauchsmaterialien aus Kundenrückgaben. „Für Altgeräte sind wir nach dem Elektro- und Elektronikgerätegesetz als Erstbehandlungsanlage zertifiziert“, erklärt Baer.
Edelmetalle zurückgewinnen und wiederverwerten
Dräger unterstützt die Entsorgung mit Recyclingpässen sowie Stofflisten, Skizzen und Demontage-Empfehlungen nach WEEE-Richtlinie2012/19/EU (Waste of Electrical andElectronic Equipment).
Im Trolley eines Beatmungsgerätes lassen sich beispielsweise rund 15 kg Aluminium gut identifizieren und wiederverwerten. Nach der ersten Grobdemontage verbleiben Stahl, Kupfer und Messing als Legierungen in weiteren Komponenten. Materialgemische, verschweißte und verklebte Teile, Geräteschrott oder Leiterplatten gehen an Dienstleister, die solche Bauteile trennen und sortieren können. „So sorgen wir dafür, dass unser Elektroschrott nicht auf illegalen Müllplätzen landet“, erklärt Baer.
In hochwertigen Sensoren finden sich winzige Mengen an Gold und Platin: „Was da wie Gold glänzt, ist auch Gold – meist als dünne Beschichtung, doch die lässt sich gut zurückgewinnen.“ Nach der kostenfreien Rücknahme und Demontage gehen die Sensoren in ein Metallrecycling, nachdem schließlich Gold, Silber und Platin in höchstem Reinheitsgrad ausgebracht werden.
Aus Demontage von Altgeräten Wertstoffe für die Zukunft gewinnen
Verwertbare Mengen von Platin finden sich auch in Sensoren der Alcotest-Geräte, von denen man beispielsweise mehrere Tausend Stück von der französischen Polizei zurückgenommen hat. Alle Einzelteile, Tester, Sensoren, Leiterplatten und Gehäuse werden nach der Demontage in den Kreislauf zurückgeführt. Über Deutschlands Grenzen hinweg Produkte zurückzunehmen ist nach europäischem Abfallrecht aufwendig. Bislang ist das mit komplizierten Notifizierungsverfahren und hohen Kosten verbunden. Die EU-Kommission will die Abfallverbringungsverordnung (WSR; Waste Shipment Regulation) überarbeiten.
Bei der Demontage der Altgeräte geht es um Wertschöpfung und Schadstoffentfrachtung, wie etwa beim Sauerstoffselbstretter, der im Bergbau genutzt wird. Ein Facharbeiter zerlegt das Produkt aufwendig von Hand, entfernt die Patrone, die eine Chemikalie für die Sauerstofferzeugung enthält, und entschärft den Starter. Die Kunststoffe daran sind gekennzeichnet, werden sortenrein gesammelt und verwertet.
Dräger künftig für Medizintechnik der KRH-Standorte zuständig
Mit bis zu 8 t Abfall je Tag sind Krankenhäuser der fünftgrößte Müllproduzent in Deutschland. Im Durchschnitt fallen täglich etwa 6 kg je Patient an, dreimal mehr als beim gesunden Normalbürger. Dräger achtet bereits in der Produktentwicklung auf sparsamen Materialeinsatz und gute Recyclingfähigkeit. Blau-schwarze Recyclingtonnen stehen seit Jahren bei Krankenhäusern und Industriebetrieben zur sachgerechten Rücknahme. Ein Service, mit dem Dräger bis heute weitestgehend konkurrenzlos dasteht. Baer: „Auf Wunsch übernehmen wir auch die komplette Logistik und bieten so ein Rundum-sorglos-Paket.“
Möglich macht dies der vor rund 20 Jahren gegründete Dräger Abfallwirtschaftsverband w.V. Der übernimmt für seine Mitglieder alle Aufgaben rund um ein umweltfreundliches, rechtssicheres und wirtschaftliches Abfallmanagement. Die großen Dräger-Gesellschaften in Lübeck, aber auch andere Gewerbebetriebe liefern alles, was sie nicht mehr benötigen. „Wir trennen, sortieren, führen die gesetzlichen Nachweise und erstellen Abfallbilanzen“, sagt Baer. Das Dräger-Abfallmanagement ist dabei kein Entsorger, sondern Dienstleister des Verbands. „Wir geben das Material zur Verwertung – oder, wenn dies nicht möglich ist, zum Beseitigen und Deponieren.“
In der Schadstoffanalytik sind Dräger-Röhrchen ständig im Einsatz. Ihr Reagenzsystem enthält Kleinstmengen verschiedener Chemikalien. Substanzen, die gemäß EU-Reach-Verordnung einer Zulassungspflicht unterliegen, wurden bereits in der Produktion durch unbedenklichere Stoffe ersetzt. Benutzte oder überlagerte Dräger-Röhrchen können zur Verwertung nach Lübeck geschickt werden. Dräger prüft bei seinen Produkten, ob und wo Biokunststoffe und Rezyklat eingesetzt werden können und ersetzt erste Teile von Produkten. Doch die Auflagen für Medizinprodukte sind sehr hoch.
Komplexes Rechtssystem für die Abfallentsorgung
Mindestens 35 übergeordnete kommunale, landes-, bundes- und EU-rechtliche Vorschriften, Gesetze, Verordnungen und Richtlinien sind anzuwenden, wenn man Abfälle sicher und sauber entsorgen will. Verwerten vor Beseitigen, diesen Vorrang fügt das Kreislaufwirtschaftsgesetz der umfangreichen Nomenklatur noch hinzu. Jeder neue Abfallschlüssel braucht eine eigene Genehmigung, die befristet ist. Rund 3700 t Abfall fielen 2022 bei Dräger in Lübeck an; bei einer Verwertungsquote von knapp 97 %. „Sondermüll wie Lösungsmittel, Farb- und Lackrückstände gehen in spezielle Verbrennungsanlagen“, so Baer. „Nur ein kleiner Rest wird deponiert, etwa Asbest oder Dämmstoffe.“
An oberster Stelle der fünfstufigen Abfallhierarchie des KrWG (§ 6) steht jedoch die Abfallvermeidung. Seit 2009 hat sich die gesamte Abfallmenge bei Dräger bei steigendem Umsatz auf etwas mehr als 2 t Abfall je einer Million Euro Umsatz fast halbiert. In zunehmendem Maße bestimmen EU-Richtlinien, was nötig ist, um die Ressourcen zu schonen. Bis zu 80 % der Umweltauswirkungen von Produkten haben ihren Ursprung in der Designphase‚ hat die EU-Kommission errechnet.
Seit 2015 gibt es ein systematisches Monitoring für Stoffe, deren gesetzliche Beschränkung absehbar ist oder diskutiert wird. „Nachhaltige Produkte werden künftig die Norm sein“, sagt der litauische EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius. Das im EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft vorgesehene Recht auf Reparatur ist bei Dräger ein Grundprinzip. Weltweit finden fachgerechte Wartungen und Reparaturen statt, damit Kunden von einer langen Nutzungsdauer der Geräte profitieren. Manches Material erfordert eine Komplettlösung.
Atemkalk: Nach Aufbereitung gut für die Landwirtschaft
Etwa 18 Millionen Mal im Jahr wird in Deutschland ein Patient für eine OP in künstlichen Schlaf versetzt. Jedes Narkosegerät enthält eine Kunststoffkartusche mit Atemkalk, um CO2 aus der rückgeatmeten Luft zu binden. Seit 2015 stuft die LAGA (Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall) Atemkalk als gefährlichen Abfall ein. Getrennte Sammlung und Nachweis sind seither Pflicht. Etwa alle vier Wochen muss die Trockenchemikalie ausgetauscht werden, weil sich die Absorptionsfähigkeit erschöpft.
Dräger bietet für Kalk des Typs Drägersorb800+ und Kartuschen ein umfassendes Rückhol- und Wiederverwertungskonzept an. Krankenhäuser sammeln die verbrauchten Behälter in Recycling-Tonnen, die gut verschlossen an Dräger zurückgehen, sobald sie voll sind. Ein Mitarbeiter in der Produktrücknahme löst die verbrauchte Chemikalie aus der Kartusche, die geschreddert und thermisch weiterverwertet wird. Durch die großen Mengen wird Atemkalk zum Schüttgut, auf dem Entsorgungshof gesammelt und nach der Aufbereitung zum Teil in der Landwirtschaft zur Verbesserung des Bodens eingesetzt. Rund 63 t Atemkalkprodukte wurden im Demontagezentraum 2022 zurückgenommen.
Beatmungsgeräte und mehr: Was Menschen beim Atmen unterstützt
Auch Filter für Atemschutzmasken werden bestmöglich verwertet. Die Aluminiumfilter werden gesammelt und geschreddert. Die Metallschnipsel landen im Recycling, während die Aktivkohle thermisch verwertet werden kann. Das spart Rohstoffe zur Wärmeerzeugung und ist somit eine 100-prozentige Verwertung verbrauchter Filter. Die Aktivkohle wird aus den Schalen von Kokosnüssen hergestellt – ein nachwachsender Rohstoff. Das Demontagezentrum ist seit Neuem aber auch im Kunststoffrecycling aktiv: Aus Komponenten wie Zubehörteilen sammeln die Mitarbeiter sortenreine Kunststoffe und schicken sie an die Hersteller zurück.
Für viele Polymere bleibt nur die thermische Verwertung
Zwar entfallen nur etwas 3 % der jährlichen globalen Kunststoffproduktion auf die Medizintechnik, doch bei innovativem Einsatz ist ein hochleistungsfähiger Kunststoff führend – ob für Einwegartikel, Implantate oder diagnostische Hilfsmittel. „Wir sortieren Kunststoffe in Hülle und Fülle“, so Baer. Nur ein sortenreiner Kunststoff, unlackiert, ohne Weichmacher und ohne Anhaftungen ist gut zu vermarkten. „Für die bunten Gemische aus vielen Polymeren gibt es in Deutschlandaktuell kaum einen Markt.“ Werden sie nicht abgenommen, bleibt nur die thermische Verwertung in Fachbetrieben. Bei Dräger sind das mehrere 100 t pro Jahr.
An nachhaltigen Werkstoffen kommt auch die Medizintechnik nicht vorbei
Der Energiegewinn dabei ist zwar beachtlich, für Baer aber nur die zweitbeste Lösung. Wiederverwertung ist sein Anliegen, ob als Verpackung oder in Logistik- und Lagersystemen, als Blumen- und Getränkekasten, Folie, Fensterrahmen oder Gießkanne aus Rezyklat. „Unsere Sekundärrohstoffe sind abhängig von nationalen und internationalen Märkten sowie den entsprechenden Preisen.“ Vereinbarungen mit den Abfallerzeugern über die Vergütung der Abfallmengen werden monatlich bewertet und angepasst.
Seit 2022 schreibt das Verpackungsgesetz eine Recyclingquote von 90 % vor. Bislang fehlt ein verlässlicher Markt für Rezyklate, damit die erhöhten Quoten in eine funktionierende Kreislaufwirtschaft münden können. Seit März 2020 ist zudem Hamburg Cirplus am Start, eine frei zugängliche Börse für Sekundärkunststoffe. Gehandelt wird Plastik jeden Reinheitsgrads. Ein gelber Sack ist schon für einen Cent zu haben. „Beim Abfallmanagement in einem Industriebetrieb geht es nicht darum, Geld zu verdienen“, bekräftigt Florian Baer. „Wir wollen Geld sparen, auch für unsere Kunden – und dabei die Umwelt schützen.“
Weitere Informationen
Das 1889 in Lübeck gegründete und bis heute dort ansässige Familienunternehmen der Medizin- und Sicherheitstechnik hat sich zu einem globalen börsennotierten Konzern entwickelt. Es wird in fünfter Generation von der Familie Dräger geführt. In einem jährlich erstellten Nachhaltigkeitsbericht informiert das Unternehmen zu Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelangen sowie Wirtschaft und Lieferkette.
Kontakt zum Medizintechnik-Unternehmen:
Drägerwerk AG & Co. KGaA
Moislinger Allee 53–55
23558 Lübeck
www.draeger.com