Firmen im Artikel
Das probieren wir aus.“ So eine offene Haltung ist eine gute Basis, um zu einem nachhaltigeren Medizinprodukt aus Kunststoff zu kommen. Denn der Weg dahin beginnt schon bei der Entwicklung. Oder eigentlich sogar noch davor, wie ein Projekt bei der Röchling Medical Waldachtal AG gezeigt hat: Denn was man tun kann, um ein Produkt wie den Trokar nachhaltiger zu gestalten, hat Entwicklungsexpertin und Ingenieurin Erika Unjaev schon lange vor Projektbeginn recherchiert.
„Es gibt eine Reihe von Prinzipien, die man anwenden kann, um ein Produkt nachhaltiger zu machen“, sagt Unjaev. Andere Branchen hätten dazu schon eine Menge Vorarbeit geleistet. Ob sich diese Erfahrungen auch auf die Medizintechnik übertragen lassen, hätten aber bislang nicht viele getestet.
Doch nun liegt ein Best-Practice-Beispiel vor: Anhand eines Trokars zeigen die Kunststoffspezialisten, was machbar ist, von Materialersparnis bis hin zum möglichen Recycling. Das erste Feedback dazu gab es in Nürnberg auf der Messe Medtec Live with T4M. „Die Besucher waren begeistert, endlich auf ein konkretes Projekt zu stoßen und unseren Prototypen in die Hand nehmen zu können“, sagt Unjaev. Sie und Lisanne Klink, ihre Kollegin aus dem Business Development, haben sich den Trokar wegen seiner Komplexität als Beispiel vorgenommen. So lassen sich möglichst viele Prinzipien der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft anwenden.
Ein Trokar schafft den Zugang zum Körper für die minimal-invasive Chirurgie und wird heute in großen Stückzahlen eingesetzt. Marktübliche Produkte bestehen häufig aus mindestens fünf Werkstoffen und einem Dutzend fest miteinander verbundener Bauteile.
„Wir haben solche Produkte schon gefertigt und kannten uns mit den Anforderungen und Funktionen dieses Produktes sehr gut aus“, berichtet die Projektleiterin.
Beispiel Trokar: Mehrere Prinzipien führen zum nachhaltigen Medizinprodukt
Folgende Prinzipien wollten die Beteiligten auf ihr Beispielprodukt anwenden:
- Designoptimierung
FEM-Simulationen und Strömungsanalysen wurden genutzt, um das Design zu verschlanken, Material zu sparen und die Bauteilanzahl zu reduzieren. - Design for Disassembly
Fest verbundene Bauteile zur Entsorgung zu demontieren, ist aufwendig oder nicht möglich. Daher sollten Komponenten durch sichere, aber lösbare Verbindungen einfach zu montieren und demontieren sein. - Materialauswahl
Für den Trokar sollten weniger Werkstoffvarianten und umweltfreundlichere oder biobasierte Werkstoffe eingesetzt werden, die unter anderem einen geringeren CO2-Fußabdruck als das herkömmliche Polycarbonat aufweisen. - Design for Recycling
Um die Möglichkeit für künftiges Recycling offen zu lassen, sollten es Werkstoffe sein, für die es schon Recyclingsysteme gibt.
Doch es gab Überraschungen. Zum Thema Trokar war bei Röchling Medical Waldachtal viel Wissen vorhanden, das sich aus jahrelanger Tätigkeit als Entwicklungspartner und Lösungsanbieter für Medical Devices ergeben hatte. Genau das erwies sich zunächst eher als Hemmschuh. „Die größte Herausforderung war, freier zu denken und sich von bisherigen Designs zu lösen“, berichtet Unjaev. „Aber wenn man sich von den existierenden Lösungen entfernt, geht mehr, als man zunächst für möglich gehalten hätte.“
CO2-Fußabdruck des nachhaltigen Medizinprodukts ist halbiert
Konkret heißt das: Der nachhaltige Best-Practice-Trokar besteht nur aus acht Bauteilen statt zwölf. Das Gewicht ist um etwa ein Drittel reduziert. Die Komponenten können durch modulares Design leicht montiert und demontiert werden. Verwendet wurden drei Werkstoffe:
- Polypropylen (PP), das unter den rohölbasierten Kunststoffen zu den umweltfreundlichsten gehört, für die Trokarhülse,
- Silikon für die Dichtungen und
- biobasiertes Polylactid (PLA) für den Trokardorn.
Welche Einzelkomponente aus welchem Werkstoff besteht, können Anwender anhand dreidimensionaler Strukturen an den Bauteilen erkennen. „Diese Kennzeichnung ist ebenso wichtig wie die Materialauswahl selbst“, sagt Unjaev. Denn wenn im Krankenhaus die Steckverbindungen gelöst werden, muss auch klar sein, in welchen Sammelbehälter der Trokar bei einer Materialtrennung gehört.
Trotz der Herausforderungen lässt sich also ein komplexes Medizinprodukt nachhaltiger entwickeln. „Auf Basis jahrelanger Forschungsarbeit und nach intensivem Wissensaufbau haben wir im März mit der Umsetzung begonnen,“ sagt Lisanne Klink, „und konnten so schon Ende Mai den Prototypen zeigen.“ Neben dem 3D-Druck-Designmodell haben die Beteiligten auch die Spritzgusseigenschaften des biobasierten PLA-Werkstoffes getestet. „Wir hatten das Spritzgusswerkzeug für einen Trokardorn aus einem anderen Projekt und konnten den Dorn gleich auf der Maschine bemustern“, sagt Unjaev.
Im Entwicklungsprozess war von Anfang an klar, dass der Prototyp die Anforderungen der Medizintechnik an Sicherheit, Biokompatibilität und Sterilisierbarkeit erfüllen musste. „Dass es biobasierte Werkstoffe gibt, die diesen Anforderungen entsprechen, habe ich durch Zufall beim Networking zu einer Konferenz erfahren, im direkten Austausch mit Biovox aus Darmstadt“, berichtet die Ingenieurin. Der Einsatz von Rezyklaten hingegen – ein gutes Prinzip für nachhaltigere Produkte in vielen Branchen – war wegen der regulatorischen Vorgaben außen vor.
Global-Warming-Potenzial des nachhaltigen Trokars um 51 Prozent gesenkt
Wenn man also alle gangbaren Prinzipien anwendet, was lässt sich für ein Medizinprodukt erreichen? „In Bezug auf die Materialherstellung und -verarbeitung haben wir das Global-Warming-Potenzial um 51 Prozent senken können“, fasst Erika Unjaev zusammen. „Rund 18 Prozent entfielen dabei auf das Design, 33 Prozent waren darauf zurückzuführen, dass wir umweltfreundlichere Werkstoffe eingesetzt haben“, ergänzt Lisanne Klink.
Beide betonen aber, dass neben dem Materialwechsel auch andere Aspekte eine Rolle für die ganzheitliche Nachhaltigkeit spielen. „Auch die Ansätze der Kreislaufwirtschaft müssen miteinbezogen werden. Hierzu gehört beispielsweise die Kennzeichnung der Werkstoffe auf dem Produkt.“ Künftig wollen die Beteiligten ausgehend vom Best-Practice-Beispiel die Nachhaltigkeitsprinzipien auf weitere Produkte anwenden – und mit ihren Auftraggebern kreislauffähige Medizinprodukte auf den Markt bringen.