Eine halbe Stunde Fahrtzeit oder mehr zu einem Krankenhaus, das die Bereiche Allgemeine Innere Medizin oder Allgemeine Chirurgie anbietet – aktuell müssen das jeweils mehr als 300 000 Patienten in Baden-Württemberg einplanen. Das bedeutet schon jetzt eine Unterversorgung für diese Leistungsgruppen. Doch das ist nur die Ausgangssituation, die eine Machbarkeitsstudie Telemedizin Baden-Württemberg analysierte. Das Softwareunternehmen Bindoc GmbH führte sie im Auftrag des Bosch Health Campus durch. Folgende Fragen sollte sie beantworten: Wie groß werden die Versorgungslücken nach der geplanten Krankenhausreform in Baden-Württemberg sein? Und welches Potenzial hat die Telemedizin, Lücken zu schließen?
Unterversorgung wird sich verdoppeln
Wie eine modellhafte Simulation der Versorgungslandschaft in Baden-Württemberg zeigt, wird sich die Unterversorgung im stationären Bereich nach der Umsetzung der geplanten Krankenhausreform für die Bereiche Allgemeine Innere Medizin oder Allgemeine Chirurgie mindestens verdoppeln. Auf diese beiden Leistungsgruppen fokussierte sich die Studie.
In ihnen steigt eine nicht ausreichende Versorgung von jeweils 3 % nach der Krankenhausreform auf 6 % beziehungsweise 8 % an. Demnach müssten 686 252 respektive 860 559 Bewohner in Baden-Württemberg zu lange Fahrtzeiten in Kauf nehmen, um eine angemessene Behandlung zu erhalten.
Die längsten Fahrtzeiten identifiziert die Machbarkeitsstudie im ländlichen Raum wie beispielsweise dem Schwarzwald oder der Schwäbischen Alb. Patienten in städtischen Regionen wie Stuttgart oder Heidelberg sind dagegen am kürzesten unterwegs.
Telemedizin als Schlüssel für Versorgungssicherheit
Des Weiteren untersuche die Studie, inwieweit der Einsatz von Telemedizin eine mögliche Lösung für die gestiegene Unterversorgung durch die geplante Krankenhausreform sein kann. Die Auswertung macht deutlich, dass die nicht ausreichende Versorgung in beiden Leistungsgruppen durch telemedizinische Unterstützung jeweils nahezu vollständig kompensiert werden könnte.
So verbessert sich die Fahrtzeit im Bereich Allgemeine Innere Medizin für 364 092 Personen, die Unterversorgung sinkt von 6 % auf 3,28 %. Für die Allgemeine Chirurgie sind es 420 071 Personen und eine Verringerung der Unterversorgung von 8 % auf 3,78 %.
Eine telemedizinische Kompensation liegt dabei vor, wenn beispielsweise Ärzte eines Krankenhauses bei komplexen Behandlungen digital von Spezialisten eines anderen Krankenhauses im Sinne von so genannten Telekonsilen beraten werden. Besonders der ländliche Raum profitiert von der Aktivierung einer solchen telemedizinischen Unterstützung.
„Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Telemedizin ein fester Bestandteil in der Versorgung werden sollte, damit eine patientengerechte, wohnortnahe Behandlung auch in Zukunft möglich sein wird. Das Potenzial, durch Telemedizin Versorgungslücken in Baden-Württemberg fast vollständig zu schließen und dabei noch Ressourcen einzusparen, dürfen wir nicht ungenutzt lassen“, sagt Prof. Mark Dominik Alscher, Geschäftsführer des Bosch Health Campus.
Telemedizin flächendeckender einsetzen
Die Studie verzeichnet außerdem einen geringeren Ressourcenbedarf an den untersuchten Klinikstandorten durch telemedizinische Unterstützung. So sind für die Allgemeine Innere Medizin beispielsweise 20 Krankenhausstandorte weniger für eine vergleichbare Versorgungssituation notwendig, bei der Allgemeinen Chirurgie sogar 22.
„Es ist an der Zeit, Telemedizin in Baden-Württemberg flächendeckender einzusetzen, die Einrichtungen telemedizinisch untereinander zu vernetzen und so das enorme Potenzial für die Gesundheitsversorgung auszuschöpfen. Dazu gehört auch, solche digitalen Ansätze den Menschen näher zu bringen und greifbarer zu machen“, sagt Prof. Oliver G. Opitz, Leiter des Bosch Digital Innovation Hub am Bosch Health Campus.
Für die restlichen Leistungsgruppen zeichnet sich ein noch deutlicheres Ergebnis ab, die Lücken in der stationären Versorgung durch den Einsatz von Telemedizin erheblich verringern zu können. Die Studie bezog insgesamt 269 Krankenhausstandorte und 60 Leistungsgruppen (LG) ein, mit Fokus auf die Allgemeine Innere Medizin und die Allgemeine Chirurgie.
Diese beiden Gruppen machen laut Analysen der Bindoc GmbH zusammen etwa 40 % der stationären Fälle in Deutschland aus. Die Ergebnisse aus den beiden Leistungsgruppen verwendeten die Forschenden dazu, modellhaft mögliche Lösungsansätze zur Vermeidung von Versorgungslücken durch Telemedizin aufzuzeigen.