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Zu früher Markteintritt hat der Sache geschadet

Abbaubare Implantate: Für gute Produkte aus Kunststoff oder Metall gäbe es einen Markt
Zu früher Markteintritt hat der Sache geschadet

Zu früher Markteintritt hat der Sache geschadet
Unfallchirurgin und Orthopädin Prof. Dr. med. Annelie Martina Weinberg leitet das Laura-Bassi-Zentrum in Graz und hat das Bric-Projekt koordiniert
Zu wenig ausgereift waren die ersten abbaubaren Implantate, und Mediziner haben damit zum Teil schlechte Erfahrungen gemacht. Die Skepsis wirkt nach. Dabei sieht Unfallchirurgin und Orthopädin Prof. Dr. med. Annelie Martina Weinberg gute Ansätze.

Frau Professor Weinberg, Sie beteiligen sich an der Forschung zu abbaubaren Implantaten. Für welche Einsatzgebiete sind die abbaubaren Implantate interessant?

Wir reden hier von Implantaten, die Knochen nach Verletzungen so lange stabilisieren sollen, bis diese selbst wieder in der Lage sind, die Belastungen im Körper zu tragen. Implantate aus Metallen, wie sie heute in der Traumatologie eingesetzt werden, haben im Wesentlichen zwei unerwünschte Eigenschaften. Sie sind nicht in allen Fällen so biokompatibel, wie es sich Mediziner wünschen würden. Und sie werden in der Regel wieder entfernt, sobald sie ihre Aufgabe erfüllt haben. Für die Patienten sind abbaubare Implantate aus beiden Gründen interessant. Die Möglichkeit, auf das operative Entfernen des Implantats – also einen zweiten Eingriff – zu verzichten, fällt bei der Behandlung von verletzten Kindern allerdings ganz besonders stark ins Gewicht.
Abbaubare Implantate gibt es auf der Basis von Kunststoffen oder auch von Magnesium. Wie bewerten Sie diese Ansätze?
Bei den Kunststoffen können wir Erfahrungen bewerten, die wir mit Implantaten aus Polylactiden und solchen aus PHB gemacht haben. Sie können nicht ganz so große Belastungen aushalten wie Implantate aus Metall, aber sie eignen sich zum Beispiel für Knochenschrauben, mit denen Verletzungen an der Schulter und am Kreuzband behandelt werden können. Bei beiden Kunststoffen gibt es aber Vor- und Nachteile. Polylactide werden im Körper in einer Geschwindigkeit abgebaut, die dem nachwachsenden Knochen in vielen Fällen recht gut entspricht. Der schnelle Abbau aber senkt den pH, so dass das Gewebe zu sauer wird und auf den Fremdkörper mit einer Entzündung reagiert. Beim Abbau PHB-basierter Implantate entsteht ein alkalischerer pH-Wert, was das Gewebe besser verträgt. Allerdings werden sie auch viel langsamer abgebaut – und für die Kinder-Unfallchirurgie ist eine Verweildauer von fünf Jahren bis zum Verschwinden des Implantates viel zu lang. Dennoch denke ich, dass man wegen der besseren Verträglichkeit in dieses Forschungsfeld mehr Energie stecken und Composites entwickeln und untersuchen sollte, die alle erforderlichen Eigenschaften vereinen.
Und wie sieht es mit den Magnesium-basierten Implantaten aus?
Dazu gibt es bemerkenswert viele Projekte und viel versprechende Ergebnisse. Allerdings sind die bisherigen Lösungen für die Behandlung von Kindern nicht gut geeignet. Dem Magnesium werden Metalle aus der Gruppe der Seltenen Erden zugesetzt, um den Abbau und die Stabilität zu beeinflussen. Diese Elemente allerdings vertragen Kinder nicht. Wir denken da über Alternativen nach. Allerdings sollte man darüber nicht sprechen, bevor Großtierversuche gelaufen sind, und das wird erst Mitte 2014 der Fall sein. Insgesamt aber halte ich sowohl die Kunststoff-basierten als auch die Metall-basierten Werkstoffe für interessant.
Ersetzen die abbaubaren Varianten nur bisherige Implantate oder ermöglichen sie eventuell sogar neue Therapien?
Neue Therapien sind durchaus denkbar, gerade wenn man in die Richtung der Drug Eluting Systems schaut. Auch daran arbeiten wir.
Wie offen sind Mediziner für den Einsatz abbaubarer Implantate?
Sie sind sehr vorsichtig damit. Das liegt daran, dass die ersten abbaubaren Implantate, die auf den Markt kamen, nicht ausgereift genug waren. Sie waren nicht lange genug getestet worden, und so gab es zum Teil Komplikationen damit. Der Aufwand, ein Produkt zu entwickeln, das allen Anforderungen entspricht, ist natürlich sehr hoch und nicht in ein oder zwei Jahren zu erbringen. Gerade die längerfristigen Großtierversuche verursachen hohe Kosten. Aber der Verzicht darauf und der frühe Markeintritt haben meiner Meinung nach der Sache geschadet. Denn nun will die Sache eigentlich keiner mehr so recht anfassen.
Sie stehen noch am Anfang der Forschung. In welchem Zeitraum könnte sich Ihrer Erfahrung nach ein Markt für abbaubare Implantate entwickeln?
Sofort. Es gibt immer Verletzungen, und die PHB-basierten Ansätze lassen sich sicher so weiterentwickeln, dass eine zufriedenstellende Abbaugeschwindigkeit im erwachsenen Körper erreicht wird. Und gerade bei Kindern wären uns gute abbaubare Produkte, die gleichwertig zu den bisherigen metallenen Implantaten oder gar besser sind, sehr willkommen. Allerdings sind Implantate aus Stahl oder Titan im Markt so etabliert, dass sich ein Hersteller quasi selbst Konkurrenz machen würde mit einem solchen neuen Produkt. Von daher erwarte ich nicht, dass die Investitionen in die Forschung in nächster Zeit erfolgen.
Welche Chance haben Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen?
Dieser Ansatz hat, wie ich finde, seinen Charme, denn die Werkstoffe sind auf lange Sicht unbegrenzt verfügbar. Man muss einfach damit anfangen. Sehen wir uns doch das Beispiel der Erneuerbaren Energien an. Was sich da bis heute getan hat, hätte vor 30 Jahren auch keiner geglaubt.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen: Über das Projekt Bio Resorbable Implants for Children (Bric) an der TU Graz und MU Graz Über die Möglichkeiten von Biokunststoffen hat medizin&technik ausführlich in der Ausgabe 5/2013 berichtet.
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