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Technik braucht ethische Grenzen

Roboter in der Pflege: Menschliche Kontakte sind unersetzlich
Technik braucht ethische Grenzen

Technik braucht ethische Grenzen
Adelheid von Stösser ist die Vorsitzende des Pflege-Selbsthilfeverbandes e.V. in St. Katharinen
Wenige Pflegekräfte, viele Patienten, steigende Kosten: Da liegt die Idee nahe, Aufgaben in der Pflege an Roboter zu delegieren. Adelheid von Stösser vom Pflege-Selbsthilfeverband lehnt Technik zwar nicht ab. Ihr fehlt aber die Diskussion darüber, wie weit die Automatisierung gehen darf.

Frau von Stösser, Sie vertreten ein Pflegekonzept, in dem die menschliche Ansprache einen hohen Stellenwert hat. Wo ist der Einsatz von technischen Hilfsmitteln dennoch sinnvoll?

Da die Pfleger und Pflegerinnen oft körperlich anstrengende Aufgaben übernehmen, ist das, was ihre Kräfte schont, zu begrüßen. Und für die Patienten ist es von Vorteil, wenn ihnen Hilfsmittel zur Verfügung stehen, die sie so mobil wie möglich machen oder ihnen Sicherheit geben. Allerdings muss man immer die Frage stellen, ob ein Produkt im Alltag nicht zur Bequemlichkeit verleitet. Viele Pflegebedürftige können sich in gewissen Grenzen bewegen und sollten das auch tun, da es ihre Muskeln kräftigt. Statt also eine Kombination aus Lift und Hightech-Rollstuhl anzubieten, wäre es vielleicht sinnvoller, das Pflegebett anders zu gestalten: so, dass es sich absenken lässt, der sitzende Patient mit beiden Füßen den Boden erreicht und ohne Sturzrisiko sicher aufstehen und losgehen kann.
Wie zufrieden sind Pflegekräfte mit den Geräten an ihrem Arbeitsplatz?
Optimierbar ist auf jeden Fall die Bedienerfreundlichkeit. Bei einem schweren Patienten im Wachkoma habe ich beobachtet, dass dieser Mann selten aus dem Bett geholt wird: nur dann, wenn gerade der eine Pfleger Dienst hat, der sich mit den Funktionen des Lifts gut genug auskennt. Das ist kein Zustand, und die Entwickler könnten deutliche Verbesserungen erzielen, wenn sie sich intensiver mit den Anwendern über deren Bedürfnisse austauschen.
Was könnte ein Roboter in diesem Umfeld bieten, damit er nützlicher wäre als bisherige Hilfsmittel?
Das lässt sich nicht in einem Satz beantworten. Je nachdem, aus welcher Perspektive Sie die Frage betrachten, kommen Sie zu anderen Schlussfolgerungen. Derzeit wird vor allem nach Wegen gesucht, möglichst viele Menschen mit möglichst wenig Aufwand zu betreuen. In diesem Sinne wäre es nützlich, einem Roboter viele Aufgaben zu übertragen, die bisher ein Pfleger wahrnimmt. Und je passiver sich die Patienten dabei verhalten, desto einfacher wäre es. Menschlicher Kontakt bliebe dabei wohl auf der Strecke. Für den einzelnen Patienten ist das aber nicht nützlich, da er dann weniger kommuniziert, seltener von einem anderen Menschen berührt und von einer Maschine auch nicht zu selbsttändigem Handeln angeregt wird. All das aber tut Menschen – gerade den Alten oder Kranken – gut.
Welche Aufgaben würden Pflegekräfte gern an ein Gerät abgeben?
Es ist anstrengend, Patienten aus dem oder ins Bett zu heben. Das Essen anzureichen ist zeitintensiv und fordert viel Geduld. Es braucht Takt, einen Erwachsenen zu waschen, ohne sein Schamgefühl und seine Würde zu verletzen. Und jemanden zu versorgen, der die Toilette nicht mehr aufsuchen kann, zählt für Pflegende mit zu den unangenehmsten Aufgaben. Sicher wären viele von der Idee angetan, diese Tätigkeiten einer Maschine zu überlassen.
Halten Sie das für sinnvoll?
Von Hilfsmitteln beim Heben der Patienten einmal abgesehen – nein. Und wenn man die Perspektive wechselt, wird auch schnell klar, warum. Je abhängiger ein Mensch von der Hilfe anderer ist, desto wichtiger ist für ihn das Gefühl, verstanden und geliebt zu werden. Eine Maschine könnte dieses Gefühl nicht vermitteln. Umgekehrt bietet die Körperflege eine sehr gute Gelegenheit für Kontakt. Da es viele Beschäftigte im Pflegebereich gibt, denen das echte Berühren der Patienten Probleme macht, müssen wir eher hier ansetzen und deren Ausbildung verbessern.
Wie realistisch ist dieser Gedanke?
Zwei Pflegepioniere aus Frankreich, Yves Gineste und Rosette Marescotti, haben eine Methode entwickelt, die genau dieses Vorgehen beschreibt. Und es ist anrührend zu sehen, mit wie wenig Aufwand selbst die so genannten schwierigen Patienten zur Kooperation bereit sind, wenn sie menschliche Ansprache erfahren. Es sind vielleicht drei Minuten, die man nach diesem Ansatz aufwenden muss, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Der Aufwand mit einem technischen System wäre unvergleichlich viel größer. Denn wenn sich ein Patient in sich zurückzieht und dagegen wehrt, von Menschen zum Waschen aus dem Bett geholt zu werden, wird die Situation nicht einfacher, wenn eine Maschine seine Schranken überwinden soll.
Wie könnten Ingenieure vorgehen, um sinnvolle Hilfsmittel bereitzustellen?
Je mehr sie sich mit den Mitarbeitern in der Pflege austauschen, desto besser. Ich habe auch schon Vorschläge zugeschickt bekommen mit der Bitte, dazu eine Meinung abzugeben. Solcher Austausch mit der Praxis dient sicher der Sache.
Wie bewerten Sie bisherige Forschungsansätze zu Robotern in der Pflege?
Derzeit sind wir noch weit davon entfernt, mit mechanischen Pflegehelfern Zeit oder Personal zu sparen. Und ich würde uns wünschen, dass wir uns – bevor die Technik weiterentwickelt wird – zunächst auf die Ethik dafür einigen. Dann kann die Technik in deren Grenzen vorankommen.
Gibt es Ansätze dafür?
Dieser Teil der Diskussion fehlt bisher leider völlig. Niemand hat definiert, wie weit wir mit der Automatisierung gehen wollen. Daher gibt es bislang im Grunde nichts, was uns auf dem einmal eingeschlagenen Weg aufhalten könnte, der zu einer serienmäßigen Beaufsichtigung und Befriedigung körperlicher Bedürfnisse von pflegebedürftigen Menschen durch Roboter führt. Statt Individuum zu bleiben, müsste sich der Patient dann so verhalten, dass er sich möglichst gut in einen wirtschaftlichen Betrieb der Maschinen einfügt. Notfalls mit Hilfe von Medikamenten. Sollte es soweit kommen, bedeutete das für mich das Ende unserer Kultur.
Wie ließe sich dieser Trend abwenden?
Bisher liegt das Pflege-Thema vor allem in den Händen der Technik-Experten und Leistungsanbieter, die sich im bestehenden System zu positionieren versuchen. Eine Chance auf Veränderungen besteht nur, wenn sich Sozialpolitiker und Betroffene stärker zu Wort melden, an der Wurzel ansetzen und das Thema Pflege anders angehen. Wir konzentrieren uns noch zu sehr auf Symptome und die körperliche Versorgung. Mit mehr Prävention und menschlicher Zuwendung hätten wir vielleicht manches Problem nicht, das uns heute finanziell unlösbar erscheint.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Auf Adelheid von Stösser gehen die so genannten Stösser-Standards zurück, die Anfang der 90er Jahre aus der Praxis entwickelt wurden und vielerorts als Basis für die Arbeit in der Pflege dienen. www.pflegekonzepte.de

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