Plasma hilft bei der Wundbehandlung, könnte gegen Karies nützlich sein oder Tumorzellen ausschalten. Warum die Geräte noch nicht optimal sind, erläutert Prof. Hans-Robert Metelmann vom Nationalen Zentrum für Plasmamedizin.
Herr Professor Metelmann, warum sind Plasmaanwendungen in der Medizin ein wichtiges Forschungsgebiet?
Das, was uns in der Plasmamedizin derzeit beschäftigt, sind die Anwendungen von Niedertemperatur-Plasma bei Atmosphärendruck, das mit dem Körper in direkten Kontakt kommt und zum Beispiel die Wundheilung fördert. Es gibt auch Grund zu der Annahme, dass diese Art Plasma für die Krebstherapie geeignet sein könnte. Wir begeben uns damit in ein ganz neues Einsatzgebiet: Denn lange Zeit ging es in der Medizin nur um heißes Plasma, dessen hohe Temperatur zum thermischen Veröden von Gefäßen genutzt wird. Aber die Möglichkeiten sind damit eben noch längst nicht erschöpft, und das macht die Forschung so interessant
Welche Anwendungen von „kaltem“ Plasma werden derzeit untersucht?
Das am besten untersuchte Gebiet ist die Behandlung von Wunden und entzündeten Hautpartien. Das kalte Plasma bei Atmosphärendruck wirkt hier auf komplexe Weise: über UV-Strahlen, reaktive Verbindungen und elektrische Felder. Das Zusammenspiel dieser Faktoren verlangsamt das Wachstum von Bakterien erheblich, was die Heilung beschleunigt. Für entsprechende Geräte gibt es schon Zulassungen als Medizinprodukt. Dieser Effekt wäre aber auch im OP-Umfeld interessant, um der Entzündung einer OP-Wunde vorzubeugen. Darüber hinaus könnte Plasma das Wachstum von Karies auslösenden Bakterien im Zahnschmelz stoppen oder Entzündungen an Implantaten verhindern. Der Einfluss des ‚Plasma-Cocktails‘ ist allerdings auch an Krebszellen nachweisbar. Da sind wir noch in der Grundlagenforschung, aber ich sehe in der Onkologie das größte Potenzial für Plasmamedizin.
Was könnte Plasma hier leisten?
Bisher können wir einen Tumor mit dem Skalpell entfernen oder durch Strahlen oder chemische Substanzen schädigen. In der Regel bleibt dann im Gewebe ein Loch zurück – und das ist nicht akzeptabel, wenn sich ein Nest von Krebszellen zum Beispiel direkt an der Hauptschlagader befindet. Das kalte Plasma hat hingegen einen anderen Effekt: Es schaltet die Tumorzellen sozusagen ab und leitet deren Zelltod ein, die Apoptose. Es dauert ein bis zwei Tage, bis die Tumorzellen wirklich zu Grunde gehen. In dieser Zeit schließen die gesunden Nachbarzellen bereits die Fehlstelle, ohne dass ein Loch entsteht. Das könnte es ermöglichen, auch winzige Krebszellnester selbst in ungünstiger Lage im Gewebe zu zerstören.
Welche Risiken bringt der Einsatz von Plasma am menschlichen Körper mit sich?
Was Studien zu diesem Thema zeigen, haben wir im Juni in einem Positionspapier des Nationalen Zentrums für Plasmamedizin veröffentlicht. Dafür wurde Daten ausgewertet, die zur Indikation ‚Wundheilung‘ erhoben wurden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass selbst umfangreiche Langzeitstudien bisher keine Anzeichen für gravierende Nebenwirkungen zeigen: Es gibt keine Hinweise auf Schäden an der Erbsubstanz oder ein erhöhtes Krebsrisiko.
Entsprechen die verfügbaren Geräte den Anforderungen der Mediziner?
Bei der Technik brauchen wir auf jeden Fall einen großen Schritt nach vorn. Wir haben zwar Geräte, die nach unterschiedlichen Prinzipien das kalte Plasma erzeugen. Aber bisher sind diese relativ groß, die kalte ‚Plasma-Flamme‘ im Verhältnis winzig: Bei einem Behandlungsdurchmesser von etwa drei Millimetern und einer Einwirkzeit von einer Minute dauert die Behandlung einer großflächigen Entzündung einfach zu lange. Es gibt aber Ansätze, mit Hilfe einer Matte oder eines harkenähnlichen Konzepts mit zahlreichen benachbarten Plasmaquellen das Problem zu lösen. Darüber hinaus müssen wir mehr über die Zusammensetzung des jeweils erzeugten Plasmas lernen – und darüber, wie wir stabile Mischungen erhalten. Denn Temperatur und Feuchte der Luft während der Behandlung können den Plasmacocktail ebenso beeinflussen wie Moleküle, die von der Haut des Patienten aufsteigen und Teil des Plasmas werden.
Welche Rolle spielt Deutschland in der Plasmaforschung?
Das Thema wird natürlich weltweit vorangetrieben. Deutschland hat aber derzeit eine Vorreiterrolle, was auch darauf zurückzuführen ist, dass Fördermittel vom Bund oder auch vom Land Mecklenburg-Vorpommern die Entwicklungen vorangebracht haben. In Greifswald haben wir darüber hinaus die spezielle Situation, dass Plasmaphysiker und Mediziner in direkter Nachbarschaft forschen. Das ist mit ein Grund dafür, das hier das erste zugelassene Gerät für die Behandlung mit Niedertemperaturplasma entwickelt wurde. Im Nationalen Zentrum für Plasmamedizin in Berlin führen wir darüber hinaus seit dem vergangenen Jahr alle fachlichen Kompetenzen zusammen. Damit wollen wir auch in den kommenden Jahren auf dem Gebiet vorankommen.
Was ist als nächstes zu tun?
Wir brauchen in den nächsten Jahren eine strukturierte Anwendungsbeobachtung, am liebsten in klinischen Studien. Damit soll die Frage beantwortet werden, in welchem Zusammenhang das kalte Plasma nutzbringend eingesetzt werden kann. Erst wenn wir dazu leitlinienfähige Ergebnisse haben, wird die Therapie von Kassenärzten angewendet werden – was für den wirtschaftlichen Erfolg entscheidend sein wird. Als eher nachteilig wäre ein unstrukturiertes Ausprobieren anzusehen: Sollten irgendwo Nebenwirkungen auftreten, wird es dann schwierig, Ursachen ausfindig zu machen – und vielleicht rufen solche Unsicherheiten eine Skepsis hervor, die nützlichen Plasmaanwendungen im Wege steht. Solche Effekte gab es ja bei der Einführung der Lasermedizin.
Wie groß ist das Interesse der Industrie an medizinischen Plasmaanwendungen?
Bisher sind es vor allem kleine spezialisierte Unternehmen, die sich des Themas annehmen und bei der Entwicklung vorangehen. Meiner Meinung nach wären auch Betriebe, die sich mit Laseranwendungen in der Medizin befassen, ideale Partner für weitere Innovationen. Diese halten sich aber anscheinend noch zurück – die anstehenden Studien sind wegen der hohen Auflagen bei neuen Behandlungsverfahren mit erheblichen Kosten verbunden.
Welches Potenzial hat die Plasmamedizin?
In der Krebstherapie hätte das Plasma mit seinen Eigenschaften und seiner Wirkung ein Alleinstellungsmerkmal, was viel versprechend ist. Möglicherweise gibt es auch einen Markt im Kosmetikbereich, beispielsweise für die Behandlung von entzündlichen Hauterkrankungen wie der Akne. Und es gibt einzelne Fallstudien aus den USA, in denen davon die Rede ist, dass durch Plasmaanwendungen Falten entfernt werden können – auch dieses mag natürlich ein Markt werden.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Plasma – auch in der Medizin
Als Plasma bezeichnet man ein (teilweise) ionisiertes Gas. Da es elektrisch leitfähig ist, weist es eine Reihe besonderer Eigenschaften auf. Künstlich erzeugtes heißes Plasma wird in der Industrie zum Beispiel zur Oberflächenbehandlung von Bauteilen oder auch Implantaten bereits genutzt. Diese bekommen durch den Kontakt mit dem künstlich erzeugten, meist heißen Plasma neue Eigenschaften oder werden dekontaminiert. Heißes Plasma wird seit vielen Jahren auch zum Veröden von Gefäßen bei der Operation genutzt.
Künstlich erzeugtes kaltes Plasma kommt in der Plasmamedizin in direkten Kontakt mit menschlichen oder tierischen Zellen. Nach gegenwärtigem internationalem Stand der Forschung sind reaktive Stickstoff- und Sauerstoffspezies (RNS, ROS), UV-Strahlung und elektrische Felder die wesentlichen Wirkkomponenten solcher kalter Atmosphärendruckplasmen. Diese Komponenten werden in verschiedenen Plasmaquellen in unterschiedlichem Maß wirksam.
Um die medizinischen Möglichkeiten, die Plasma bietet, genauer zu erforschen, wurde im Sommer 2013 in Berlin ein deutschlandweites Netzwerk aller Forschergruppen auf diesem Gebiet gegründet: das Nationale Zentrum für Plasmamedizin. Es soll unter anderem der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung Impulse geben, über Ergebnisse der Forschung und neue Trends im Bereich Plasmamedizin informieren und sich an Verbundprojekten beteiligen. Weitere Informationen: www.plasma-medizin.de
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