Orthopädie | Was könnte bei Arthrose anstelle der klassischen Endoprothese helfen? Dr. Holger Jahr, der das Orthopädische Forschungslabor der Aachener Uniklinik leitet, erläutert, was ein Hüftkopf-Überzug aus Polyurethan bringen könnte und warum sich die Gesellschaft mehr um Übergewicht und Bewegungsmangel kümmern sollte.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Herr Dr. Jahr, woher kam die Idee, einen Hüftkopf-Überzug zu entwickeln?
Seit einiger Zeit steigen die Zahlen von Hüftoperationen, in denen Endoprothesen eingesetzt werden, und parallel dazu werden die Patienten immer jünger. Dieser Trend wird sich nach bisherigen Erkenntnissen fortsetzen. Das liegt zum einen daran, dass der Anteil der Menschen mit Übergewicht steigt und deren Gelenke stärker belastet werden. Zum anderen betreiben immer mehr Menschen extreme Sportarten, die die Gelenke beanspruchen, oder ein zu viel an Sport führt zu Überlastungen. Wenn sich aus zunächst kleinen Schäden eine Arthrose entwickelt, bleibt meist nur noch die Endoprothese, um den Schmerzen ein Ende zu setzen. Aber selbst die besten Prothesen halten nicht ewig und können nicht beliebig oft ausgetauscht werden. Daher suchen wir im Projekt Miohip nach einer Alternative – und setzen unsere Hoffnung auf den Hüftkopf-Überzug.
Was wäre mit dem Überzug möglich?
Wir wollen den direkten knöchernen Kontakt zwischen Hüftkopf und Hüftpfanne vermeiden, der bei Arthrose die chronischen Schmerzen verursacht. Dafür soll der Hüftkopf mit einem speziellen Polyurethan ummantelt werden, das wie ein Stoßdämpfer wirkt. Dass so ein Ansatz grundsätzlich funktioniert, zeigt das Beispiel einer künstlichen Hüftgelenksteilprothese mit Polyurethan-Einlage in die Hüftpfanne. Hierbei wird aber noch immer im Bereich der Hüftpfanne eine metallische Prothese eingebracht. Wenn wir unsere Ziele erreichen, können wir vor allem bei jungen Patienten den Einsatz des künstlichen Gelenks um eine Reihe von Jahren hinausschieben. Das wäre ein großer Gewinn.
Welches sind die größten Hürden, die es dabei zu überwinden gilt?
In die Materialauswahl habe ich großes Vertrauen, denn Polyurethan hat sich im Knie bewährt. Den Überzug selbst so zu gestalten, dass er über unterschiedliche Hüftköpfe passt, ist eine Herausforderung für die Technik. Geplant ist, einen klettverschlussähnlichen Mechanismus vorzusehen. Auch laufen Tests zur Porosität der Oberfläche, die sehr belastbar sein muss, aber auch von Zellen besiedelt werden soll und daher den Transport von Nährstoffen zulassen muss. Aber am spannendsten ist wohl die minimal-invasive Operationstechnik, die wir entwickeln wollen. In einem Hüftgelenk ist sehr wenig Platz, um zusätzliche Elemente unterzubringen.
Für welche Erkrankungen ist dieser Ansatz interessant?
Wir haben den Fokus auf die Arthrose gelegt. Aber grundsätzlich lohnt es sich, über andere Anwendungen nachzudenken, in denen Gelenke oder Knochen vor Überlastung geschützt werden sollen.
Wann wäre mit der Zulassung entsprechender Produkte zu rechnen?
Das Projekt Miohip umfasst nur die Entwicklung und ist auf drei Jahre angelegt. Erst im Anschluss können klinische Studien laufen. Wenn also ein Produkt 2025 auf den Markt käme, wäre das sehr schnell. Aber noch arbeiten wir ja an den Grundlagen.
Welche Entwicklungsperspektiven hätte so ein Überzug?
Wir haben noch keine Daten dazu, wie lange ein Überzug am Hüftkopf den gewünschten Effekt bringt. Eine Überlegung ist, eventuell auch ihn nach gewisser Zeit auszutauschen. Andere Möglichkeiten, in denen das Tissue Engineering eine Rolle spielt, sind auf lange Sicht ebenso denkbar: Warum sollte es nicht eines Tages gelingen, den Überzug als induktive Prothese zu gestalten, die eine Knorpelregeneration anregt und selbst vom Körper abgebaut wird? Ich möchte da allerdings keine falschen Hoffnungen wecken, das sind Perspektiven, die aus heutiger Sicht noch nach Star Trek klingen.
Welche Verbesserungen wünschen Sie sich für die bisherige Orthopädie?
Alle heute verfügbaren Endoprothesen werden nach einem technisch-mechanischen Konzept entwickelt. Es geht um Beweglichkeit, um Abrieb, verwendet werden Metalle oder Keramiken. An die Biologie im Gelenk wird noch zu wenig gedacht. Mein Eindruck ist aber, dass man mit textilen Werkstoffen und Polymeren sehr viel erreichen könnte – wobei wir uns dann schnell in Richtung regenerativer Medizin bewegen. Aber diese Richtung ist sehr interessant, denn während sich Knochen sehr gut selbst regeneriert, ist die Wiederherstellung von Knorpel ein ungelöstes Problem.
Mit welchen Veränderungen in der Orthopädie rechnen Sie für die Zukunft?
Die Operationen an sich werden stärker automatisiert und standardisiert sein, um Endoprothesen individueller und reproduzierbar einzusetzen. Ich erwarte auch feinere Abstufungen bei den Produkten, um eine Therapie besser auf den Patienten anpassen zu können, und mehr Sensorik – zum Beispiel um die Beweglichkeit der Patienten nach einer OP telemedizinisch zu kontrollieren. Aber auf lange Sicht wird die regenerative Medizin an Bedeutung gewinnen, denn die Prothese ist letztlich nichts anderes als eine gut funktionierende Notlösung. Noch besser wäre es aber, wenn die Gesellschaft das Problem Übergewicht und Bewegungsmangel angeht. Dann stünden die zahlreichen Operationen, mit denen wir in Zukunft laut Statistik werden rechnen müssen, gar nicht an.
Eine Alternative zur Prothese
Im Projekt Miohip wird, gefördert vom Land NRW und der EU, ein naturnaher, elastischer Hüftkopfüberzug entwickelt, der den Gelenkapparat und seine Funktion bei Arthrosepatienten erhalten und die natürliche Beweglichkeit bis ins hohe Alter ermöglichen soll.
Im letzten Krankheitsstadium der Arthrose reibt im Gelenk Knochen auf Knochen, was erhebliche Schmerzen verursacht. Künstliche Gelenke, die in solchen Fällen eingesetzt werden, haben jedoch keine dämpfende Wirkung, müssen im Knochen verankert werden und verursachen dadurch zum Teil erheblichen Knochenverlust – und im Nachhinein kann es zu Wundheilungsstörungen kommen.
Anstelle einer klassischen Endoprothese könnten naturnahe, elastische Überzüge wie eine Manschette um den Hüftkopf gelegt werden. Sie ersetzen dann im Gelenk den abgeriebenen Knorpel und fungieren als Stoßdämpfer. Im Projekt Miohip arbeitet die Revomotion GmbH, Köln, seit Juni 2016 gemeinsam mit dem Fraunhofer Umsicht und der Orthopädischen Klinik der RWTH Aachen an der Entwicklung eines solchen Produkts.
Bild: Revomotion GmbH Köln
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