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Neurochirurgie braucht hochpräzise Technik

Neurochirurgie: Medizin für Ingenieure
Neurochirurgie profitiert von kleinen Fortschritten

Neurochirurgie profitiert von kleinen Fortschritten
Privatdozent Dr. med. Mortimer Gierthmühlen ist Oberarzt in der Abteilung Neurochirurgie am Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum. Zusammen mit Partnern beteiligt er sich am Start-up Neuroloop, das aktive Implantate entwickelt (Bild: Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum)
In einem In-Klinik-Workshop erfahren Ingenieure im November in Bochum, welche Anforderungen Chirurgen an die Techniker und an die Geräte stellen. PD Dr. Mortimer Gierthmühlen, der die Veranstaltung mit ins Leben rief, möchte damit den Austausch zwischen Medizinern und Ingenieuren verbessern.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Herr Dr. Gierthmühlen, welche Besonderheiten müssen Entwickler bei Geräten für die Neurochirurgie beachten?

In der Chirurgie geht es generell darum, dass wir schneiden, um zu heilen. Wo und wie wir das tun, will gut überlegt sind. Es gibt Bereiche am menschlichen Körper, die recht gut heilen. Allerdings gehört das Gehirn, mit dem wir in der Neurochirurgie meist zu tun haben, nicht dazu, da wächst nichts wieder zusammen, was einmal falsch getrennt wurde. Daher muss die Technik höchste Präzision liefern und absolut zuverlässig sein. Was ein Gerät anzeigt oder meldet, muss zu 100 % stimmen.

Welche Probleme könnten sich sonst ergeben?

Ein Operationsmikroskop, mit dem wir täglich arbeiten, muss zum Beispiel perfekt austariert sein. Es darf keinerlei unvorhergesehene Bewegungen ausführen, wenn ich die Bremsen löse, um es anders zu positionieren. Andernfalls könnte es gegen ein Instrument stoßen, das dann im Hirn Schaden anrichtet. Ein weiteres Beispiel sind Messungen zum Neuromonitoring während einer Operation: Gezielt im Gehirn ausgelöste Reize sollen bestimmte Muskelkontraktionen hervorrufen, damit ich rechtzeitig bemerke, ob ich mich mit meinen Instrumenten einer Nervenbahn nähere. Dafür muss sowohl der Reiz im gewünschten Ausmaß abgegeben werden als auch die Messung am Bein zuverlässig erfolgen. Sobald ein Aspekt nicht stimmt und mich damit in die Irre führt, kann eine Operation für den Patienten schlimme Folgen haben.

Wo mangelt es Ingenieuren an Wissen über die Arbeit des Mediziners?

Während meiner Forschungsarbeiten zu aktiven Implantaten habe ich viel mit Ingenieuren zu tun gehabt. Auch wenn die Zusammenarbeit gut läuft, gibt es zuweilen eine unterschiedliche Denkweise. So bin ich als Mediziner darauf fokussiert, im Operationsumfeld sehr zügig zu arbeiten. Nicht nur, weil Effizienz aus ökonomischen Gründen gefordert ist. Als Arzt ist mir klar, dass jede zusätzliche Minute, die eine Wunde offenliegt, das Infektionsrisiko erhöht. Ein Ingenieur schaute mir allerdings in einer Studie fasziniert bei der Präparation zu und vergaß darüber völlig, sein Mess-Equipment vorzubereiten. Hätte er mehr über medizinische Zusammenhänge gewusst, wäre so etwas sicher nicht passiert.

Um welche Themen geht es im In-Klinik-Workshop zur Neurochirurgie?

Wir werden die Teilnehmer sowohl über die Grundlagen der Arbeit im OP informieren als auch über spezielle Anforderungen für die Neurochirurgie. Das betrifft Hygiene, Sterilität und No-go-Areas im OP, aber zum Beispiel auch das elektrotechnische Design von Geräten. Ein Neuromonitoring ist nicht möglich, wenn ein Handy interferiert oder eine schlecht abgeschirmte Wärmematte mit einem 50-Hertz-Brummton die Messung stört.

Was ließe sich an den Medizingeräten, die Sie einsetzen, eventuell verbessern?

Für das Neuromonitoring wäre es nützlich, die Systeme unempfindlicher gegen Störungen zu machen. Dann haben wir noch die Mikroskope, ohne die wir nicht viel rausrichten könnten. Bei uns im Knappschaftskrankenhaus Bochum arbeiten wir bereits mit sehr guten Geräten. Diese sind aber noch mit normalen Lichtquellen ausgestattet, da wäre eine LED-Lösung sicher vorteilhafter. Für die nächste Zukunft ist geplant, ein neues System mit 4K-Kameras, 4K-Monitor und 3D-Brillen für die Operateure zu testen. Damit würden wir Neuland betreten, denn diese Arbeitsweise ist näher an der Endoskopie als an der klassischen Mikroskopie: Man arbeitet noch mit dem Gerät in der Hand. Was man tut, sieht man aber nur auf dem Bildschirm. Ich bin gespannt, ob das alles in allem Vorteile bringt. Und es gäbe noch Verbesserungsmöglichkeiten bei der Neuronavigation.

Was wäre für die Navigation sinnvoll?

Bisher braucht das Navigationssystem eine direkte optische Verbindung zwischen der Kamera, meinem Pointer und den Reflektoren, um eine Position im Operationsbereich zu erkennen und mir die entsprechenden Daten anzuzeigen. Ein verdeckter Reflektor reicht aus, und schon meldet mir das System nichts mehr. Das ist im Alltag, insbesondere in der angespannten OP-Situation, wirklich nervenaufreibend. Ein System, das nicht auf kontinuierlichen Sichtkontakt zwischen Kamera und Pointer angewiesen ist, sondern, auf andere technische Lösungen setzt, böte hier auf jeden Fall Vorteile.

Welche Rolle spielen die zahlreichen Möglichkeiten der Digitalisierung?

Da bieten sich sicher Chancen. Allerdings glaube ich nicht daran, dass sich grundlegende Veränderungen schon in den nächsten zwanzig Jahren einstellen werden – trotzdem wird es sehr viele nützliche kleine Verbesserungen an Geräten geben: sie werden leichter, leiser oder kleiner, bieten eine etwas bessere Auflösung oder sind einfacher zu bedienen. Den großen Wurf mit Augmented Reality, künstlicher Intelligenz oder einer anderen aktuell diskutierten Technik sehe ich aber noch nicht. Die Realität ist heute eher ein Kampf mit Schnittstellenproblemen. Alles, was ein Kollege zum Beispiel im Rettungswagen misst und erfährt, kommt als Papierausdruck in der Notaufnahme an. Ich kann Ihnen versichern, das hält auf. Lösen wir also erst das Problem mit den Standards und reden wir dann über Neuerungen, die Technik noch bieten könnte – allerdings nur, wenn sie zuverlässiger wäre als das, was eine künstliche Intelligenz von der Art eines Watson bisher gezeigt hat.

Welche Neuerungen wären aus Ihrer Sicht wünschenswert?

Es wäre wunderbar, wenn es Möglichkeiten gäbe, beim Glioblastom – also einem Hirntumor – Freund und Feind besser zu unterscheiden. Es gibt immer noch Bereiche, in denen es sehr schwierig ist, das Tumorgewebe vom gesunden Umfeld abzugrenzen. Trotz Navigationssystem und Färbetechniken könnten wir da noch besser werden. Mir ist natürlich klar, dass die Erfüllung eines solchen Wunsches in weiter Zukunft liegen wird. Und die Tatsache, dass sich das gesamte Gewebe im Gehirn verschiebt, sobald der Chirurg Tumorbereiche entfernt, macht die Sache sicher nicht leichter – denn wegen dieses Effektes ist auch heute schon jede Navigation mit Unsicherheiten behaftet.

Wie wichtig sind aktive Implantate?

Aktive Implantate im Sinne von Hirnschrittmachern oder Vagusnervstimulatoren, mit denen Parkinson- oder Epilepsie-Patienten behandelt werden können, sind ein sehr interessanter Arbeitsbereich, dem auch wirtschaftlicher Erfolg vorausgesagt wird. Besonders spannend könnte das eines Tages werden, wenn die Auswertung der Vielzahl von Messdaten, die solche und andere aktive Implantate liefern, besser zu bewältigen ist. Da könnten Einsatzbereiche für eine KI entstehen, die medizinisch relevante Datensätze ausfiltert und einem Arzt zur Bewertung vorlegt.

Von welcher Entwicklung versprechen Sie sich die größten Fortschritte?

Eine künstliche Intelligenz könnte künftig dazu eingesetzt werden, dem behandelnden Mediziner die Auswahl der am besten geeigneten Therapie zu erleichtern: Sie könnte erkennen, was zu tun ist und mit welchem Material das beste Ergebnis zu erreichen sein wird. Und, abgesehen von der Technik, werden wir bei der Behandlung von Hirntumoren nicht ohne neue Medikamente auskommen.


Weitere Informationen

Der vom VDE organisierte 2. In-Klinik-Workshop Neurochirurgie findet am 6. November 2019 in Bochum statt. Das Programm besteht aus ärztlichen Vorträgen zu den Erfahrungen mit Medizintechnik in der Neurochirurgie. Im Praxisteil besuchen die Teilnehmer verschiedene Klinikbereiche wie den OP und die Station und werden in das sichere Arbeiten im OP eingeführt.

Zu den Workshops

Bereits am 24. September gibt es aus der gleichen Reihe eine Veranstaltung zum Thema Notfallmedizin in Frankfurt.

Zu den Workshops/

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