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„Für unsere Ideen brauchen wir die richtigen Partner“

Chirurgie: Strukturierter Dialog zwischen Medizin und Industrie ist erforderlich
„Für unsere Ideen brauchen wir die richtigen Partner“

Medizinische, technische und gesellschaftliche Entwicklungen bestimmen die Zukunft der Chirurgie. Prof. Hans-Peter Bruch, Präsident des Berufsverbandes Deutscher Chirurgen (BDC), erläutert, wie Patienten und Wirtschaft zu ihrem Recht kommen.

Herr Professor Bruch, welche Erwartungen haben Chirurgen heute an die Industrie?

Chirurgen müssen immer präziser, immer schneller, mit immer weniger Blutverlust operieren. Das ist nur zu erreichen, wenn wir die entsprechenden technischen Hilfsmittel und Apparate zur Verfügung haben. Die richtigen Ideen dazu haben wir, können also einen gewissen ‚Push‘ in der Wissenschaft erzeugen. Von der Industrie erwarten wir im Gegenzug den ‚Pull‘, damit uns am Ende brauchbare Lösungen zur Verfügung stehen.
Welche Ideen für Hilfsmittel wären das beispielsweise?
Ein Chirurg bewegt sich im menschlichen Körper entlang von Strukturen, die zum Teil nicht mal einen Millimeter dick sind und bei einer Operation nicht verletzt werden sollten. Ein Hilfsmittel, das uns so eine feine Schicht deutlich darstellt und mit bunten Farben ihre Grenzen signalisiert, wäre eine große Erleichterung. Ein weiteres Beispiel sind 3D-Darstellungen der äußeren und inneren Strukturen von Organen. Um zu solchen Abbildungen zu kommen, müssen präoperativ aufgenommene CT-Daten mit Ultraschall-Daten kombiniert werden, die während der Operation entstehen. Dafür sind im Hintergrund mehrere tausend Gleichungen mit mehreren tausend Unbekannten in kürzester Zeit zu lösen. Und auf der ganzen Welt gibt es nur wenige Mathematiker, die das überhaupt leisten könnten – aber wir arbeiten daran.
Was müsste verändert werden, um zu technischen Lösungen zu kommen, die solchen Erwartungen entsprechen?
Wir brauchen einen strukturierten Dialog zwischen Medizin und Industrie. In meiner Funktion als BDC-Präsident habe ich mir vorgenommen, mit den Vertretern aus den Industrie-Verbänden und den Krankenkassen ins Gespräch zu kommen. Wir müssen den Fortschritt in der Medizintechnik gemeinsam unterstützen – und vielleicht sogar so etwas wie ein Gütesiegel entwickeln, damit eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie nachvollziehbar ist und nach klaren Regeln erfolgt. Jede Art von Geschmäckle oder der Verdacht der Vorteilsnahme müssen hier ausgeschlossen sein.
Wie könnte ein strukturierter Dialog aussehen?
Ideal wäre natürlich ein Austausch: ein zeitlich begrenzter Wechsel von Medizinern in das Umfeld der Ingenieurwissenschaften oder eine ebenso begrenzte Anwesenheit von Ingenieuren in der Klinik, damit für beide Seiten das Handeln transparent wird und eine gemeinsame Sprache entstehen kann. Das findet bislang kaum statt. In meiner Arbeitsgruppe praktizieren wir aber zumindest den Dialog und sind offen für Kontakte mit der Industrie – was viele wissen, die uns deshalb auch ansprechen.
Warum kommt der strukturierte Dialog so schwer in Gang?
Manchmal, wenn nämlich ein erfolgreicher Medizintechniker aus der Industrie an die Uni zurückkehrt, klappt das schon ganz gut. Aber wir brauchen mehr Initiative seitens der Mediziner. Nur zählen für die Karriere eines jungen Chirurgen seine möglicherweise hervorragenden Kenntnisse in der Technik wenig: Er wird nur an der Zahl seiner Veröffentlichungen in renommierten wissenschaftlichen Publikationsorganen gemessen, die mit Medizintechnik meist nichts zu tun haben. Mit so einer Haltung sind wir aber schlecht beraten, wenn wir die Medtech-Branche als wichtigen Wirtschaftsfaktor erhalten und von der Innovationskraft profitieren wollen.
Was schlagen Sie für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Industrie und Medizin vor?
Wir sollten in gegenseitiger Hochachtung Strukturen aufbauen, die es uns ermöglichen, über zukünftige Entwicklungen zu reden. Bisher erfahren wir oft nur durch Zufall – zum Beispiel bei einer Medizintechnik-Tagung, die Ärzte selten besuchen – , dass schon jemand genau den Piezoantrieb entwickelt hat, den wir brauchen. Um das zu verbessern und den Informationszuwachs eben nicht nur dem Zufall zu überlassen, denken wir bereits über ein System nach dem Vorbild der Max-Planck-Gesellschaft nach. Dort wird eine Wissenschaftslandkarte genutzt, die zeigt, wer auf welchem Gebiet Know-how hat. So ein System für die Medizin und entsprechend dazu auch für die Industrie würde uns allen, denke ich, sehr helfen.
Die Sicherheit der Patienten stellen viele in den Vordergrund. Was könnte die Industrie hierzu beitragen?
Instrumente und Geräte müssten einfacher zu bedienen sein. Es ist zum Beispiel ein Unding, dass viele Instrumente für die minimal-invasive Chirurgie mit dem Fuß zu bedienen sind – im abgedunkelten OP. Eine Bedienung im Sichfeld müsste doch möglich sein. An Cockpits, die Operationstechnik und Anästhesie sinnvoll verbinden, wird ja schon gearbeitet. Und die Schnittstellenproblematik ist ebenfalls ein Dauerthema. Es kann doch nicht sein, dass wir immer noch ein Wirrwarr von Kabeln unter dem OP-Tisch haben, weil die eingesetzten Systeme nicht kompatibel sind und jeder Hersteller seine eigene Lösung vermarktet.
Eines Ihrer Arbeitsgebiete ist der Einsatz minimal-invasiver Methoden für Operationen an der Leber. Wie zufrieden sind Sie mit den heutigen Hilfsmitteln?
Es gibt immer Raum für Verbesserungen. Wir nutzen zum Beispiel ein relativ neues Navigationssystem. Es ist zwar das Beste, was wir haben. Die Missweisungen sind aber noch so erheblich, dass wir uns nicht darauf verlassen können. Die Probleme resultieren daraus, dass wir ein komplexes System vor uns haben. Es arbeitet auf mehreren Ebenen mit Algorithmen, die jeweils geringe Abweichungen aufweisen. Jeder einzelne ist also gut, in der Summe aber entstehen Fehler im Millimeterbereich. Mechanismen zu suchen, die solche – zunächst unerwarteten – Fehler korrigieren können, ist eine wichtige Aufgabe, die Unternehmen und Forscher geraume Zeit beschäftigen kann.
Wie wird sich die Chirurgie in den kommenden zehn Jahren verändern?
Wir werden Impulse aus der Stammzellforschung haben: Zellen können Organgerüste besiedeln und teilweise ausgefallene Funktionen im Körper ersetzen. Die Früherkennung von Krankheiten wird sich verbessern. Und das Schneiden, Koagulieren, Schweißen und Kleben von Gewebe wird vorankommen. Vor allem im Bereich des Lasers rechne ich mit großen Entwicklungen. Das Schneiden wird exakter, und die Geräte werden anhand der veränderten Lichtreflexionen erkennen, wenn sie auf Blutleiter treffen, und sich abschalten. Roboter werden lernen, auf engstem Raum zu nähen und zu knoten und dem Chirurgen diese Arbeit abnehmen. Und sie können Bewegungen skalieren: Was der Mensch in größerem Ausmaß tut, führen sie in gleicher Weise, aber auf engstem Raum aus. Schließlich werden wir durch Hilfsmittel ein besseres Feedback über die Haptik der Gewebe bekommen, auch wenn wir diese nicht selbst berühren.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Der 6. Medizintechnik- und Ergonomiekongress (MEK) zum Thema ‚Sichere Anwendung von Medizinprodukten‘ findet am 12. September in Münster statt – organisiert von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) im VDE e.V. und dem Zentrum für Medizintechnik & Ergonomie (ZfMtE) der Fachhochschule Münster. Prof. Hans-Peter Bruch ist dort einer der Referenten. Zur Veranstaltung: http://conference.vde.com/mek2011/pages/programm.aspx

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