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Es kribbelt, wenn der Schmerz geht

Schmerztherapie: Neurostimulation ist ein viel versprechender Baustein
Es kribbelt, wenn der Schmerz geht

Dass elektrische Impulse von Herzschrittmachern den Patienten helfen können, ist weithin bekannt. Was elektrische Reize im Bereich der Schmerztherapie leisten können, leider noch nicht. Dr. Dirk Rasche, Neurochirurg und Oberarzt in Lübeck, erläutert Potenziale und Probleme.

Herr Dr. Rasche, was ist Schmerz?

In erster Linie ein Warnsignal, das wir über die Nervenbahnen wahrnehmen und das auf eine akute Verletzung hinweist oder als anhaltende chronische Schmerzempfindung alle alltäglichen Verrichtungen beeinträchtigt. Das betrifft nicht wenige: Allein in Deutschland leiden neun bis zehn Millionen Menschen unter chronischen Schmerzen.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Sofern die Ursache für den Schmerz erkennbar ist, steht natürlich deren Behandlung im Vordergrund. Drückt ein Tumor auf den Nerv oder liegt ein Bandscheibenvorfall vor, müssen diese Probleme beseitigt werden. Schmerzlinderung, also die symptomatische Behandlung zum Beispiel mit Medikamenten, mit Kälte, Wärme oder Bewegungstherapien, begleitet diesen Prozess, bis der Schmerz verschwunden ist. Schwieriger wird es, wenn keine konkrete Ursache zu erkennen ist und die symptomatische Behandlung keinen Erfolg bringt. Dann lohnt es sich, über andere Verfahren nachzudenken.
Welche Verfahren kommen in Frage?
Wir sprechen dann von den Möglichkeiten der Neuromodulation: also von Ansätzen, die die Aktivität der Nervenzellen beeinflussen. Dafür gibt es sehr unterschiedliche Ansätze. Den Phantomschmerz, den ein Patient in der Hand seines amputierten Armes spürt, kann man mitunter mit der so genannten Spiegeltherapie günstig beeinflussen. Das ist eine Form der Autosuggestion. Der Patient führt mit der gesunden Hand bestimmte Bewegungen aus und konzentriert sich dabei auf die andere Seite seines Körpers. Das ist eine gezielte Beeinflussung des Gehirns. Wenn das nicht hilft oder eine solche autosuggestive Therapie aus anderen Gründen nicht sinnvoll ist, können wir auf die Neurostimulation zurückgreifen: die Beeinflussung der Nervenaktivität mit Hilfe von Magnetfeldern oder elektrischer Impulse.
Wie sieht so eine Behandlung aus?
Es gibt eine Reihe von Geräten, die Strom oder magnetische Felder von außen auf den Körper wirken lassen. Manche Geräte arbeiten auch mit Elektroden, die unter die Haut gebracht werden. Und es gibt Implantate, winzige Elektroden, die minimal-invasiv bis zum Rückenmark oder Gehirn geführt werden und deren Aktivität der Arzt und auch der Patient über ein Steuerungsgerät beeinflussen kann.
Wie bekannt und verbreitet sind solche technikbasierten Therapiemöglichkeiten?
Leider ist das Wissen darum in den hiesigen Praxen noch nicht verankert. Das liegt unter anderem daran, dass Schmerztherapie bisher in der ärztlichen Ausbildung nicht integriert war und gerade Hausärzte das Risiko des chirurgischen Eingriffes fürchten. An dieser Situation wird sich auf lange Sicht aber etwas ändern, da in wenigen Jahren alle Medizinstudenten in ihrer Ausbildung dem Thema Schmerztherapie begegnen werden. Bisher werden in Deutschland jährlich zum Beispiel nur rund 1500 bis 2000 Implantate zur Neurostimulation eingesetzt. Da diese Therapie schon gute Ergebnisse bringt, gehen internationale Schätzungen davon aus, dass diesem Marktsegment ein weltweites Wachstum bevorsteht.
Was genau bewirkt ein Implantat in der Nähe der Nervenbahnen?
Alles, was im Nervensystem natürlicherweise passiert, beruht auf elektrischen Reizen. Die Impulse der feinen Elektrode im relevanten Bereich der Wirbelsäule spürt der Patient als eine Art Kribbeln, die den auftretenden Schmerz verschwinden lässt. Wann, wie oft und wie starke Impulse abgegeben werden müssen und ob das Verfahren für den konkreten Fall überhaupt geeignet ist, muss derzeit noch ausprobiert werden. Daher wird das Steuerungsgerät auch nicht gleichzeitig mit der Elektrode implantiert, sondern erst dann, wenn sich Erfolge abzeichnen. Falls dem nicht so ist, wird auch die Elektrode wieder entfernt.
Ist die Technik für diese Art der Therapie schon ausgereift?
Es gibt eine Handvoll Anbieter, deren Produkte am Markt eingesetzt werden und mit denen wir arbeiten können. Ich sehe allerdings noch einiges Potenzial für Weiterentwicklungen. Heute implantieren wir Neurostimulatoren von der Größe einer Streichholzschachtel, was gerade bei schlanken Patienten störend sein kann. Sinnvoll wäre sicherlich etwas in der Größe eines USB-Sticks. Auch sind die Stimulatoren noch nicht MRT-fähig, man muss entweder Einschränkungen hinnehmen oder geht ein Risiko für den Patienten ein. Da diese Art der Bildgebung aber ein Standardverfahren ist, sollten die Stimulatoren weiterentwickelt werden. Dass so etwas technisch möglich ist, zeigt das Beispiel eines Herzschrittmachers, der Anfang 2012 auf den Markt kam und als MRT-fähig gilt. Aber natürlich ist der Markt für Cardioimplantate in Deutschland mit jährlich zehn- bis fünfzehntausend Fällen erheblich größer und daher finanziell interessanter für solche Entwicklungen.
Wie sieht es mit der Lebensdauer der Geräte und der Gebrauchstauglichkeit aus?
Wenn die Batterie bei gleicher Größe eine längere Nutzungsdauer als zwei bis fünf Jahre hätte, wäre das sehr zu begrüßen. Auch die aufladbaren Geräte sind noch nicht zufriedenstellend, da sie ihre maximale Lebensdauer von neun Jahren nur erreichen, wenn sich der Patient strikt an die zum Teil unbequemen Regeln hält. Und die Handgeräte, mit denen die Patienten die Stimulation steuern, sind heute noch sehr – sagen wir – robust. In einer Welt, in der iPhone, Internet und Apps allgegenwärtig sind, müsste auch die Software für Neurostimulatoren schon weiter sein. Den Patienten einzubinden und ihn aktiv handeln zu lassen, ist gerade hier so wichtig: Nur er spürt die Effekte und kann die wirkungsvollsten Einstellungen ermitteln. Da könnten sogar die telemedizinischen Verbindungen und der Datenaustausch, wie er zwischen Diabetes-Patienten und Behandlern möglich ist, als Vorbild dienen.
Ist auch für Neurostimulatoren eine „Geräteintelligenz“ wünschenswert?
Ja. Bisher stimulieren wir quasi blind. Es gibt jedoch Forscher, die versuchen, aus dem Signalrauschen in Gehirn und Rückenmark die Schmerzreize zu filtern. Wenn das gelingt, könnte man verschiedene Stimulationsmuster entwickeln und diese genau dann abrufen, wenn das Signal einer bestimmten Schmerzform auftritt. Damit wäre der Neurostimulator sowohl Empfangs- als auch Sendeeinheit.
Wie sieht es mit Nebenwirkungen aus?
Für die elektrischen Impulse sind keine bekannt. Allerdings bildet sich im Bereich der Implantate natürlich Narbengewebe aus, und durch die Bewegungen des Patienten kann es dazu kommen, dass Kabel verrutschen oder brechen.
Mit welchen Entwicklungen rechnen Sie in Zukunft in der Schmerztherapie?
Die Neuromodulation, inklusive der Neurostimulation, wird ihren festen Platz in der Behandlung chronischer Schmerzen haben. Medikamente allein reichen meist nicht aus. Es ist allerdings noch einiges an Forschung erforderlich, um unser Wissen über die Arbeit der Nervenzellen zu verbessern.
Welche Bedeutung werden technik-basierte Verfahren in Zukunft haben?
Die invasive Schmerztherapie ist kein eigenständiges Verfahren und wird es auch in Zukunft nicht sein. Sie muss eingebunden sein in eine umfassende Therapie, in der Physiotherapie, Psychotherapie und der Rat des Hausarztes eine Rolle spielen. Ein Patient mit chronischen Schmerzen muss letztlich lernen, mit seinen Symptomen umzugehen, bei Belastungssituationen zum Beispiel Entspannungsübungen zu machen, um den Schmerzen zumindest die Spitze zu nehmen. Bei all dem sind die invasiven Verfahren hilfreich, aber eben nur ein Baustein.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Deutsche Schmerzgesellschaft: www.dgss.org Webseite der Neurochirurgischen Klinik, UK S-H, Campus Lübeck: www.neurochirurgie-luebeck.uksh.de

Schmerzoffensive: Was sich ändern muss
Schmerzpatienten sind mit ihrer Behandlung vielfach unzufrieden: In einer Umfrage, die auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag im Frühjahr 2012 in Frankfurt präsentiert wurde, berichteten 86 % der 2860 Befragten, dass sie sich aufgrund unzureichenden Schmerzmanagements im täglichen Leben eingeschränkt fühlen. Drei Viertel haben Schlafstörungen, 80 % leiden am so genannten end-of-dose-pain. In einer anderen Untersuchung gaben 90 % der Patienten an, dass ihre Schmerzintensität höher ist, als dies bei einer adäquaten Therapie zu erwarten wäre.
Fachleute führen diese Defizite unter anderem darauf zurück, dass Schmerzmedizin im deutschen System nicht als eigenständiges Fachgebiet etabliert und für die Aus- und Weiterbildung der Ärzte nicht vorgeschrieben ist. Auch mangele es an spezialisierten Einrichtungen. „Die Schmerzoffensive Deutschland, ein Programm der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie, soll dies ändern“, erklärt Dr. Gerhard H. H. Müller-Schwefe, der Präsident der Gesellschaft. Das Gesundheitssystem in Deutschland soll sich an der Versorgungsnotwendigkeit von Millionen Menschen mit chronischer Schmerzkrankheit orientieren. Dies erfordere ein Bündel von Maßnahmen, unter anderem die Verankerung der Schmerzmedizin als eigenständiges Fachgebiet in der Medizin. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie hat darüber hinaus ein Konzept zur integrierten Versorgung von Rückenschmerzpatienten initiiert.
Weitere Informationen: www.stk-ev.de

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