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Der Kardiologe ist immer dabei

Telemedizin: Überwachen, rechtzeitig behandeln, weniger Kosten verursachen
Der Kardiologe ist immer dabei

Der Kardiologe ist immer dabei
Ob der Patienten ihn braucht, erfährt der Arzt in Zukunft vermehrt über den PC: Vernetzte Geräte melden Puls, Blutdruck oder einen Sturz Bild: Fotolia
Mehr ältere Menschen, zunehmender Kostendruck im Gesundheitswesen: Das sind die Triebfedern für die Entwicklung telemedizinischer Lösungen. Für die Medizintechnik ist das ein interessantes Marktsegment, wenn es gelingt, die Produkte auch im Wellness- und Sportbereich zu nutzen.

Man könnte es zartfühlender formulieren, aber die Wahrheit ist: In wenigen Jahrzehnten gibt es so viele ältere Menschen, die an diversen Volkskrankheiten leiden, dass wir nicht genug kompetente Ärzte und wohl auch nicht genug Geld haben werden, um eine Behandlung nach dem Wartezimmer-Sprechstunde-Verfahren abzuwickeln oder gar eine längerfristige stationäre Beobachtung zu finanzieren. Computer, Handys, Wlan-Netzwerke oder das Internet sollen helfen, dieses Pensum zu bewältigen – die Idee der Telemedizin ist geboren.

Für die Medizintechnik-Branche verheißt dieses Szenario einen steigenden Bedarf für kommunikationsfähige Geräte. Die sollen von medizinisch geschultem Personal im Krankenhaus ebenso eingesetzt werden wie von Patienten im häuslichen Bereich. Wie das aussehen könnte, zeigt ein Beispiel aus Hamburg. Dort entwickelt Corscience, ein Tochterunternehmen der Weinmann Geräte für Medizin GmbH + Co. KG, Telemonitoring-Systeme, um Hochrisikopatienten zu überwachen. Derzeit läuft ein Projekt mit dem Hamburger Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE). Dort werden Patienten mit einem Brustgurt samt mobilem EKG-Gerät ausgestattet. Dieses misst permanent den Herzschlag und analysiert die Daten. Wird der Herzschlag zu schnell, zu langsam oder zu unregelmäßig, überträgt das Gerät die Daten auf ein Mobiltelefon, das sie über GPRS an das angeschlossene Telemonitoringzentrum sendet – ohne Zutun des Patienten, der selbst vielleicht noch nichts spürt oder nicht mehr in der Lage ist, zu handeln. Das Telemonitoringzentrum wiederum leitet Hilfe ein, alarmiert gegebenenfalls sofort den Notarzt.
Dass sich viele telemedizinische Projekte gerade mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen befassen, ist kein Zufall: Sie sind weit verbreitet und gelten darüber hinaus als kostenintensiv. Wenn Patienten eines Tages nicht mehr stationär behandelt werden müssten, sondern zu Hause permanent überwacht werden könnten, ließen sich die Ausgaben stark reduzieren. Der Frankfurter Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. (VDE) beziffert die Ausgaben für die Behandlung von koronaren Herzerkrankungen, Rhythmusstörungen, Bluthochdruck, Diabetes, Asthma und bestimmten Lungenkrankheiten allein in Deutschland jedes Jahr auf rund 35 Mrd. Euro – und etwa 30 % davon soll die Telemedizin auf lange Sicht überflüssig machen. Angesichts solcher Zahlen wird sich der Aufwand für Entwicklungen in diesem Segment wohl lohnen. Der Einstieg erfordert allerdings einiges an Einsatz, wie Tobias Drewling betont, der bei Weinmann für die Unternehmenskommunikation zuständig ist: „Unternehmen müssen bereit und in der Lage sein, erhebliche Kosten für Forschung und Entwicklung zu tragen und ausreichend Personal dafür bereizustellen.“
Was alles zu beachten ist, damit das Patientenmonitoring und andere denkbare Ansätze erstens funktionieren und zweitens die Sicherheit der Kranken gewährleistet ist, haben VDE-Fachleute untersucht. Ihre Empfehlungen sind als Qualitätsmanagementpapier für das Telemonitoring verfügbar. Dessen Inhalt geht auch die Gerätehersteller an: Leicht, haltbar, robust und einfach zu bedienen sollen die Produkte für die Telemedizin sein, damit der Patient sie auch tatsächlich mitnimmt. „Gerade telemedizinische Geräte und Systeme werden aber aus verschiedenen Produkten zusammengebaut, und diese müssen nicht nur allein, sonderen auch in der Kombination funktionieren“, sagt Johannes Dehm, Geschäftsführer der VDE-Initiative Mikro-Medizin. Das sei natürlich nur zu erreichen, wenn überall standardisierte Produkte eingesetzt würden. Nur dann laufe der Datenverkehr zwischen dem Gerät im häuslichen Bereich, der Arztpraxis, dem Rettungswagen, Telemedizin-Zentrum oder der Klinik reibungslos. An entsprechenden Normen arbeiten die Gremien derzeit.
Neben der Technik spielen aber auch menschliche Faktoren eine Rolle, die Forscher vom Karlsruher Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI im Jahr 2007 in einer Delphi-Studie mit untersucht haben. Aus technischer Sicht sollen demnach die meisten der abgefragten 36 Thesen schon bis 2020 realisierbar sein – die Fernüberwachung von Risikopatienten gehört dazu. Obwohl sie auf lange Sicht die Kosten senken soll, sehen aber 82 % der befragten Fachleute in den anstehenden Investitionskosten sowie den laufenden Kosten für die Auswertung der Daten ein Hemmnis, das die Entwicklung bremsen könnte. Die Fragen nach Datensicherheit und Datenschutz sind für 68 % noch nicht gelöst, und an der Akzeptanz bei den permanent beobachteten Betroffenen zweifeln 59 %. Wünschenswert sei das Telemonitoring trotzdem, und seinen verbreiteten Einsatz stellt auf lange Sicht niemand in Frage.
Um sich auf die Zukunft vorzubereiten, werden daher viele mögliche Anwendungen der Telemedizin diskutiert und getestet, die über den Kontakt zwischen Ärzten und Patienten, die „doc2patient“-Ansätze, hinausgehen. Kommunikation zwischen Medizinern, also „doc2doc“, ist ebenso erwünscht. Ein Beispiel dafür sind Herzspezialisten an der Berliner Charité, die sich bei schwierigen Fällen mit Kollegen in Estland über das Internet austauschen. Auf die Zusammenarbeit zwischen Fachleuten zielt auch das an der Charité angesiedelte Strokenet-Projekt: Die Beteiligten wollen die Versorgung von Notfallpatienten mit Schlaganfall verbessern, indem sie eine Kontaktaufnahme zwischen dem Team im Rettungswagen und den in Frage kommenden Krankenhäusern ermöglichen. Die Basis dafür: Alle müssen das gleiche System einsetzen, und die Kommunikationstechnik im fahrenden Rettungswagen muss dafür sorgen, dass sie eine stabile Verbindung aufbaut, erhält und auch große Datenmengen sicher überträgt.
Ist die Technik erst standardisiert, könnte sie im heimischen Umfeld sogar dazu beitragen, dass Menschen nicht so schnell krank werden: Intelligenz in der Kleidung oder in der Wohnung soll alte Menschen an das ausreichende Trinken erinnern oder durch das automatische Anschalten des Lichtes vor einem nächtlichen Sturz bewahren. Das Vernetzen zahlreicher elektronischer Geräte und IT-Systeme fassen die Fachleute unter dem Schlagwort des Ambient Assisted Living (AAL) zusammen. Bei Gesundheitsvor- und fürsorge für hilfsbedürftige und allein lebende ältere Menschen soll AAL für eine Revolution sorgen, meinen sie. Der Bedarf sei evident, da 2030 in Deutschland rund 26,3 Millionen Menschen über 60 Jahre alt sein werden. Dementsprechend will auch das Bundesforschungsministerium das Thema auf nationaler und europäische Ebene voranbringen und plant ab 2008 ein jährliches Förderbudget von 50 Mio. Euro.
Die Delphi-Studie des Fraunhofer ISI hat auch nach weiteren Möglichkeiten für die Telemedizin gefragt. Eine Absage bekamen dabei Pflegeroboter. Abgesehen davon, dass sie technisch wohl nicht in der Lage sein würden, die komplexen Aufgaben eines Menschen in der Pflege auszuführen, gelten sie als „nicht erwünscht“ – nicht mal dann, wenn ein Mangel an Pflegepersonal droht.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Vernetzung reicht bis in das häusliche Umfeld

Aus Expertensicht

Herr Dehm, wann ist der Zeitpunkt erreicht, an dem ohne Telemedizin gar nichts mehr geht?
Pauschal ist das schwer zu sagen. Es gibt bereits Regionen, in denen der Patient 100 Kilometer bis zum Facharzt zurücklegen muss, da lohnt sich das Telemonitoring aus medizinischer Sicht schon jetzt. Und da die Technik bereit ist, wird es keine zehn Jahre mehr dauern, bis wir in Deutschland die Telemedizin verstärkt nutzen werden, um die Kosten zu senken.
Gilt das Thema Standardisierung immer noch als problematisch?
Es gibt bereits Standards. Diese müssen aber mehr genutzt werden. Ein Schritt dahin ist die internationale Continua-Health-Alliance-Initiative. Sie bietet Interoperatbilitätsanforderungen auf Basis der IEEE-Standards aus der ISO-11073-Familie an. Hersteller, deren Geräte mit denen von Wettbewerbern nach bestimmten Regeln Daten austauschen können, bekommen ein Continua-Zertifikat. Solche Tests starten 2008 in Luxemburg.
Wie gut sind hiesige Unternehmen in diesem Segment positioniert?
Einige deutsche Unternehmen sind in der Entwicklung der Produkte schon sehr weit. Allerdings fehlt ihnen im Inland der Markt. Bisher liegen noch zu wenige Vergleichsdaten vor, um den medizinischen und wirtschaftlichen Vorteil der Telemonitoring-Produkte gegenüber den Kostenträgern zu belegen. So liegen zwischen der Idee und dem Return on Invest um die zehn Jahre. Für kleine und mittlere Unternehmen ist das schwer zu bewältigen.
Welche Strategie empfehlen Sie vor diesem Hintergrund?
Wer sich in diesem interessanten Bereich positionieren will, sollte seine Produkte so entwickeln, dass sie nicht nur in der Medizin, sondern auch im Fitness- und Gesundheitserhaltungsmarkt eingesetzt werden können. Damit lässt sich die Lücke bis zu ihrem Einsatz in der Medizin gut überbrücken. Darüber hinaus ist es sinnvoll, sich Netzwerken wie Telemed in Germany anzuschließen. Darin arbeiten viele Hersteller zusammen, deren Produkte für ein Telemonitoring-System gebraucht werden, aber nur wenige treten dem Markt gegenüber als Anbieter auf. Das erleichtert die Sache sehr.
Wie ist Ambient Assisted Living, also die elektronische und informationstechnische Unterstützung im häuslichen Bereich, als Markt zu bewerten?
Das ist ein spannendes Gebiet, auf dem wir noch am Anfang stehen. Die Bevölkerungsentwicklung wird es erforderlich machen, hilfsbedürftige Menschen mit Technik zu unterstützen, und diese Menschen oder ihre Angehörigen sind bereit, für mehr Sicherheit zu bezahlen. Die heute 50-jährigen werden dafür genug Rente zur Verfügung haben, und mit dem Internet sind sie auch vertraut – daher bin ich überzeugt davon, dass das ein großer Markt wird.

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