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AR im OP: Was Mediziner wirklich brauchen

Augmented Reality im OP
AR im OP: 3D-Scanner in der Brille erkennt Strukturen im Gehirn

Neurochirurgen und Ingenieure arbeiten am Universitätsklinikum Leipzig an einem neuen System, das Ziel- und Risikostrukturen bei der OP leichter erkennbar macht. Prof. Erdem Güresir, Direktor der Klinik für Neurochirurgie, und Prof. Dirk Winkler, der das Entwicklungsprojekt aus medizinischer Sicht leitet, erläutern, warum der Einsatz eines 3D-Scanners ein Quantensprung sein könnte.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Herr Professor Güresir, welche Rolle spielt Technik in der Neurochirurgie?

Güresir: Technik verbessert schon heute die Patientensicherheit. Das liegt daran, dass wir es in der Neurochirurgie mit sehr feinen und empfindlichen Strukturen im Gehirn zu tun haben. Tumorgewebe, das entfernt werden soll, liegt dicht neben funktionstragenden Bereichen für das Sprechen, Hören, Sehen oder auch die Bewegung. Um diese Strukturen zu schonen, arbeiten wir in hochtechnisierten Operationssälen. MRT und CT liefern uns im Vorfeld zweidimensionale Bilder, ebenso das Operationsmikroskop während des Eingriffs. Es gibt auch Navigationssysteme, und die Technik hilft uns immens. Dennoch braucht es viel Training, um als Chirurg anhand der 2D-Daten im Operationsfeld richtige Entscheidungen zu treffen.

Welche Vorteile kann da Augmented Reality im OP bringen?

Güresir: Eine Augmented-Reality-Brille wäre eine große Hilfe, da sich damit die Position von relevanten Strukturen direkt einblenden lässt, und zwar dreidimensional. Zugleich braucht eine solche Brille erheblich weniger Platz als das Operationsmikroskop oder gar ein Gerät für eine intraoperative Bildgebung mittels MRT. Das erfordert einen eigenen Raum direkt neben dem OP. Von den Kosten für diese Ausstattung, die sich im sechs- bis siebenstelligen Bereich bewegen, gar nicht zu reden. Eine AR-Brille würde all das ersetzen.

Welche AR-Systeme stehen Ihnen heute schon zur Verfügung?

Güresir: Es gibt bisher so gut wie gar keine Systeme dafür. Deshalb haben wir vor etwa einem Jahr damit begonnen, ein geeignetes System nach unseren Vorstellungen zu entwickeln, zusammen mit Ingenieuren.

Winkler: Dass wir die technische Kompetenz hier vor Ort haben und einbinden können, ist für die Entwicklung ein Riesenvorteil – und wir haben in dem einen Jahr schon eine Menge erreicht.

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Dank der 3D-Datenbrille, die derzeit von der Arbeitsgruppe um Prof. Dirk Winkler (Mitte, hinten) entwickelt wird, können die Neurochirurgen Prof. Erdem Güresir (li.) und Dr. Johannes Wach die so genannte „erweiterte Realität“ bei ihrer Arbeit nutzen
(Bild: Stefan Straube / UKL)

Was erwarten Sie von dem AR-System, das bei Ihnen in Leipzig entsteht?

Winkler: Wir wollen mehr erreichen als das, was mit ersten rudimentären Ansätzen heute möglich ist. Mit den bisherigen Systemen können wir Positionen visualisieren, mit Fadenkreuz-Einblendungen zum Beispiel die Position für Schrauben in der Wirbelsäulenchirurgie anzeigen. Das alles erfordert aber ein immer neues Ausrichten, ein Justieren an Hand von Landmarken. Das ist zeitaufwendig. Unser System soll hingegen mit einem in die AR-Brille integrierten 3D-Scanner arbeiten, der das Operationsgebiet abtastet und anhand der Oberflächen erkennt, was wir vor uns haben. Die Basis dafür sind natürlich nach wie vor die MRT- und CT-Scans, die vor der OP erstellt werden. Diese brauchen wir, da jedes Gehirn individuell aufgebaut ist und die zu schonenden Strukturen bei jedem Patienten leicht abweichend angeordnet sind. Mit dem Scanner gehen wir dabei aber einen ganz neuen Weg – und erste Untersuchungen zeigen, dass wir unser Ziel, nämlich mehr Präzision beim Eingriff und damit Sicherheit, auch erreichen.

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Welche Laufzeit ist geplant?

Winkler: Wir planen derzeit mit weiteren ein bis zwei Jahren. Dabei geht es zunächst darum, belastbare Daten zu sammeln und so statistisch belegen zu können, was die Arbeit mit der AR-Brille direkt im OP bringt. Darüber hinaus optimieren wir die Software und passen sie so an, dass das System unseren Anforderungen als Medizinern entspricht und gleichzeitig einfach zu bedienen ist. Ein weiteres Ziel ist, eine Reihe von Instrumenten zu integrieren, auch das Endoskop zum Beispiel oder Instrumente zum Zeigen.

Güresir: Wichtig sind uns aber auch die Möglichkeiten für die Ausbildung der kommenden Chirurgen, die uns die AR-Brille an die Hand gibt. Mit dem System kann zum Beispiel der operierende Chirurg genau das, was er sieht, seinem Assistenten zeigen und erläutern – wenn dieser ebenfalls eine solche Brille mit den entsprechenden Einblendungen trägt. Damit sammeln die jüngeren Kollegen viel schneller die erforderlichen Erfahrungen, um dann selbst einen Eingriff auszuführen.

Geht es im Projekt ausschließlich um den Einsatz direkt im OP oder auch generell um die Ausbildung der Mediziner?

Güresir: Beides spielt eine Rolle. Die Idee zum Projekt entstand aus einer konkreten Anforderung: Ein Neurochirurg muss häufig eine Drainage in hirnwasserführenden Räumen legen, oft bei einem Notfall und unter großem Stress, was zu leichten Fehlplatzierungen führt. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass diese Aufgabe mit unserer AR-Brille schneller und sicherer zu erledigen ist. Doch wir sehen auch viel Potenzial für die Ausbildung, da man vor der OP schon Strukturen zeigen kann, die im Gewebe verborgen liegen.

Inwieweit können Sie auf verfügbare Produkte für Ihr System zurückgreifen?

Winkler: Wir nutzen eine kommerziell verfügbare AR-Brille, derzeit die Hololens. Solche Produkte eignen sich für unsere Zwecke, und wir beobachten die Weiterentwicklungen in diesem Segment. Die Software entwickeln wir selbst oder passen Vorhandenes an.

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Wäre damit eine Zertifizierung als Medizinprodukt machbar?

Winkler: Grundsätzlich ja. Allerdings darf man den Zeitaufwand dafür nicht unterschätzen. Für alle Medizinprodukte sind die Anforderungen der MDR umfangreich, und auch eine Bewertung durch eine der aktuell stark ausgelasteten Benannten Stellen muss erfolgen.

Welche Voraussetzungen muss ein OP erfüllen, um mit AR arbeiten zu können?

Güresir: Wir brauchen WLAN im OP und die AR-Brille. Das macht die Sache meiner Ansicht nach auch sehr interessant. Denn Navigationssysteme und intraoperatives MRT sind in der Regel nur in Universitätskliniken oder sehr großen Häusern verfügbar. Mit unserem System ließen sich die Versorgung und die Patientensicherheit mit weniger Aufwand verbessern. Was übrigens nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt interessant sein könnte.

Wie groß ist das Interesse aus Industrie und Medizin?

Winkler: Wir haben aus beiden Bereichen positives Feedback bekommen und sind in Kontakt mit Unternehmen. Unser Ziel ist, das System am Ende als Medizinprodukt in der Praxis zu sehen. Es gibt allerdings noch keinen konkreten Partner, mit dem wir das umsetzen werden. Am liebsten wäre es uns, die Entwicklung mit einem Unternehmen aus der Medizintechnik anzugehen, in dem alle Anforderungen und regulatorischen Vorgaben bekannt sind.

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Ein Kritikpunkt, der in Zusammenhang mit AR- und VR-Systemen genannt wird, sind die hohen Kosten. Wie schätzen Sie das bei Ihrem System ein?

Winkler: Wir haben noch kein Produkt und somit keine genauen Angaben zu den späteren Kosten für so ein System. Eine AR-Brille ist heute für etwa 5000 Euro zu haben. Die Entwicklungsarbeit, die daraus ein Medizinprodukt macht, wird sicherlich einzukalkulieren sein. Aber wir gehen davon aus, dass die Kosten für AR im OP deutlich unter denen liegen, die heute für die komplexe technische Ausstattung in einem Saal für die Neurochirurgie anfallen.

Welche Perspektive sehen Sie für AR-Systeme im OP?

Güresir: Ich denke, die Perspektiven sind sehr gut. Unser System wird klein und auch für solche Häuser verfügbar sein, in denen bisher noch gar kein Navigationssystem genutzt wurde. So wie in den 70er-Jahren der Schritt von der bis dahin üblichen Lupenbrille zum Operationsmikroskop einer Revolution im OP gleichkam, könnte auch der Schritt hin zur AR-Brille eine ähnliche Veränderung bedeuten.

https://www.uniklinikum-leipzig.de/einrichtungen/neurochirurgie/unser-team

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