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App statt Arzt ist kein gutes Motto

Health-Apps: Patientensicherheit sollte stärker im Vordergrund stehen
App statt Arzt ist kein gutes Motto

App statt Arzt ist kein gutes Motto
Dr. med. Georgios Raptis ist Arzt und Informatiker und bei der Bundesärztekammer im Dezernat Telematik tätig
Dem riesigen Angebot an Apps im Gesundheitssektor gewinnt der Arzt und Informatiker Dr. med. Georgios Raptis positive wie negative Seiten ab. Was von Fachleuten kommt, ist meistens gut zu gebrauchen. Gefährlich aber sind die Grauzonen bei den Anwendungen – und die schwarzen Schafe.

Herr Dr. Raptis, wie bewerten Sie als Mediziner das Spektrum der Health-Apps?

Weit über 10 000 Angebote kann man natürlich nicht pauschal bewerten. Apps wenden sich zum einen an Patienten, zum anderen an die Ärzte, und für beide Zielgruppen gibt es sinnvolle und zweifelhafte Ansätze. Auf jeden Fall als positiv anzusehen ist, dass uns die mobilen Techniken ganz neue Möglichkeiten bieten, Patientendaten zu erfassen oder auch Informationen für Ärzte zur Verfügung zu stellen.
Welche App-Ziele halten Sie für sinnvoll?
Generell ist mein Eindruck, dass die App-Angebote für die Mediziner ausgeklügelter sind. Das mag daran liegen, dass sie von Insidern entwickelt werden, die sich in ihrem Segment sehr gut auskennen und einen echten Mehrwert generieren können. Dazu zählen Angebote für Ärzte, die zum Beispiel Leitlinien für die Behandlung oder auch die Patientendaten auf dem iPad zur Verfügung stellen. Das ist ein echter Fortschritt gegenüber dem Wagen mit Patientenordnern, den wir heute noch in vielen Kliniken vorfinden. Was wiederum für Patienten sehr gut funktioniert sind Apps, die medizinische Informationen in verständlicher Weise liefern. So etwas entsteht oft in Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen. Auch Unterstützung bei der Einnahme von Medikamenten und die Dokumentation der Patienten-Compliance sind nützlich.
Und die schwarzen Schafe im Markt ?
Sind aus meiner Sicht Apps, die Patienten wenig fundierte oder unverständliche Informationen liefern oder gar eine automatische Diagnose versprechen. Als Beispiel fällt mir dazu eine Studie ein, in der Apps aus dem dermatologischen Bereich verglichen wurden. Drei von vier bekamen eine mangelhafte Bewertung. Nur eine schnitt gut ab: Da wurde das Foto eines Hautbereichs an einen Dermatologen weitergeleitet, der die fragliche Stelle beurteilte. Das Schlimmste an diesem Beispiel finde ich, dass die schlecht bewerteten Apps das Hautkrebs-Risiko für die Patienten unterschätzten. Gerade in den USA, wo manch einer lieber eine App bezahlt als einen Arztbesuch und sich dann auf das vermeintlich beruhigende Ergebnis verlässt, sind solche Fehler fatal.
Eine App kann also den Arztbesuch nicht ersetzen?
Auf keinen Fall. Sie kann aber die Arbeit des Mediziners unterstützen. Warum sollte ein Diabetes-Patient seine Blutzucker- oder Blutdruckwerte nicht auf einem mobilen Endgerät zum Arzt mitbringen? Natürlich wird der einer App nicht blind vertrauen, sondern die Plausibilität der Daten prüfen. Wenn die gegeben ist und die einzelnen Messwerte nicht nur als „okay“ oder „nicht okay“ ausgegeben werden, wird eine statistische Auswertung oder auch eine Trenddarstellung der Werte aus den letzten Monaten willkommen sein.
Sind die Regeln für die Zulassung von Health-Apps ausreichend?
Leider nicht. Es gibt zwar die Vorgabe, dass eine App für diagnostische Zwecke nach dem MPG zertifiziert werden muss. Aber es steht dem Hersteller frei, einen anderen Zweck zu definieren oder zu vermerken, dass die Anwendung nur für Ausbildungszwecke vorgesehen ist. Wenn der Patient die App dann doch für medizinische Fragen einsetzt, geschieht das auf eigenes Risiko. Hier sehe ich den Gesetzgeber in der Pflicht, dahingehend tätig zu werden, dass mehr Apps zertifiziert werden müssen, damit die Patientensicherheit in den Vordergrund rückt. Wobei wir uns hoffentlich nicht missverstehen: Es gibt natürlich auch Geräte in Kombination mit Apps, die diesen Prozess durchlaufen haben und ihren Dienst sehr gut erfüllen.
Wonach müsste man die Apps bewerten?
Jedenfalls tiefergehend, als das in Internet-Plattformen und App-Stores bisher geschieht. Selbst Angebote, die dort die besten Bewertungen bekommen, können gefährlich sein. Diese Beurteilungen kommen ja nicht von Fachleuten, die die Qualität und Sicherheit fachlich einschätzen können. In diesem Zusammenhang begrüße ich, dass es im Forschungsumfeld Initiativen gibt, die eine objektive Bewertung ermöglichen werden.
Im Dienste des „Quantified Self“ wird die Selbstuntersuchung ausgeprägt praktiziert. Ist das aus medizinischer Sicht gut?
Das Erfassen von Messwerten ist nichts grundsätzlich Neues und wurde früher mit Tagebüchern praktiziert. Wer gut über sich Bescheid weiß und zum Beispiel seine sportlichen Aktivitäten mit einem Gewichtsverlust in Zusammenhang bringen kann, ist vielleicht motivierter, weiterzumachen. Apps und die in Verbindung damit genutzten mobilen Sensoren liefern natürlich viel mehr Input als man früher in einem Tagebuch eingetragen hat, und man kann sich mit so etwas auch verrückt machen. Interessanter finde ich in diesem Zusammenhang die Frage des Datenschutzes. Denn wer weiß schon, was alles mit den Daten geschieht?
Profitiert die Telemedizin von den Erfahrungen und Entwicklungen bei den Apps?
Es ist noch zu früh, das abschließend zu beurteilen, da es noch relativ wenige Apps gibt, die in den Kontext passen. Aber ein Medizingerät für den Einsatz zu Hause, das mit einer App gekoppelt ist und den Anschluss an ein Telemonitoring-System ermöglicht, wäre sicher dienlich. Derzeit läuft ein Test im Rahmen des Diabetes-Managements bei einer privaten Krankenversicherung, die ihren Versicherten eine solche Lösung zur Verfügung gestellt hat.
Welche Art von Apps wäre aus Ihrer Sicht in Zukunft wünschenswert?
Alles, was den Arzt bei seiner Arbeit unterstützt und zum Beispiel Daten übersichtlich darstellt, ist willkommen. Auch die Möglichkeit, dem Patienten Zugang zu seinen eigenen Daten zu verschaffen, ist interessant – soweit der Datenschutz gewährleistet ist. Ansonsten muss ich sagen, dass ich auf die Entwicklungen der nächsten Jahre selbst gespannt bin. Wer hätte vor fünf Jahren geglaubt oder vorhersehen können, was heute mit Apps schon alles möglich ist?
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Vermesse Dich selbst
Mit Quantified Self (QS) wird ein Trend bezeichnet, den eigenen Körper mit den verschiedensten Sensoren und Hilfsmitteln so gut wie möglich zu vermessen und in Zahlen zu fassen.
Wer das macht, tut es freiwillig, mit dem Ziel, die Gesundheit oder die Fitness zu verbessern, den Einfluss ungünstiger Gewohnheiten zu erkennen und sich dank dieser Kenntnis zu besserem Verhalten zu motivieren – also zu erziehen. Ihren Ursprung hat diese Idee in Amerika, ist aber inzwischen in Europa und auch in Deutschland angekommen.
Zur Seite der deutschen QS-Bewegung: www.igrowdigital.de
Dem Phänomen ist auch eine Seite in Wikipedia gewidmet: http://de.wikipedia.org/wiki/Quantified_Self

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