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Medical Device Regulation: erste Benannte Stelle

Erfahrungen mit der MDR
Aus Sicht der Benannten Stelle: Zu viele Unklarheiten für die Medical Device Regulation

Aus Sicht der Benannten Stelle: Zu viele Unklarheiten für die Medical Device Regulation
Dr. Bassil Akra ist bei TÜV Süd als Vice President Global Strategic Business Development of Medical & Health Services mit allen Fragen zur MDR vertraut (Bild: TÜV Süd)
Als erste Benannte Stelle gemäß Medical Device Regulation außerhalb von Großbritannien könnte TÜV Süd seine Arbeit aufnehmen. Doch um ernsthaft anfangen zu können, sind viel zu viele Details der MDR, der Medical Device Regulation, unklar, sagt Dr. Bassil Akra, Vice President Global Strategic Business Development of Medical & Health Services. Er würde die Uhren gern anhalten.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Herr Dr. Akra, TÜV Süd ist Benannte Stelle gemäß der Medical Device Regulation, der MDR. Wie lange hat es gedauert bis zur Benennung?

Insgesamt etwa eineinhalb Jahre – damit waren wir sogar etwas schneller als der formal geplante Ablauf, der erste Benennungen im Juli 2019 vorsah.

Wie läuft der Benennungsprozess ab?

Frühestens sechs Monate nach Publikation der MDR war es möglich, den Antrag auf Benennung zu stellen. Vorgesehen war, dass innerhalb des folgenden halben Jahres Audits stattfinden. Danach bekamen die Antragsteller eine Abweichungsliste. Um die Abweichungen zu beheben, wurden wiederum sechs Monate angesetzt. Nach der Prüfung erfolgte die Designation durch die nationale Stelle, für Deutschland durch die ZLG. Diese Information wird im Nando zur Verfügung gestellt, um anderen Mitgliedsstaaten die Gelegenheit zu geben, zu widersprechen. Erfolgt kein Widerspruch, ist die Benennung abgeschlossen. Diesen Prozess haben bisher BSI in Großbritannien und TÜV Süd durchlaufen.

Das sind nicht viele…

Wir hoffen tatsächlich, dass es noch vor den Sommerferien weitere Benannte Stellen gibt. Im Jahr 2018 liefen insgesamt 16 Audits, und für 2019 sind meines Wissens weitere 15 Audits geplant. Dass es für uns so schnell ging, lag unter anderem daran, dass in der ersten Welle gar nicht so viele potenzielle Benannte Stellen einen Antrag auf Benennung bei der Kommission gestellt haben. Aber ich freue mich
auf jede weitere, denn auch wenn wir unsere Kapazitäten erheblich erweitert haben, können wir allein den Markt nicht vollständig bedienen.

Welche neuen Anforderungen muss eine Benannte Stelle erfüllen?

Es werden auch von uns sehr viel mehr Dokumentationen gefordert, um unsere Kompetenz zu belegen. Es reicht zum Beispiel nicht mehr aus, dass wir Fachärzte beschäftigen. Wir müssen auch für einen Chirurgen anhand seines Lebenslaufes im Detail schriftlich nachweisen, dass er über Expertise zu chirurgischem Nahtmaterial verfügt. Und beim Bewerten der Produkte müssen wir weiter in die Tiefe gehen. Es gilt, alle Hersteller gleich zu behandeln und jedes Produkt so zu betrachten, als sei es noch nie auf dem Markt gewesen. Auch wenn es sich seit 50 Jahren bewährt hat.

Wie sehr verändert sich die Arbeit Ihrer Experten durch die MDR?

Genau genommen wissen wir das noch gar nicht, und das ist aus meiner Sicht das größte Problem. Es gibt immer wieder ein Korrigendum oder Guidance-Papiere, neue Informationen der Europäischen Kommission dazu, wie bestimmte Passagen der MDR zu interpretieren sind. Das war schon während der Antragsphase so, und wir haben unsere Prozesse jeweils angepasst und Mitarbeiter geschult. Es kommt aber auch vor, dass die gleiche Passage einer weiteren Korrektur unterliegt. Daher haben wir bisher nur sehr zurückhaltend mit dem Bearbeiten der Anträge von Medizinprodukteherstellern beginnen können.

Wie gelingt es Ihnen, Personal für die anstehenden Aufgaben zu gewinnen?

Wir haben vor vier Jahren begonnen, unsere Kapazitäten aufzustocken. Aber wir müssen jeden neuen Experten in unsere Aufgaben einarbeiten – es dauert ein bis eineinhalb Jahre, bevor ein neu Hinzugekommener selbst Akten bearbeitet. Und derzeit arbeiten wir zum Teil ja noch nach den Regeln der bisher geltenden MDD.

Wird es Versorgungsengpässe geben?

Es gibt mehrere Umstände, die zu Schwierigkeiten führen könnten. So brauchen drei Produktgruppen, die bisher mit einer Konformitätserklärung des Herstellers auf den Markt kamen, künftig die Zertifizierung durch eine Benannte Stelle: die wiederaufbereitbaren Instrumente der Klasse Ir, medizinische Apps und stoffliche Medizinprodukte wie Nasenspray. Da es bisher nur zwei Benannte Stellen gibt, ist nicht abzusehen, wie das alles zu bewältigen sein soll. Und wegen eines möglichen Brexits suchen viele Hersteller nach einer nicht in Großbritannien ansässigen Benannten Stelle, was die Lage verschärft. Hinzukommt, dass – soweit das zulässig ist – bestehende Zertifikate nach der MDD verlängert werden sollen, um Produkte über Mai 2020 hinaus verkaufen und damit die Neuzertifizierung etwas später umsetzen zu können. Wenn die Kapazitäten bei den Benannten Stellen nicht ausreichen, um das Ziel zu erreichen,
wären diese Produkte bis zu ihrer Neuzertifizierung ebenfalls vom Markt verschwunden.

Wie legen Sie die Reihenfolge fest, um Anträge der Hersteller zu bearbeiten?

Wir dürfen niemanden benachteiligen. Wir können also unter Berücksichtigung der Kapazitäten nur nach dem First-in-first-out-Prinzip vorgehen. Es gibt auch keine Unterteilung nach großen oder kleinen Unternehmen oder Bestandskunden und Neukunden. Die MDR ist ein Neustart, damit fangen alle Kunden bei Null an. Um aber im Dienste der Patienten eine Versorgung sicherzustellen, arbeiten wir gerade an Kriterien, wie wir die Arbeit organisieren können. Dabei wird die klinische Relevanz der Produkte berücksichtigt, der Innovationsgrad und die Gültigkeitsdauer bestehender Zertifikate.

Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung für Unternehmen?

Das Schwierigste ist, dass auch Unternehmen mit der Unsicherheit umgehen müssen, nicht genau zu wissen, was von ihnen verlangt wird, dafür aber Kapazitäten bereitstellen müssen. Experten hierfür sind rar und teuer, was die Lage insbesondere für die vielen kleinen Unternehmen schwierig macht.

Worüber wird im Zusammenhang mit der MDR zu wenig geredet?

Über den Patienten. Eigentlich geht es zu wenig um das Ziel, sichere und leistungsfähige Produkte zu entwickeln, und viel zu viel um Formalitäten. Da gerät etwas aus dem Gleichgewicht, denn der zusätzliche Aufwand, den alle Hersteller treiben müssen, wird sich im Preis für die Produkte niederschlagen.

Was wünschen Sie sich für den Umgang mit der neuen MDR?

Auch wenn das nicht realistisch ist: Ein Reset wäre prima. Wir sollten die Uhren anhalten, bis alle Guidances vorliegen, bis genau geklärt ist, was verlangt wird, bis es eine Eudamed-Datenbank und ausreichende Kapazitäten bei Benannten Stellen gibt, um die vielen Anträge zu bearbeiten. Erst dann könnten wir ernsthaft und zügig anfangen, die Regelungen der MDR umzusetzen. So, wie wir im Moment vorgehen, verbrennen wir nur Ressourcen, die dann nicht für Innovationen und ein besseres Gesundheitssystem zur Verfügung stehen.

Wie wird es mit der Umsetzung der MDR im Mai 2020 aussehen?

Ich glaube, es wird sehr chaotisch sein. Bisher wird bei der Europäischen Kommission auf Kommentare der Benannten Stellen so gut wie nicht reagiert. Da sich aber Schwierigkeiten abzeichnen, werden viele Mitgliedsstaaten zu der Möglichkeit greifen, nationale Sonderregelungen einzuführen, um ihre Gesundheitssysteme am Laufen zu halten – bis es schließlich ein funktionierendes System auf Basis der MDR geben wird.

Was empfehlen Sie den Unternehmen vor diesem Hintergrund?

Verbringen Sie die Zeit nicht mit Warten und Hoffen, bereiten Sie sich, so
gut es geht, mit Ihren technischen und wissenschaftlichen Kenntnissen vor und kommen Sie mit potenziellen Benannten Stellen frühzeitig ins Gespräch. Ich wünsche allen viel Kraft und Mut, damit sich die Vorgaben der MDR im Sinne des Patienten rechtzeitig umsetzen lassen und die Medizinprodukte zwischenzeitlich verfügbar bleiben.

 

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