Nachdem im vergangenen Jahr der Geltungsbeginn für die Medical Device Regulation (MDR) verschoben wurde, naht nun mit dem 26. Mai der Termin, an dem es endgültig ernst wird. Daher lohnt es sich, einige Wochen vorher einen Blick auf die Entwicklungen seit der Verschiebung zu werfen.
Mit der Notifizierung der Benannten Stellen geht es unverändert nur langsam voran. Zwar hat die Bundesregierung Ende Oktober 2020 auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag die Erwartung geäußert, dass bis Mai 2021 bereits 25 Benannte Stellen notifiziert sein würden und diese damit Zertifizierungen nach der MDR durchführen könnten.
Zum 21. März 2021 waren jedoch erst 19 Benannte Stellen startbereit. In Hinblick auf die hohe Innovationsgeschwindigkeit der Medizintechnikindustrie und das Bedürfnis nach handlungsfähigen und reaktionsschnellen Benannten Stellen ist das als besorgniserregend anzusehen.
Mitgliedstaaten können Sonderzulassungen erteilen
Für den Fall, dass nach dem 26. Mai 2021 Engpässe bei der Konformitätsbewertung entstehen, will die Bundesregierung aber vermehrt Sonderzulassungen ermöglichen, sofern ansonsten dringend benötigte Medizinprodukte nicht verfügbar sind. Behördliche Sonderzulassungen sind gemäß Art. 59 MDR möglich. Dieser ist bereits am 24. April 2020 in Kraft getreten und erlaubt, dass die zuständige Behörde eines Mitgliedstaates auf Antrag das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme des Medizinprodukts genehmigt. Diese Genehmigung ist allerdings begrenzt auf das Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaates.
Dieses Sonderzulassungsverfahren bedeutet nicht, dass weniger Voraussetzungen zu erfüllen sind als im Normalfall, der Konformitätsbewertung. Erforderlich ist, dass die Verwendung des Medizinprodukts, dessen Zulassung beantragt wird, „im Interesse der öffentlichen Gesundheit oder der Patientensicherheit oder -gesundheit“ liegt.
Sonderzulassungen – eine Aufgabe für das BfArM
Sonderzulassungen wurden vorgesehen, um eine ausreichende Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Medizinprodukten zu erreichen. Anwenden lässt sich die Regelung für Einzelzulassungen aus humanitären Erwägungen bis hin zur Zulassung von Produktgruppen. Ein Antrag auf Sonderzulassung ist möglich, wenn Leben und/oder Gesundheit der Patienten bedroht sind, weil die entsprechenden Medizinprodukte nicht vorhanden sind oder es sich um dringend benötigte Produktinnovationen handelt.
Eine solche Sonderzulassung erteilt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach pflichtgemäßem Ermessen. Antragsberechtigt sind nicht nur Hersteller, sondern jedermann, auch Gesundheitseinrichtungen, Angehörige der Gesundheitsberufe und Patienten. Eine Befristung ist im Unterschied zur bisherigen Rechtslage nicht mehr vorgesehen. Betroffene können die einstweilige Erteilung der Sonderzulassung gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen.
Das Instrument der Sonderzulassung hat in den vergangenen zwölf Monaten vor dem Hintergrund der Covid- 19-Pandemie zunehmend an Bedeutung gewonnen. Auf Anfrage teilte die Abteilung Medizinprodukte des BfArM mit, dass 234 Anträge auf Sonderzulassungen zwischen Februar 2020 und dem 19. Januar 2021 genehmigt worden seien. Davon hatten 212 Vorgänge einen Bezug zur Covid-19-Pandemie. Es bleibt abzuwarten, ob das Sonderzulassungsverfahren, auch bedingt durch Zertifizierungsengpässe bei den 19 benannten Stellen, zusätzliche Bedeutung gewinnen wird.
Viel wird von der weiteren Verwaltungspraxis des BfArM abhängen. Jedenfalls rechnet der deutsche Gesetzgeber bei Medizinprodukten für seltene Erkrankungen längerfristig mit einer erhöhten Zahl von Anträgen auf Sonderzulassung.
Produkte mit Bescheinigung nach MDD: keine neuen Fristen
Mit Inkrafttreten der MDR sollte es die Möglichkeit geben, Medizinprodukte, die nach altem Recht auf den Markt gebracht wurden, innerhalb fester Fristen aufzubrauchen. Diese Fristen wurden nicht verändert. Gemäß § 120 Abs. 2 MDR verlieren Bescheinigungen, die nach der bisher geltenden Medical Device Directive (MDD) bis zum 26. Mai 2021 ausgestellt wurden, spätestens am 27. Mai 2024 ihre Gültigkeit. Sie sind also maximal noch gut drei Jahre gültig.
Die Europäische Datenbank für Medizinprodukte, Eudamed, deren Einführung und Start parallel zu MDR geplant war, wird voraussichtlich nicht vor Mai 2022 mit allen Modulen einsatzbereit sein. Ob in etwas mehr als einem Jahr die volle Funktionsfähigkeit gewährleistet sein wird, darf nach den bisherigen Erfahrungen bezweifelt werden. Immerhin hat die EU-Kommission am 1. Dezember 2020 das erste Modul zur „Actor Registration“ freigeschaltet. Dieses Modul ermöglicht es, die in Art. 31 MDR vorgeschriebene Single Registration Number (SRN) zu erteilen. EU- und Nicht-EU-Hersteller, Bevollmächtigte und Importeure können sich mit diesem Modul schon als Akteur in der Eudamed-Datenbank registrieren und die dafür erforderlichen Informationen bereitstellen. Eine Pflicht zur Actor Registration besteht frühestens, wenn alle sechs Module von Eudamed voll funktionsfähig sind. Gleichwohl empfiehlt die Medical Devices Coordination Group (MDCG) bereits jetzt die Registrierung.
Eudamed: Das erste Modul ist aktiv, aber umstritten
Dieses Vorgehen der Kommission, die Möglichkeit zur Actor Registration in Kraft zu setzen, obwohl die MDR noch nicht gelte, haben allerdings Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) unlängst in Frage gestellt. Die Freigabe des Moduls durch die Kommission sei „ohne vorherige Analyse aller rechtlichen Konsequenzen, insbesondere die einer vorzeitigen Vergabe der SRN durch die zuständigen Behörden“ erfolgt. Die Vertreter des Gesundheitsministeriums empfehlen, dass vor dem 26. Mai 2021 keine behördliche Zuteilung einer SRN über das freigeschaltete Eudamed-Modul erfolgen sollte.
Das BMG beabsichtigt darüber hinaus, von den Übergangsbestimmungen im Medizinprodukterecht-Durchführungsge setz (MPDG) Gebrauch zu machen und wird die Funktionsfähigkeit des ersten Eudamed-Moduls validieren. Ob und wann die Actor Registration für in Deutschland ansässige Unternehmen funktioniert und verbindlich ist, ist damit unverändert offen.
Ungeachtet der Freischaltung des ersten Eudamed-Moduls hat die MDCG im Februar 2021 eine detaillierte Leitlinie zum Thema veröffentlicht. Diese enthält Lösungen, mit denen sich die Phase bis zur vollen Funktionsfähigkeit der Eudamed-Datenbank überbrücken lässt. Darin werden alternative technische Lösungen dargestellt, wie sich Informationen einreichen und austauschen lassen. Die Darstellung ist tabellarisch und näher erläutert, um eine möglichst einheitliche Verwaltungspraxis der Mitgliedstaaten zu erreichen.
Was die Umsetzung und Funktionsfähigkeit von Eudamed angeht, ist die Situation damit unverändert unübersichtlich und für die betroffenen Unternehmen nicht zufriedenstellend. Die Eudamed-Module II, in denen es um UDI und Geräteregistrierung geht, und Modul III für Zertifikate und benannte Stellen sollen bis September 2021 verfügbar sein.
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