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Die Last der Medical Device Regulation gemeinsam tragen

Medical Device Regulation
KMU können die MDR gerade so umsetzen – gemeinsam

KMU können die MDR gerade so umsetzen – gemeinsam
Julia Steckeler ist Geschäftsführerin und Projektleiterin bei Medical Mountains in Tuttlingen Bild: Medical Mountains
MDR und KMU | Manches kleine Unternehmen aus dem Tuttlinger Raum droht mit der MDR zu verschwinden, weil der damit verbundene Aufwand den Produktwert übersteigt. Welche gemeinschaftlichen Angebote bei Medical Mountains die Last für einzelne Unternehmen verringern sollen, erläutert Geschäftsführerin Julia Steckeler.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Frau Steckeler, was ist aus Ihrer Sicht das Positive an der MDR?

Die MDR soll dazu beitragen, dass die Qualität aller Medizinprodukte, die in der EU zum Einsatz kommen, auf dem Niveau der Besten ist, und etabliert gleiche Regeln für alle. Das ist grundsätzlich ein sinnvoller Ansatz. Leider sind die gesetzlichen Vorgaben nicht praxisorientiert zu Ende gedacht und beinhalten jetzt teils unüberwindbare Herausforderungen.

Was bedeutet die EU-MDR für die von Medical Mountains repräsentierten Unternehmen?

Im Raum Tuttlingen ist eine große Anzahl von Unternehmen seit langem aktiv, die unter 20 oder sogar unter zehn Mitarbeiter haben. Für viele davon bedroht die Einführung der MDR die Existenz – wenn der Aufwand für die Zulassung eines Produktes dessen Wert übersteigt, rechnet sich der Betrieb einfach nicht mehr. Manch kleine Produktionsbetriebe versuchen derzeit, eine andere Rolle im Markt einzunehmen, indem sie nicht mehr als „Hersteller“ auftreten, sondern als „verlängerte Werkbank“ agieren. Allerdings ist dieser Weg auch nicht frei von Dokumentationspflichten. Da es auf der Abnehmerseite ebenso an personellen Ressourcen fehlt, die Dokumentationen selbst zu erstellen, sind jene Lieferanten im Vorteil, die ihren Abnehmern eine komplette Dokumentation zur Verfügung stellen. Und so wird befürchtet, dass nur rund die Hälfte dieser kleinen Unternehmen die Einführung der MDR überstehen werden.

Welcher Aspekt der MDR beschäftigt Sie, abgesehen von der besonderen Situation der kleinen Unternehmen, derzeit am meisten?

Es gibt drei Bereiche, die wir intensiv diskutieren. Der eine ist die Rollenverteilung zwischen OEM – also dem Hersteller von Produkten – und PLM, also dem Unternehmen, das die Produkte des OEM kauft und unter seinem Branding in den Markt bringt. Nach der neuen MDR muss der PLM alle Informationen und das Know-how zu jedem seiner Produkte im eigenen Haus haben, um es beim Audit nachzuweisen. Der OEM ist damit also verpflichtet, all sein Wissen offenzulegen – selbst das, was bisher als Betriebsgeheimnis gelten konnte und den Fortbestand des Unternehmens sicherte. Daher müssen sich jetzt sehr viele Geschäftspartner an einen Tisch setzen und sich darüber austauschen, wie sich ihr gegenseitiges Verhältnis regeln lässt. Wir haben bei Medical Mountains inzwischen Musterverträge für beide Seiten erarbeitet, die die jeweiligen Rechte und Pflichten beschreiben. Der zweite Bereich ist die nicht vorhandene Übergangsfrist für Klasse Ir Produkte. Die Zeit ist für die Fülle an Produkten einfach viel zu kurz. Und direkt mit dem dritten Sorgenpunkt verbunden: Es gibt noch immer keine Benannte Stelle in Deutschland. Unternehmen fehlt es komplett an Planungssicherheit. Zeitgleich stecken sie sämtlich Kapazitäten in die Umsetzung der klinischen Bewertungen und die technischen Dokumentationen

Wie begegnen Unternehmen dem Aufwand für die klinischen Bewertungen und die technische Dokumentation?

Alle investieren in einem unglaublichen Maß. Große Unternehmen setzen eigenen Fachleute dafür ein. Bei den kleineren Unternehmen versuchen wir, verstärkt Entlastung zu schaffen, indem wir die Unternehmen zusammenbringen. So sind zum Beispiel rund 80 Prozent des Aufwandes für eine klinische Bewertung Literaturrecherche. Da fassen wir Produktgruppen wie schneidende Instrumente zusammen und beauftragen einen Dienstleister, der den Aufwand einmal treibt – mit dem Ziel, dass alle davon profitieren können und sich die Kosten teilen. Den individuell für das eigene Produkt zu erbringenden Aufwand, der auf der jeweiligen eigenen technischen Dokumentation basiert, gibt es dann immer noch. Aber damit ist die Bürde schon ein wenig leichter. Für 2019 sind übrigens entsprechende Projekte für die Klasse Ir kurz vor Start. Gleichzeitig erarbeitet seit 2018 ein Arbeitskreis aus Spezialisten großer und mittelständischer Medizintechnik-Unternehmen – der ExpertTable zur pragmatischen Umsetzung der EU-MDR – Hinweise und Dokumente für eine erleichterte zeitgerechte und fachliche Umsetzung der Anforderungen.

Steht eine Bereinigung der Portfolios an?

Die Bereinigung läuft schon auf vollen Touren. Insgesamt werden die Portfolios im Schnitt um etwa 20 Prozent schrumpfen, weil alles entfällt, was sich künftig nicht mehr rechnet. Darunter werden sich leider auch viele Nischenprodukte befinden. Bei den Unternehmen fragen bereits Kliniken wegen der Liefermöglichkeiten für bestimmte Produkte nach dem Mai 2020 an – und äußern sich besorgt.

Welche Auswirkungen erwarten Sie für die Branche in Europa?

Wir laufen Gefahr, global gesehen hinterherzuhinken, weil derzeit alle Anstrengungen auf das Erfüllen der MDR hinauslaufen und für Innovation und Neuentwicklungen gar kein Raum bleibt. Während wir hier mit dem Dokumentieren beschäftigt sind, wird in den USA oder andernorts entwickelt. Umgekehrt ändert sich auch die Markteinschätzung: Während früher die FDA-Anforderungen und damit der amerikanische Markt als schwierig galten, übernimmt diese Rolle künftig der EU-Markt – auf dem vielleicht nicht mehr alle Hersteller ihre Produkte zulassen möchten. Daher sind zumindest vorübergehende Versorgungsengpässe bestimmter Produkte in Europa nicht auszuschließen.

Was erhoffen Sie sich für die kommenden Monate bis zum Ende der Übergangsfrist?

Das Gesetz an sich wird nicht mehr geändert werden, da sind die Auskünfte sehr klar. Allerdings habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es noch zusätzliche Fristen geben wird: Da bisher nicht einmal die Infrastruktur zum Beispiel in Form akkreditierter Benannter Stellen oder der Veröffentlichung wichtiger Guidance Papers existiert, ist es nicht realistisch, die kompletten Re- und Neu-Zertifizierungen bis Mai 2020 durchzuführen. Das Problem ist seitens der Politik erkannt und wird in verschiedenen Ländern thematisiert. Entscheiden muss allerdings die EU-Kommission. Ich würde aber niemandem raten, in seinen Anstrengungen nachzulassen und auf spätere Fristen zu spekulieren.


Weitere Informationen

Über Medical Mountains:

https://medicalmountains.de/

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