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Teure Fehlentwicklungen erkennen und vermeiden

Risikomanagement: Risikosensitive Produkte frühzeitig in den Griff bekommen
Teure Fehlentwicklungen erkennen und vermeiden

Fehlerquellen in der Mensch-Maschine-Interaktion lassen sich mit der im Rahmen des Innorisk-Projektes entwickelten Hifem-Methode leicht und sicher identifizieren. Das erleichtert vor allem KMU den Zulassungsprozess risikosensitiver Produkte.

Je komplexer ein Produkt wird, desto schwieriger lassen sich insbesondere humaninduzierte Risiken erkennen. Das ist ein Problem, weil es Studien zufolge vor allem menschliche Fehlhandlungen sind, die zu kritischen Ereignissen bei Einführung und Einsatz technischer Geräte in der Medizin führen. Auslöser für Benutzerfehler ist oft ein unzureichend auf Arbeitsaufgabe und -situation abgestimmtes Design von Arbeitsmitteln und -umgebung.

Um hohe finanzielle Schäden oder den Imageverlust durch einen Rückruf von vornherein zu vermeiden, wurde deshalb am Lehrstuhl für Medizintechnik der RWTH Aachen die Hifem-Methode (Human-Funktions-Effekt-Modellierung) mit unterstützendem Softwaretool entwickelt. Ziel dieses Ansatzes ist es, frühzeitig die Gebrauchstauglichkeit von Medizinprodukten einzuschätzen. Interface-Designer und technische Entwickler erhalten dazu ein fundiertes, einfach anzuwendendes Werkzeug zur standardisierten Beschreibung der Mensch-Maschine- Interaktion.
Mit Hilfe der Hifem-Methode lassen sich bereits im Rahmen der Definitionsphase frühzeitig benutzerinteraktive Prozessschritte modellieren und deren möglicher Einfluss auf den Gesamtprozess bewerten. Der Anwender kann mit der Methode aber auch bestehende Mensch-Maschine-Schnittstellen optimieren und im Rahmen des Validierungsprozesses beurteilen.
Zunächst werden dazu mit einfach anzuwendenden graphischen Werkzeugen alle zu untersuchenden (kritischen) Mensch-Maschine-Interaktionen anschaulich modelliert und in Teilprozesse zerlegt. Diese lassen sich anschließend mit Hilfe vordefinierter zeitlicher und informationsbezogener Abhängigkeiten zueinander in Verbindung setzen und in einer netzähnlichen Struktur abbilden. Auf Basis festgelegter Klassifikationen bezüglich menschlicher Fehler können schließlich systematisch potenzielle Risiken in den einzelnen Phasen der Mensch-Maschine-Interaktion identifiziert werden.
Im Vergleich zu existierenden Risikoanalyseverfahren, die bislang für das Abbilden speziell der Mensch-Maschine-Interaktionen keine adäquaten Möglichkeiten boten, unterstützt Hifem somit Entwickler und Hersteller während des gesamten Produktentwicklungsprozesses bei der Durchführung und Dokumentation des im Rahmen der europäischen Ergänzungsnormen EN 62 366 beziehungsweise EN 60 601-1-6 für Medizinprodukte geforderten Usability Engineering sowie des nach EN 14971 geforderten Risikomanagement-Prozesses. Gerade kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) eröffnen sich hierdurch neue Möglichkeiten im Rahmen des Zulassungsprozesses risikosensitiver Produkte.
Mensch-Maschine-Schnittstellen anschaulich analysieren
Die Hifem-Methode wurde im Rahmen des Innorisk-Projektes nicht nur zusammen mit verschiedenen Industriepartnern erfolgreich in der Praxis getestet, sondern zusätzlich unter kontrollierten Bedingungen mit einem konventionellen Risikoanalyseverfahren, einer Prozess-FMEA (Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse) verglichen. Dazu wurden verschiedene Dialoge eines am Lehrstuhl für Medizintechnik entwickelten Planungs- und Navigationssystems zur Positionierung eines Hüftkopfoberflächenimplantats untersucht.
Im direkten Vergleich schnitt Hifem sowohl bezüglich objektiver Kriterien (Effektivität und Effizienz) als auch hinsichtlich subjektiver Aspekte der Gebrauchstauglichkeit (Benutzerzufriedenheit, Intuitivität, Verständlichkeit sowie Erlernbarkeit) deutlich besser ab. Zudem ließen sich mit Hifem innerhalb der gleichen Zeit doppelt so viele kritische Risiken identifizieren. Die Tester lobten vor allem die klar festgelegte Strukturierung innerhalb der Modellierung sowie die einfache Beschreibung zeitlicher Abhängigkeiten. Hifem ermöglicht damit eine sehr systematische, gleichzeitig jedoch besonders anschauliche Analyse der Mensch-Maschine-Schnittstellen.
In einem weiteren Praxistest setzte Beger Design – spezialisiert auf Produktentwicklung und User-Interfacedesign für Medizinprodukte – die Hifem-Methode im Rahmen der Risikobewertung eines bestehenden und bewährten User-Interfaces für ein Stoßwellentherapiegerät (Duolith SD 1 der Storz Medical AG, Schweiz) ein. Um Defizite und Optimierungspotenziale in der Gebrauchstauglichkeit, wie zum Beispiel beim Aufruf von Behandlungsschemata oder beim Umschalten der Parameter zu erkennen, wählte man dabei zunächst bewusst ein etabliertes User-Interface mit übersichtlicher Funktionstiefe und exemplarisch einige kritische Anwendungs-Szenarien. Mit der Hifem-Methode wurden dann die einzelnen Bedienschritte klassifiziert und anschließend eine Auswahl und Zuordnung der zeitlichen Relationen zu den einzelnen Aufgabenschritten vorgenommen.
Für die Designer war der Einsatz der Hifem-Methode besonders hilfreich, da der Designprozess typischerweise von vielen Annahmen geprägt ist. Der Designer muss sich vorstellen, wie unterschiedliche Anwender das Gerät zukünftig nutzen. Dazu kann er Anwendungs-Szenarien simulieren oder einen Prototypen einsetzen, der im Vorfeld durch eine repräsentative Nutzergruppe bedient wird. Hifem bietet ihm nun die Möglichkeit, bereits in frühen Entwicklungsphasen mögliche Fehlerquellen und potenzielle Fehlbedienungen praxisgerecht und wissenschaftlich fundiert zu identifizieren, zu bewerten und dementsprechend zu vermeiden. Je früher das erfolgt, desto kosteneffizienter wird die Entwicklung. Dabei bietet die softwaregestützte Vorgehensweise viele Vorteile:
  • leichte Strukturierung,
  • keine Angst vor Risikountersuchungen,
  • Dokumentation,
  • Nachvollziehbarkeit und
  • einfaches Fokussieren auf Details.
Die Fehleranalyse des Ausgangsproduktes führte auf diese Weise zu einer Überarbeitung, Neukonzeption und radikalen Vereinfachung der Bedienstruktur. Im genannten Beispiel konnte die Tiefe (Verschachtelung) der Menüstruktur aufgelöst und auf drei Hierarchiestufen begrenzt werden.
Sowohl die Analysemethode als auch das zugehörige Softwaretool werden am Lehrstuhl für Medizintechnik weiterentwickelt. Bei der auf Hifem aufbauenden Maixuse-Methode kommen insbesondere weiterführende Auswertealgorithmen zur Anwendung, die eine effizientere standardisierte Analyse sowie die normenkonforme Dokumentation der Ergebnisse ermöglichen. Neben richtlinienbasierter Evaluierung und benutzerzentrierten Usability-Tests ergeben sich damit neue Möglichkeiten zur Unterstützung des gesetzlich geforderten Usability Engineerings in allen Entwicklungsphasen.
Armin Janß, Dr. Wolfgang Lauer und Prof. Klaus Radermacher, Lehrstuhl für Medizintechnik der RWTH Aachen; Frank Beger, Beger Design, Köln

Ihr Stichwort
  • Risikobewertung
  • Usability Engineering
  • Leichtere Zulassung
  • User-Interface
  • Softwaretool

  • Hintergrund
    Im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) geförderten AiF/FQS-Projektes Innorisk (AiF 14879) wurde ein neuartiges, gesamtheitliches Konzept zur Unterstützung der Risikoidentifikation und -analyse bei sicherheitskritischen Produkten erarbeitet. Beteiligt waren an der Zusammenarbeit das Aachener Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT), der Lehrstuhl für Medizintechnik der RWTH Aachen (Meditec) und Umsetzungspartner sowohl aus dem medizintechnischen als auch aus anderen Produktbereichen (darunter Beger Design, Biotronik, Surgitaix sowie Windhoff Bahn- und Anlagentechnik).
    Auf Basis der vom Fraunhofer IPT entwickelten Ifem-Methode wird im Rahmen einer Risikoanalyse durch eine vernetzte Modellierung systeminhärenter Ursache-Wirkungsbeziehungen erreicht, dass sich auch komplexe, vor allem technische Fehlerursachen frühzeitig erkennen und vermeiden lassen. Am Lehrstuhl für Medizintechnik der RWTH Aachen wurde zusätzlich eine formal-analytische Methode (Hifem) sowie ein zugehöriges Softwaretool zur prospektiven modellbasierten Gebrauchstauglichkeitsprüfung entwickelt. Hier liegt der Fokus insbesondere auf der Gestaltung und frühzeitigen risikobezogenen Bewertung sicherheitskritischer Mensch-Maschine-Schnittstellen am Beispiel der Medizintechnik.
    Weiterentwicklungen auf Basis der Hifem-Methode, zusätzliche Validierungsarbeiten und praktische Erprobungen wurden ferner im Rahmen des Verbundprojektes Ortho-MIT (TP3 – Ergonomische Qualitätssicherung) durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert (01EQ0401).
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