Nach innovativen Substanzen für die Medizin oder Materialwissenschaft suchen Forscher in zahlreichen Projekten. Oft können sie die gewünschten chemischen und physikalischen Eigenschaften bis auf die atomare Ebene vorhersagen. Dennoch: Es gibt so viele potenzielle chemische Verbindungen, dass es Jahre dauern würde, die geeignete Substanz tatsächlich zu finden. Nun soll eine künstliche Intelligenz (KI) helfen: Sie setzt inverses chemisches Design um und generiert gezielt Moleküle auf Basis der gewünschten Eigenschaften. Entwickelt hat den KI-Algorithmus eine interdisziplinäre Forschergruppe des Berlin Institute for the Foundations of Learning and Data (Bifold) an der Technischen Universität Berlin.
Künstliche Intelligenz beschleunigt die Suche nach Medikamenten
„Rein hypothetisch existieren unfassbar viele mögliche Strukturen“, erläutert Dr. Kristof Schütt, Bifold Junior Fellow. Von denen habe aber nur ein winziger Bruchteil die speziellen chemischen oder physikalischen Eigenschaften hat, die in einer bestimmten Anwendung gefragt sind. In den letzten Jahren sei eine Fülle von Methoden entwickelt worden, um die chemischen Eigenschaften und energetischen Zustände von gegebenen Substanzen mit Hilfe von KI vorherzusagen. Selbst mit diesen Methoden erweise sich die Suche nach Molekülen mit spezifischen Eigenschaften in der Praxis aber als schwierig. Nach wie vor müsse eine überwältigende Anzahl an Kandidaten durchsucht werden.
Die Bifold-Wissenschaftler konzentrierten sich daher auf das so genannte inverse Moleküldesign, bei dem die Struktur-Eigenschafts-Beziehung umgedreht wird: Die Struktur gibt nicht die Eigenschaften vor, sondern die Eigenschaften definieren die Struktur. Die Herausforderung besteht darin, molekulare Strukturen zu konstruieren, die einer bestimmten Gruppe von Eigenschaften entsprechen.
Inverses chemisches Design: Chemiker müssen nur wenige Verbindungen prüfen
Der KI-Algorithmus basiert auf einem tiefen generativen neuronalen Netz. Um ihn zu entwickeln, war Vorwissen über grundsätzliche, physikalische Gegebenheiten erforderlich. Das Netz lernt nur anhand einiger tausend Beispielmoleküle die komplexen Zusammenhänge zwischen chemischen Strukturen und ihren Eigenschaften. „Danach können verschiedene Eigenschaftsprofile vorgeben werden“, so Kristof Schütt. Das generative neuronale Netz schlägt dazu eine überschaubare Menge passender Moleküle und Verbindungen vor. Nur diese Kandidaten untersuchen die Chemiker dann. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass dieses inverse chemische Design sogar dann funktioniert, wenn das gesuchte Eigenschaftsprofil nur teilweise von bekannten Beispielmolekülen abgedeckt wird.
Das interdisziplinäre Team erwartet, dass derartige Algorithmen die Suche nach neuen Molekülen und Materialien in vielen praktischen Bereichen stark beschleunigen können. Sie lassen sich auch mit weiteren KI-getriebenen Ansätzen und quantenchemischen Methoden ergänzen.
Nicht nur für die Medizin, sondern auch für technische Materialien interessant
Klaus-Robert Müller, Bifold-Co-Direktor und Professor für maschinelles Lernen an der TU Berlin, fügt sieht „hier ein enormes Potential, wenn sowohl das Entwerfen der Moleküle als auch deren Analyse und Simulation mit Methoden der künstlichen Intelligenz unterstützt werden”. Das könne für de Entwicklung von Medikamenten hilfreich sein oder die Suche nach neuartigen Materialien für Batterien und Solarzellen beschleunigen.
Publikation in Nature Communications:https://doi.org/10.1038/s41467-022-28526-y
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Prof. Dr. Klaus-Robert Müller
Bifold/TU Berlin
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