Wenn es um Visionen für die Gesundheitsversorgung der Zukunft geht, gibt es viele Aspekte zu bedenken. Das zeigt auch der Ergebnisbericht zum Projekt Medtech digital 2035, den der Arbeitskreis Digitalisierung des BVMed im Oktober vorgestellt hat. Dieser umfasst 44 Seiten und geht verschiedene Szenarien durch, ihre Vorteile, ihre Wahrscheinlichkeit, mögliche Engpässe und auch eventuelle Überraschungen. Zwei Beispiele zeigen, wie weit die Autoren aus dem Arbeitskreis gedacht haben. Es könnte womöglich sein, dass der deutsche Gesundheitsetat überraschend auf die Hälfte reduziert würde – oder das gesamte deutsche Gesundheitssystem würde, ebenfalls überraschend, zu einem präventionszentrierten Modell umgestaltet. Solche Thesen „klingen eventuell nicht realistisch“, heißt es in dem Bericht. Sie „sollten jedoch zusätzlich im Hinterkopf behalten werden“.
Datenbasierte Medizintechnik: Was Digitalisierung leisten könnte
Den Fokus haben die Autoren aber auf konkretere Szenarien gelegt und ausgelotet, was „datenbasierte Medizintechnik“ von Prävention über Diagnostik bis zur Intervention leisten könnte. Als datenbasierte Medizintechnik verstehen die Beteiligten eine Versorgung, die auf gemessenen Daten beruht. Das mache die Versorgung „deutlich effizienter und wirksamer“, und damit könne „Transparenz sowie höhere Behandlungsqualität erreicht werden“. So formulierte es die stellvertretende BVMed-Vorstandsvorsitzende Dorothee Stamm bei der Ergebnisvorstellung des Projekts „MedTech digital 2035 – Vision des digitalen datenbasierten Versorgungskosmos aus Sicht der Medizintechnik-Branche“.
In so einem Szenario der datenbasierte Medizintechnik können Fachkräfte medizintechnische Lösungen einsetzen und mit deren Hilfe komplexere Tätigkeiten durchführen. Das könnten in der Diagnostik zum Beispiel „Symptom-Checker“ oder assistierte Bildanalysen sein, in der Behandlung etwa ein Monitoring von automatisch erfassten Werten.
Digitalisierung in der Medizintechnik ermöglicht eine dritte, eine digitale Versorgungsebene
„Ziel einer datengetriebenen Gesundheitsversorgung muss sein, digital erfasste Informationen zu nutzen, um Patient:innen in die geeignete Versorgungsebene zu steuern“, so Stamm weiter. Als Versorgungsebenen werden stationäre, ambulante oder auch digitale Versorgung durch geeignete Fachkräfte verstanden. Ein solches drittes, digitales Versorgungslevel will der BVMed mit Blick auf die Zukunft der Gesundheitsversorgung etablieren. Die passende Versorgungsebene könne auch eine mobile Fachkraft anstelle einer stationären Einweisung sein.
Mit seinen Vorschlägen will der BVMed auch erreichen, dass die notwendigen Verwaltungs- und Routineaufgaben weitgehend automatisiert werden und die Fachkräfte sich auf die Kernaufgaben konzentrieren können. „Die gezielte datenbasierte Steuerung könnte einen echten Qualitätssprung bedeuten und Fachkräfte dort einsetzen, wo sie gebraucht werden“, sagte Stamm. Notwendig sei dafür allerdings, dass auch das Erheben, Bewerten und Steuern von und mit Daten als Leistung im Gesundheitswesen anerkannt und finanziert wird, fordert der BVMed.
Es gibt heute schon digitale Lösungen für die Medizin
Als Beispiele, die in diese Richtung gehen, nennt der Verband
- Diga und Dipa – Digitale Gesundheitsanwendungen und Digitale Pflegeanwendungen,
- Closed-Loop-Systeme für Insulinversorgung mit kontinuierlicher Glukosemessung (CGM) und Insulinpumpe,
- robotisch assistierte Operationen mit digitaler OP-Planung sowie KI-basierter Lernplattform mit Beispieleingriffen,
- KI-Bildanalyse mit automatischer Detektion von Auffälligkeiten und Hinweisen zum möglichen Grund der Auffälligkeit, die die Qualität der Diagnose erhöhen,
- Test-at-home-Kits sowie mobile und sendefähige Geräte für Untersuchungen am Point-of-Care.
Mehr wäre möglich. Aber: „Um die Innovationskraft der Medizintechnik-Branche zu entfalten, müssen auch die Rahmenbedingungen für den Einsatz solcher Lösungen besser werden“, heißt es seitens des BVMed.
Digitalgesetz: Standards für Interoperabilität mit Medtech-Industrie festlegen
Digital Vision 2035 als Diskussionsgrundlage
So oder so ist der Ergebnisbericht als Diskussionsgrundlage gedacht. „Da dieser umfassende Ansatz auch eine ausführliche Reformagenda benötigt, stellt die BVMed-Vision vor allem eine Einladung zum Dialog dar“, fasst Stamm zusammen. Denn es müsse geklärt werden, welchen Weg man in die Zukunft des Gesundheitswesens gehen wolle und wie man gemeinsam dorthin komme. Dabei müsse auch über Aus-, Fort- und Weiterbildung für den souveränen Umgang mit datengesteuerten Tools gesprochen werden. Gleiches gelte für das Etablieren von Echtzeit-Datenflüssen und KI-Unterstützung beim Interpretieren.
Der BVMed werde daher in den nächsten Monaten den Dialog mit allen Beteiligten suchen, um über die Vision und die Umsetzungsschritte zu diskutieren. Der Ergebnisbericht des Arbeitskreises Digitalisierung des BVMed steht zum Download zur Verfügung.
www.bvmed.de/MedTechDigital2035