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Wie Chip und Sensor zukünftig eine Krankheit heilen

Intelligente Implantate: Stand und Potenziale der bioelektronischen Medizin
Wie Chip und Sensor zukünftig eine Krankheit heilen

Ein Schädelimplantat, mit dem sich epileptische Anfälle unterdrücken lassen, ist nur ein Beispiel für das, was Elektronik im menschlichen Körper leisten könnte. Die Ideen reichen weit. Doch es gibt noch technische Hürden zu überwinden.

Der Erfolg einer Therapie ist oft eine individuelle Angelegenheit. Je nach Krankheit schlägt die medikamentöse Behandlung bei einzelnen Patienten nicht an oder wird durch unerwünschte Nebenwirkungen erschwert. Mit dem aktuell diskutierten Ansatz der bioelektronischen Medizin soll dies anders werden: Durch elektrische Stimulation des peripheren Nervensystems sollen Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes, Adipositas, Rheumatoide Arthritis, Asthma und andere therapiert werden.

Man nimmt an, dass durch die gezielte Neuromodulation spezifische zelluläre Reaktionen ausgelöst und Signal-Proteine freigesetzt werden, die sich mildernd auf die Symptome von Krankheiten auswirken oder gar ihre Ursachen beheben. Der Ansatz baut darauf auf, dass heute schon viele implantierte Stimulatoren zum Behandeln zahlreicher Krankheiten und Einschränkungen eingesetzt werden. Die bekanntesten sind Herzschrittmacher und Cochlea- und Retina-Implantate sowie Neuroimplantate zur Parkinson- und Schmerztherapie. Anders als Medikamente, die im ganzen Körper wirksam sind, sollen intelligente Mikroimplantate in Zukunft nur an definierten Stellen im Körper Organfunktionen beeinflussen.
Voraussetzung für den zielgerichteten, auf die individuelle Situation des Patienten eingehenden Einsatz therapeutischer Implantate sind empfindliche Sensoren, die kontinuierlich im oder am Körper kritische Parameter messen und ihre Messwerte einer Logikeinheit zuleiten. Diese wertet den Datenstrom im Idealfall in Echtzeit aus und generiert Steuersignale für die Stimulation. Im Falle neuronaler Signale müssen ununterbrochen Werte erfasst und analysiert werden. Ein solches Closed-Loop-System hat als Schädelimplantat mittlerweile die FDA-Zulassung für die Behandlung von Epilepsie. Da fortlaufend Hirnpotentiale gemessen werden, lässt sich epileptische Aktivität frühzeitig erkennen. Gezielte Elektrostimulation unterdrückt dann einen Anfall.
Implantierbare elektrochemische Biosensoren ermöglichen es, für die Diagnose und Überwachung kardiovaskulärer und metabolischer Erkrankungen Biomarker kontinuierlich zu messen – zum Beispiel Glukosewerte im Blut bei Diabetes. Sie können auch zum Monitoring von Blutgas- und Blutelektrolytwerten sowie metabolischer Abbauprodukte von Medikamenten herangezogen werden. Ein weiteres Einsatzgebiet ist das Überwachen von Organen in der Intensivmedizin.
Gegenwärtig gibt es jedoch noch kein Implantat, das solche Daten dauerhaft und zuverlässig aus dem Körper liefert. Die Herausforderungen hierbei sind die Einkapselung der Sensoren durch Fremdkörperreaktionen an der Grenzfläche zwischen Implantat und Gewebe sowie die mangeln- de Kalibrierung der implantierten Sensoren. Dies macht eine sichere Datenbewertung und eine daraus abgeleitete differenzierte Reaktion wie eine Medikamentenabgabe oder elektrische Stimulation nahezu unmöglich.
Die Bauform der heute am meisten verwendeten Implantate ist recht einheitlich. Bei Herzschrittmachern und Neurostimulatoren sind Elektronik und Batterie in einem festen Metallgehäuse untergebracht, um sie vor Körperflüssigkeit zu schützen. Über Steckverbindungen und Kabel werden die Stimulationselektroden angeschlossen. Obwohl seit vielen Jahren im Einsatz, sind mit dieser Bauform einige Probleme verbunden. Bei etwa 10 % der Fälle treten Komplikationen auf: Defekte Kabel, verrutschte Elektroden und Entzündungen im Bereich der subkutanen Tasche, in der das Aggregat untergebracht wird.
Sollen aktive Implantate vermehrt eingesetzt werden, müssen sie leicht implantierbar sein, einen hohen Nutzen aufweisen, der das Implantationsrisiko kompensiert, und im Betrieb langzeitsicher und einfach zu handhaben sein. Hinzu kommt, dass für Anwendungen im Auge, im Ohr, im Gehirn oder auch im peripheren Nervensystem, bei denen wenig Platz vorhanden ist, miniaturisierte und kabellose Implantate benötigt werden. Solche Bauformen werden gegenwärtig bei Herzschrittmachern im klinischen Einsatz getestet. Kabellose Herzschrittmacher können mit einem Katheter im Herzen positioniert werden. Eine aktuelle Studie zeigt, dass damit weniger Komplikationen verbunden sind als mit konventionellen Herzschrittmachern.
Die Anforderungen an zukünftige Implantate lassen sich durch das Miniaturisieren aller funktionellen Baugruppen, einen angemessenen Funktionsumfang und mit drahtlosen Schnittstellen zu externen Systemkomponenten erfüllen. Voraussetzungen für die Miniaturisierung sind energieeffiziente elektronische Schaltungen und Bauteile, die kompakt in möglichst kleine Gehäuse integriert werden. Um den Zusammenbau zu vereinfachen und die Fehleranfälligkeit an Verbindungsstellen zu minimieren, muss die Anzahl der in einem Implantat verbauten Komponenten klein gehalten werden. Mit „low-power“-Designs lassen sich integrierte Schaltungsblöcke auf ASICSs realisieren, die sich durch einen stark reduzierten Eigenleistungsverbrauch auszeichnen.
Für die Miniaturisierung sind geeignete Herstellungstechniken erforderlich. Um die Baugrößen der Schaltungsträger und damit der Gehäuse zu verkleinern, werden bestehende Verfahren zum Herstellen von Platinen mit Fertigungstechnologien aus der Halbleiterindustrie kombiniert. Damit lassen sich beispielsweise dünne, ungehäuste Chips direkt in flexible Leiterplatten integrieren.
Eine große Herausforderung für die Miniaturisierung ist die Energieversorgung der Implantate. Batterien sind ein limitierender Faktor, da sie nicht in dem Maße verkleinert werden können wie Schaltungsträger. Ein Ausweg ist die drahtlose Energieübertragung mittels Induktion. Hierfür müssen Spulenpaare mit einigen Zentimetern Durchmesser in das Implantat und in den externen Sender integriert werden. Damit lässt sich das Implantat direkt mit Energie versorgen wie beim Cochlea-Implantat, oder es wird ein Akku im Implantat aufgeladen.
Der Miniaturisierung sind jedoch auch hier Grenzen gesetzt. Experimentell erprobt werden Möglichkeiten zur autarken Energiegewinnung aus mechanischen Bewegungen, ähnlich wie bei Automatikuhren, und mit Hilfe miniaturisierter Brennstoffzellen, die aus Glukose und Sauerstoff Strom erzeugen.
Der bioelektronischen Medizin mit smarten Mikroimplantaten (so genannte „Electroceuticals‘“) wird eine revolutionäre Zukunft zugetraut, auch wenn bis dahin noch eine Vielzahl von Herausforderungen zu meistern ist.
Dr. Alfred Stett NMI, Reutlingen
Drathlose Energieübertragung durch integrierte Spulen

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