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„Wenn Transparenz fehlt, lohnt das Nachdenken über MES“

MES: Moderne Software erfüllt die Anforderungen der Medtech-Branche
„Wenn Transparenz fehlt, lohnt das Nachdenken über MES“

Es gibt eine Reihe von Gründen, die für den Einsatz von Manufacturing Execution Systems, kurz MES, in der Medizintechnik sprechen. Andreas Kirsch, Vorstand der Guardus Solutions AG, erläutert, worauf es hierbei ankommt.

Herr Kirsch, was kann ein MES?

Eine solche Softwarelösung kann alle Daten aus der Fertigung erfassen und zueinander in Verbindung setzen. Damit sind schnelle Aussagen darüber möglich, was in der Fertigung gut läuft und wo schnell eingegriffen werden sollte. Auch sind alle Daten zu einem Produkt, das vor längerer Zeit gefertigt wurde, schnell verfügbar. Gleichzeitig verschwinden die Papierbelege – Voraussetzung hierzu ist natürlich die Integration zum ERP-System.
Wie verbreitet sind denn MES heute in der Medizintechnik-Branche?
Wo stark automatisiert gefertigt wird, werden schon viele Daten übergreifend erfasst. In der diskreten Fertigung aber sind MES kaum zu finden. Dort dominieren Fertigungsmappen, Excel-Sheets und ältere, meist abteilungsbezogene Softwareprodukte aus der Zeit des Computer Integrated Manufacturing.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Die Medizintechnik-Branche ist sehr vorsichtig, wenn es um Software in Produktionsprozessen geht. Wer einen Prozess validiert hat, in dem vieles – auch die Dokumentation – von Hand erledigt wird, scheut den Wechsel zur Software und handelt am liebsten nach dem Prinzip ’never touch a running system‘. Die Sorge, bei jeder Softwareänderung eine neue Validierung durchführen zu müssen, ist natürlich auch ernst zu nehmen. Anderseits gibt es heute MES, die – den Anforderungen der Medizintechnik entsprechend – über einen Funktionsänderungsdienst verfügen. Dieser protokolliert jede funktionale Änderung am Produktivsystem, was die Aufwendungen für eine Revalidierung erheblich reduzieren kann.
Was haben entsprechende MES für die Medizintechnik sonst noch zu bieten?
Sie verfügen über Audit Trail – es lässt sich also nachvollziehen, wer wann welche Daten eingegeben oder verändert hat. Sie entsprechen den Vorgaben der 21 CFR Part 11, in denen sich die FDA mit elektronisch gespeicherten Daten und elektronischen Unterschriften befasst. Auch GAMP – also das, was für eine Good Automated Manufacturing Practice für den Pharma-Bereich festgelegt wurde– , wird in diesen modernen Lösungen berücksichtigt.
Was sind die wichtigsten Anzeichen dafür, dass ein MES-System für ein Unternehmen Vorteile bringen würde?
Dafür gibt es einige wichtige Indikatoren. Der erste ist, dass es dem Management an Transparenz in der Produktion mangelt. Das tritt häufig dann auf, wenn es nur Insellösungen für die Betriebsdatenerfassung, Maschinendatenerfassung oder die gesetzlich geforderte Rückverfolgbarkeit gibt, aber kein Datenaustausch zwischen diesen erfolgen kann. Ein zweiter Indikator wäre es, wenn man im eigenen Unternehmen sehr lange Durchlaufzeiten beobachtet, andere die Aufgabe aber schneller erledigen können. Und ein dritter Indikator sind Berge von Papier für die Dokumentation – wobei es im Ernstfall sehr lange braucht, um rückzuverfolgen, wo die Ware für eine Produktserie herkam, wann sie eingesetzt wurde und wer was geprüft hat.
Ab welcher Unternehmensgröße rechnet sich der Einsatz eines MES in etwa?
In der Automobilindustrie, für die MES vor etwa zehn Jahren entwickelt wurden, sind wir als Benchmark von 20 Millionen Euro Jahresumsatz oder etwa 200 Mitarbeitern ausgegangen, da die Umsatzrendite meist einstellig ist. In der Medizintechnik-Industrie sieht das etwas anders aus, da hier die Umsatzrendite häufig im zweistelligen Bereich liegt. Dann können Software-Lösungen schon bei 60 bis 70 Mitarbeitern interessant sein. Wenn aber Transparenz quasi per Zuruf über den Schreibtisch erreichbar ist, wäre ein umfangreiches MES sicherlich mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Sind die Software-Lösungen für den Anwender überschaubar und vergleichbar?
Welche Kennzahlen ein MES liefert und welche Daten dafür zu Grunde gelegt werden, ist im VDMA Einheitsblatt 66412 Teil 1 und 2 beschrieben. Diese Standards sind für die Hersteller zwar nicht verbindlich, aber die meisten Anbieter haben sie in ihren Lösungen umgesetzt. Eine solche Standardisierung ist übrigens auch auf internationaler Ebene in Arbeit: Derzeit hat die ISO 22400-2 das Stadium des Draft International Standard erreicht und könnte im Lauf dieses Jahres in Kraft treten.
Was genau hilft das dem Anwender?
Es erleichtert die Entscheidung für ein MES, da klar ist, welche Daten es liefert und wie die Kennzahlen zu berechnen sind. Das war in den Anfängen dieser Lösungen von Anbieter zu Anbieter ganz unterschiedlich gelöst und daher sehr unübersichtlich und mühsam. Darüber hinaus sind die 22 im VDMA-Einheitsblatt beschriebenen Kennzahlen eine gute Basis dafür, aus ihnen betriebsspezifische eigene Kennzahlen zu entwickeln.
Wie sehen Sie die Zukunft von MES?
Es gibt im internationalen Bereich einige spannende Entwicklungen. Weil Speicherplatz zukünftig selbst in Größenordnungen von Terabytes immer billiger wird, werden zukünftig die Daten auch in großen Mengen nur noch Online gehalten werden. Moderne Computer können das leisten, auch wenn viele Daten 30 Jahre lang verfügbar sein müssen. Darüber hinaus nutzen MES immer häufiger die Cloud zum Speichern. Sie werden zentral gehostet. Und es gibt den Trend, die Software von jedem beliebigen Ort aus über virtuelle Desktops aufrufen zu können. So werden die Daten aus allen Produktionswerken zentral gespeichert und verwaltet und stehen sofort von überall aus zur Verfügung. Ein Detail, dass ebenfalls interessant ist, betrifft eine neue Kennzahl, die in der internationalen Standardisierung auftaucht: Sie definiert den direkten Energieverbrauch pro hergestellte Produktmenge. Diese Anforderung kam übrigens aus China.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Zum VDMA Einheitsblatt auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/VDMA-Einheitsblatt_66412 Die ISO/DIS 22400–2 kann unter www.iso.org käuflich erworben werden. Zu Guardus Solutions: www. guardus-solutions.de

Ihr Stichwort
  • Standardisierte Kennzahlen
  • Indikatoren für MES-Nutzung
  • Kritische Unternehmensgröße
  • Internationale Standards
  • Neue Kennzahl für Energiebedarf

  • MES-Standards
    Im VDMA-Einheitsblatt 66412 Teil 1 und Teil 2 ist seit 2009 bzw. 2010 festgelegt, was ein MES ist und kann – und damit auch, wie es sich von einem ERP-System unterscheidet.
    ERP-Systeme unterstützen betriebswirtschaftliche Geschäftsprozesse und geben Planungsdaten wie Fertigungsaufträge aus. Das ist über viele Branchen zumindest ähnlich. Daher sind ERP Systeme auch in der Medizintechnik weit verbreitet.
    Was aber in der Produktion an technischen Daten anfällt, erfasst das ERP-System in der Regel nicht. So liefert ein Logistik-Modul aus dem ERP-System häufig nicht genug Daten, um den Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit gerecht zu werden.
    MES hingegen erfassen sämtliche Qualitäts- und Fertigungsdaten, visualisieren und überwachen diese. Die Ergebnisse stehen in Echtzeit zur Verfügung. Daraus lassen sich Kennzahlen ableiten, die schnelle Verbesserungen ermöglichen.
    Im VDMA Einheitsblatt sind aus den Erfahrungen mit 3000 Anwendern 22 Kennzahlen definiert worden. Wie diese zu berechnen sind und wie sie benannt werden, ist damit einheitlich festgelegt.
    Die internationale Norm ISO 22400-2, die bisher als Entwurf vorliegt, enthält diese 22 sowie einige weitere Kennzahlen. Sie definiert auch, welche davon für die Prozessindustrie und welche für die diskrete Fertigung zu verwenden sind.
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