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„Um erfolgreich zu sein, müssen wir eine Sprache sprechen“

Werkzeug- und Formenbau: Medizintechnik stellt hohe Anforderungen an die Branche
„Um erfolgreich zu sein, müssen wir eine Sprache sprechen“

„Um erfolgreich zu sein, müssen wir eine Sprache sprechen“
Prof. Dr.-Ing. Thomas Seul ist Präsident des Verbands Deutscher Werkzeug- und Formenbauer in Schwendi und an der Fachhochschule Schmalkalden Prorektor für Forschung und Transfer
Die Medizintechnik ist für den Werkzeug- und Formenbau wichtig. Doch ihre Anforderungen unterscheiden sich von denen anderer Industrien. Nur rund zehn Hersteller sind laut VDWF-Präsident Prof. Thomas Seul in diesem Marktsegment erfolgreich.

Herr Professor Seul, welche Besonderheiten kennzeichnen aktuell den Werkzeug- und Formenbau für die Medizintechnik-Branche?

Der Werkzeugbau für medizinische Produkte aus Kunststoff oder auch Stanzbauteile aus Metall unterscheidet sich grundsätzlich vom Werkzeugbau im Bereich Automotive und Weiße Ware. Dabei liegt das Detail nicht nur darin, dass das Werkzeug technisch spezifische Besonderheiten aufweist. Der große Unterschied findet sich in der Risikobeurteilung der Werkzeuge für Medizinprodukte und im Bereich Prozessfähigkeit.
Worin genau liegt dieser Unterschied?
Damit ist gemeint, dass auch ein Spritzgießwerkzeug den typischen Regularien entsprechen muss, wie sie in der Medizintechnik üblich sind. Beispiele dafür sind die GMP-Anforderungen und die Anforderugen für Regulatorische Zwecke nach DIN EN ISO 13485, die berücksichtigt werden müssen. Das heißt, für solche Werkzeuge müssen Risikobetrachtungen durchgeführt und entsprechend dokumentiert werden. Im Bereich GMP bedeutet dies, dass es Prozessfähigkeitsnachweise geben muss und die üblichen Wege einer Qualifizierung und Prozessvalidierung – so wie für andere Anlagen und Systeme in der Medizintechnik auch – nachgewiesen werden müssen.
Was genau bedeutet das für den Werkzeug- und Formenbauer?
Vor allem, dass er von Anfang an einen enormen Aufwand in der Planung eines solchen Werkzeugs hat, weil er die vorgegebenen Richtlinien der Branche erfüllen muss. Mit anderen Worten: Er schaut sich die Produktspezifikationen an und muss daraus, auf das Pflichtenheft aufbauend, ein Lastenheft erfüllen. Da geht es zum Beispiel um schmiermittelfreie Produktionsbedingungen oder darum, dass ein Werkzeug, das zum Beispiel im Reinraum eingesetzt wird, ganz anders gewartet werden muss. Weitere Kriterien sind die Zugänglichkeiten zum Werkzeug – und es müssen besondere Heißkanalsysteme eingesetzt werden, die auch reinraumfähig sind. Das Risiko, dass man so ein Werkzeug dann auch tatsächlich in die Produktion überführen kann, ist für einen branchenfremden Werkzeug- und Formenbauer meist schwierig zu beurteilen.
Wie viele Werkzeug- und Formenbauer stellen sich diesen Herausforderungen?
Ich würde sagen, dass es in Deutschland vielleicht zehn Hersteller gibt, die sich speziell auf diese Branche eingestellt haben und auch deren Sprache sprechen. Die Medizintechnikbranche braucht zudem häufig hochkavitätige Werkzeuge, denn wenn es um so genannte Disposibles geht, werden sehr schnelle Zykluszeiten benötigt. Das heißt also, wenn Massenbauteile für den Einmalgebrauch gefertigt werden – seien es Spritzen, Kanülen- oder Schlauchsysteme – bedeutet das, dass häufig Formen mit 96 Kavitäten oder mehr eingesetzt werden müssen, die in kurzen Zykluszeiten produzieren. Dies mit den regulatorischen Anforderungen umzusetzen, ist sehr komplex und schwierig. Trotzdem: Das ist alles machbar, aber es erklärt auch der Preisunterschied von einem konventionellen Spritzgießwerkzeug im Vergleich zu einem Spritzgießwerkzeug, das in der Medizintechnik eingesetzt wird.
Was ist bei der Materialauswahl zu beachten?
Natürlich müssen für die Spritzgießwerkzeuge in der Medizintechnik besondere Werkstoffe eingesetzt werden. Im einfachsten Fall kann man sagen, dass die Werkzeuge nicht korrodieren dürfen. Es werden deshalb besondere Stähle eingesetzt bis hin zu Edelstählen. Außerdem müssen Schmiermittel verwendet werden, die dann möglichst auch biokompatibel sind. Darauf kann man sich einstellen, aber es spiegelt sich im Preis wider. Was viel interessanter ist: Wie werden diese Werkzeuge in Produktion genommen und wie werden sie während der Produktion begleitet?
Warum ist das wichtig?
Für diese Werkzeuge muss es spezielle Wartungen und Inspektionen geben. Und auch die Umgebungsbedingungen müssen „medical“ sein. Das bedeutet, ich darf die Werkzeuge nur mit bestimmten Reinigungsmitteln sauber machen. Und ich darf sie nur nach einem bestimmten Wartungsplan warten und auch nur in kontrollierten Räumlichkeiten einlagern. Schließlich muss ich das Werkzeug nach der Wartung und Inspektion auch wieder in den Reinraum einschleusen können. Interessant ist hierbei natürlich auch, wie ich das Werkzeug von innen sauber bekomme? Denn bei einem Kunststoffmaterialwechsel muss ein rückstandsfreier Heißkanal zur Verfügung stehen, der keine Restmittel eines vorherigen Polymers oder eines Farbmittels enthalten darf.
Welchen Stellenwert haben Werkzeuge aus Deutschland im Ausland?
Viele Werkezuge werden weltweit in typische Medical-Märkte exportiert – da hat der deutsche Werkzeug- und Formenbau einen sehr guten Stand. Grundsätzlich sind unsere Werkzeuge überall im Ausland wegen ihrer hohen Qualität begehrt. Da spielt es gar keine Rolle, ob die Werkzeuge in Asien oder in den USA einge- setzt werden. Wir spielen hier in der Champions-League.
Aber einfach sind diese Märkte nicht?
Je globaler der Markt, desto schwieriger die Anforderungen. Das wird vor allem bei Produkten deutlich, die für den amerikanischen Markt bestimmt sind. Für die FDA muss auch ein kleiner Werkzeug- und Formenbauer seine Dokumentation in englischer Sprache erstellen. Und er muss sich mit den Richtlinien auskennen und diese auch bewerten und beurteilen, um eine Risikobetrachtung durchführen zu können.
Im Mai feiert die Moulding Expo Premiere, die der VDWF als Partner unterstützt. Wie findet sich die Medizintechnik-Branche auf dieser Messe wieder?
Auf der Moulding Expo finden wir natürlich auch die Werkzeug- und Formenbauer, die sich speziell auf dem Medizintechnikmarkt umtun und dies als ihre Kernkompetenz sehen. Aber das sind dann tatsächlich die vorhin genannten typischen Vertreter, die man an zwei Händen abzählen kann. Bislang gibt es keinen speziellen Ausstellungsbereich für Medizin-Werkzeuge auf der Messe, aber das wäre vielleicht eine Idee für die nächsten Jahre.
Weitere Informationen Zum Fachverband Deutscher Werkzeug- und Formenbauer: www.vdwf.de

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