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Spritzgießen schlägt das Fräsen von Titan um Längen

Metal Injection Moulding: Erschwingliche Alternative zur CNC-Bearbeitung von Titan
Spritzgießen schlägt das Fräsen von Titan um Längen

Kleine Titan-Bauteile wie zum Beispiel eine innovative Herzklappe stellt die Kieler Tijet GmbH im Metallpulverspritzguss her. Werkstofftypische Eigenschaften wie hohe Festigkeit und Zähigkeit bleiben dabei erhalten, und der Entwickler hat viel mehr Freiheiten bei der Form.

Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich auf einer CNC-Fräsmaschine nicht wirtschaftlich herstellen lassen. „Für solche Fälle haben wir eine günstige Verfahrensalternative“, sagt Karl-Heinz Otto, Geschäftsführer der Kieler Tijet GmbH. Sein Unternehmen hat zusammen mit Forschern aus Norddeutschland das Verfahren Metal Injection Moulding (MIM) so weiterentwickelt, dass sich damit selbst winzige und komplexe Teile aus Titan wirtschaftlich fertigen lassen.

Die Bauteile für eine dreiflügelige Herzklappenprothese sind ein Beispiel dafür – noch dazu eines, was am Anfang der Verfahrensentwicklung stand. Die strömungsoptimierte Geometrie der Prothese erfordert komplizierte 3D-Freiformflächen, Strukturen im Zehntelmillimeter-Bereich sowie dünne Wandstärke. „Mit konventionellen Verfahren war das nicht zu machen“, erläutert Otto. Daher startete die Kieler Tricumed Medizintechnik GmbH, ein Hersteller implantierbarer Infusionspumpen, vor einigen Jahren ein Forschungsprojekt, um diese Lücke in der Fertigungstechnik zu füllen.
„Dabei kam zwar keine Herzklappe heraus“, sagt Otto heute lächelnd. „Auf Grundlage der Arbeiten, die wir zusammen mit dem Bremer Fraunhofer-Institut IFAM und dem GKSS Forschungszentrum Geesthacht durchgeführt haben, konnten wir aber komplexe Bauteile aus einer Titanlegierung herstellen, die die hervorragenden mechanischen Eigenschaften des Ausgangsmaterials beibehielten.“ Damit war der Grundstein für das Titan-MIM gelegt – und das eigens gegründete Tricumed-Tochterunternehmen Tijet verfügt seit 2005 über eine komplette Fertigungslinie für medizintechnische MIM-Komponenten aus Titanwerkstoffen. Seit 2005 bieten die Kieler das Fertigen auch als Dienstleistung an.
Dabei galt Titan lange Zeit als ungeeignet für den Metallpulverspritzguss , weil es sehr reaktiv ist. Eine zu hohe Aufnahme von Stickstoff, Sauerstoff oder Kohlenstoff ließ Bauteile viel zu spröde werden. Ohne Gegenmaßnahmen gehen so im MIM-Prozess die erwünschten Eigenschaften von Titan verloren. Die Kieler schützen den Werkstoff während der gesamten Produktionskette gegenüber atmosphärischen Einflüssen. „Wir sind nicht die einzigen, die dieses Verfahren beherrschen“, sagt Otto. Aber er schätzt, dass sein Unternehmen gegenüber anderen einen Technologievorsprung von etwa zwei Jahren hat.
Abgesehen von den strömungsoptimierten Herzklappen stellen die Kieler bisher beispielsweise Knochenschrauben her, die zwei selbstschneidende Gewinde unterschiedlicher Steigung aufweisen, eine durchgehende Längsbohrung, einen 3mm Innensechskant sowie Schneidkanten an den Gewindeansätzen. „Die Bohrung kann ohne Mehrkosten sowohl rund als auch sechseckig ausgeführt werden“, betont Otto. Auch Minischrauben lassen sich fertigen, deren Sechskantkopf eine Schlüsselweite von 1,8 mm oder 0,07 inch hat.
Bei der Fertigung von Portsystemen, die den wiederholten Zugang zum Gefäßsystem des Menschen für die Schmerz-, Chemo- oder Spastiktherapie ermöglichen, entfallen durch das Titan-Spritzgießen die Arbeitsschritte für Montage und Handhabung. Statt Gehäuse und Auslass auf konventionellem Weg separat zu fertigen und danach miteinander zu verbinden, fertigt Tijet das Gehäuse inklusive Auslass und Bohrung zum Innenraum in einem Schritt. Ports dieser Art werden bereits als Langzeitimplantate bei Menschen eingesetzt.
Die Vorteile des MIM-Verfahrens kommen nach Angaben der Tijet-Mitarbeiter am deutlichsten bei Teilegewichten zwischen 0,1 und 100 g und bei mittleren bis großen Stückzahlen und kompliziert geformten Bauteilen zum Tragen. „Die Titan-MIM-Technologie bietet ein enormes Potenzial“, fasst Otto zusammen. Viele Anwendungen ließen sich damit kosteneffizienter gestalten. Zudem erschließe MIM neue Einsatzfelder für Titan, die durch die hohen Kosten herkömmlicher Fertigungsmethoden bisher verschlossen waren – wie das Beispiel der Herzklappe zeigt.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Titan aus der Spritzgießmaschine

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Als Produktionsverfahren für Titan bietet sich Metal Injection Moulding (MIM) an. Die Kieler Tijet GmbH hat sich darauf spezialisiert, ist nach DIN ISO 13485: 2003 zertifiziert und darf als Hersteller von Medizinprodukten tätig sein. Die eingesetzte Legierung Ti6Al4V hat die Biokompatibilitätstests bestanden und ist anerkanntes Implantatmaterial. Seit April 2006 ist zusätzlich zu den Standardlegierungen Ti6Al4V und Ti6Al7Nb auch Reintitan für den MIM-Prozess verfügbar.
Zur Technik
Aus der gewünschten Titanlegierung wird zunächst ein Pulver hergestellt, mit Binder vermischt und granuliert. Die Spritzgießmaschine presst diese Masse in eine Hohlform. Das so entstandene Rohteil hat die gewünschte Endgeometrie, ist jedoch wegen des Binderanteils um etwa 13 % größer. Ein Teil des Binders wird zunächst chemisch entfernt. Beim abschließenden Sintern verdampfen dann alle Binderbestandteile, das Rohteil sintert zum Vollmetallteil und schrumpft auf Endmaß. Die so gefertigten Teile sind sauber, da im Prozess keine Späne, Schleifstaub, Öl oder Abrieb freigesetzt werden. Tijet nutzt die Anlagen ausschließlich für Titan und seine Legierungen, sodass Kontaminationen durch andere Metalle ausgeschlossen sind. Die Fertigungstoleranzen entsprechen DIN ISO 2768 – fein, wobei die tatsächlichen Toleranzen vom konkreten Bauteil abhängen und erheblich geringer sein können. Die Sinteroberfläche bietet einen Mittenrauwert zwischen 2 und 5 µm und lässt sich mit Standardverfahren wie Polieren, Gleitschleifen, oder Elektropolieren weiter bearbeiten.
Zur Wirtschaftlichkeit
Das MIM-Verfahren erzeugt zwar Vollmetallteile, ähnelt aber dem Kunststoffspritzgießen sehr. Es lässt dem Entwickler alle Freiheiten in der Gestaltung einer Form, unterliegt nicht den Begrenzungen der spanabhebenden Metallbearbeitung und ist vergleichsweise günstig: Die Kosten dafür bewegen sich nach Angaben des Anbieters in dem Rahmen, der für nichtdrehsymmetrische Teile üblich ist. Das Verfahren bietet auch die Möglichkeit, Materialkosten zu sparen, denn es wird nur soviel Titan benötigt, wie dem Bauteilvolumen entspricht.

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