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So weit die Knie tragen

Simulation: Realistische Evaluierung von Knie-Implantaten ermöglichen
So weit die Knie tragen

Knie ertragen meist klaglos hohe Belastungen beim Sport sowie die normalen Lasten des Alltags: Treppensteigen, Gehen, Stehen, Sitzen und Tragen des Körpergewichts. Wenn sich diese Belastung mit der Zeit in Form von Schäden auswirkt, kann eine durch Simulation verbesserte Knievollprothese helfen.

Bevor sich der Chirurg ans Werk macht, müssen Produktentwickler und -hersteller möglichst langlebige Knievollprothesen entwickeln. Für diesen Prozess ist mittlerweile eine realistische Simulation mit Software für die Finite-Elemente-Analyse (FEA) unverzichtbar. „Die Simulation hilft uns, das physische Prototyping zu verringern und den Zeitaufwand für mechanische Tests und Ermüdungstests zu senken“, erläutert Wind Feng, Forschungs- und Entwicklungsingenieur bei Shanghai Microport Orthopedics. „Was aber viel wichtiger ist: Wir können dadurch die biomechanische Leistung unserer Konstruktion ohne teure und langwierige physische Tests evaluieren.“

Microport hat sich mit dem Ziel einer Verringerung des Zeitaufwands und der Steigerung der Effizienz vor Augen für den Simulia-Abaqus-Kniesimulator (AKS) von Dassault Systèmes entschieden. Das Unternehmen gehört zu Chinas führenden Entwicklern und Anbietern von Orthopädietechnik und -implantaten und unternimmt die ersten Schritte beim Erforschen von Knievollprothesen für den Ausbau seines Sortiments an Wirbelsäulenprodukten.
In der ersten Phase der Machbarkeitsstudie prüft Microport, welche Art von Knievollprothesen künftig interessant sein könnte. Das Team hat sich zwei der am weitesten verbreiteten Implantatarten angeschaut: Fixed Bearing (FB) und Mobile Bearing (MB). Beide Konstruktionen weisen ein Tibiaplateau aus Metall auf, das in das obere Ende des großen Unterschenkelknochens eingesetzt wird. Ein Gleitlager aus ultrahochmolekularem Polyethylen als Ersatz für den Meniskus liegt auf dem Plateau. Die Oberschenkelkomponente aus Metall ruht auf dem Gleitlager. Bei einem FB-Implantat ist das Gleitlager am Tibiaplateau fixiert; das mobile Gleitlager hingegen kann auf dem Plateau leicht rotieren. „Sowohl FB- als auch MB-Implantate haben ihre Verfechter“, meint Feng. „Aber wir wollten unvoreingenommen Vergleiche ziehen.” Der AKS bot nicht nur Werkzeuge zur umfassenden Bewertung der FB- und MB-Konfigurationen. Er eröffnete Microport auch einen schnelleren Weg zum Testen und Analysieren von Konstruktionen.
Vor der weitverbreiteten Akzeptanz von Simulation stammten die meisten der branchenweiten Testdaten zur Leistung von Knievollprothesen von einem Tischgerät mit der Bezeichnung Kansas-Kniesimulator (KKS). Es handelt sich dabei um ein komplexes mechanisches Gerät, das eine dynamische Belastung ähnlich der eines menschlichen Knies bei normalen Aktivitäten ermöglicht. „Aber das Testen von Prototypenkonstruktionen im Labor ist kostspielig und zeitaufwendig“, so Feng.
Ein Grund, warum die FEA den KKS und andere physische Tests ersetzen kann, ist die Tatsache, dass bereits eine Unmenge von Daten zu Knieimplantaten in Labors und im realen Einsatz gesammelt wurde. Im Oktober 2012 erfolgte die Markteinführung des Abaqus-Kniesimulators, der eine vollständige Nutzung der verfügbaren Daten ermöglicht. Die Software ist ein validiertes Werkzeug, das grundlegende, aber auch fortgeschrittene Knieimplantat-Analysen durchführen kann.
Die FB- und MB-Simulationen konzentrierten sich auf dynamische Analysen von physiologischen Belastungen und verwendeten die Funktion der grundlegenden Belastung von Knievollprothesen. Ziel der Simulation war eine Evaluierung der tibiofemoralen und patellofemoralen Kinematik, der Kontaktmechanik zwischen Implantatteilen (und dem Bein) und der Komponentenbelastungen, jeweils unter den physiologischen Belastungsbedingungen normaler täglicher Aktivitäten. „Wir untersuchten in erster Linie das Gehen“, meint Feng. „Da aber diese Produkte für den asiatischen Markt entwickelt werden, waren wir auch an der Modellierung von Hocken interessiert, einer sehr häufigen Belastungsart in diesen Kulturen.“
Gehen und Hocken klingen simpel, sind aber eigentlich hochkomplexe physische Prozesse. Dementsprechend sind auch die Modelle für die genaue Erfassung in einer nichtlinearen Analyse kompliziert, da sie die Muskelkraftsteuerung, realistische Daten von In-vivo-Tests und starre Körper für die Knochenstruktur beinhalten müssen. Zum Modellieren der Implantate importierten die Ingenieure die eigenen Knievollprothesen-Geometrien von Microport für FB- und MB-Implantate. Der AKS vernetzte jede Komponente automatisch im Prozess und verknüpfte sie im AKS mit distalem Femur, proximaler Tibia, Patella und Weichgewebe, welches das Knie umgibt. Die Bänder können in 1D oder 2D dargestellt werden.
Die realistische Beschaffenheit wäre ohne den AKS schwierig zu erreichen, der Belastung, Grenzbedingungen und Wechselwirkungen definiert. „Aufgrund der Komplexität und der Belastungsbedingungen hätte ein manuelles Definieren dieser beiden Modelle ohne weiteres eine Woche gedauert“, erklärt Feng. „Mit dem AKS brauchen wir aber nur ein oder zwei Tage.“
Auch bei laufenden Analysen konnten Einsparungen erzielt werden. Der AKS kann die meisten Analysen in Stunden oder wenigen Tagen durchführen. Die Simulationen bieten Einblicke in die Vorzüge von Fixed-Bearing- und Mobile-Bearing-Knieimplantaten. Es überrascht nicht, dass MB-Implantate mehr Rotation zulassen, wenn auch nicht wesentlich mehr. Beim Verhalten unter Hockbelastungsbedingungen konnte nur ein geringer Unterschied festgestellt werden. Der Einsatz des AKS bei Microport hat gezeigt, dass von der FEA nicht nur die Konstruktionsentwicklung profitiert. Auch das Geschäft profitiert davon. „Simulation hat uns durch das Verringern des physischen Prototyping und der mechanischen Tests viel Entwicklungszeit und Geld gespart“, erläutert Feng. „Möglicherweise können wir dadurch künftig sogar den Zeitaufwand für klinische Versuche verringern.“
Judith Schwarz Fachjournalistin in Tübingen

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