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So real, dass er Emotionen auslöst

Simulator: Bis zu vier Stunden völlig autark
So real, dass er Emotionen auslöst

So real, dass er Emotionen auslöst
Das Trainingsmodell Sim Man 3G soll Ende 2008 für 60 000 Euro komplett mit Steuer-PC und Patientenmonitor erhältlich sein Bilder: Laerdal
Server und Batterien im Bauchraum, Kompressor im Oberschenkel: Mit dem Sim Man 3G können Notfallteams Rettungseinsätze trainieren. Da der Dummy ganz ohne externe Anschlüsse auskommt, behindert kein Kabel oder Schlauch die Inszenierung realer Unfallsituationen.

Zweieinhalb Jahre und mehrere 10 000 Arbeitsstunden hat die Weiterentwicklung des Unfallopfer-Simulators der norwegischen Laerdal Medical AS, Stavanger, gedauert. Das Resultat ist ein völlig autarker Dummy für Ausbildungszwecke, an dem Mediziner sehr real Unfallsituationen simulieren können. Reaktionen und Emotionen inbegriffen, denn der Sim Man 3G stöhnt, röchelt und weint; kurz: Er zeigt den Ärzten deutlich, wenn sie ihm weh tun.

Um so lebensecht zu wirken, verfügt der sogenannte Manikin über ein vielseitiges Innenleben: In seiner Brust atmet eine original große Lunge und schlägt ein feinmechanisches Herz. 25 Lautsprecher erzeugen Lungen-, Herz- und Verdauungsgeräusche. Über rund zehn Aktoren können beispielsweise der Atemwiderstand in der Lunge simuliert werden sowie Krämpfe und Anfälle. Leuchtet ein Arzt mit der Taschenlampe in ein Auge, reagiert Sim Man mit dem Pupillenreflex – oder auch nicht, je nachdem, auf welchen Gesundheitszustand der Simulator für die Übung programmiert wurde. An den Stellen, die für Mediziner wichtig sind, kann der Dummy auch tastbare Pulse elektrisch generieren.
Selbst bluten kann der Sim Man 3G, auch wenn er nicht „über einen echten Kreislauf verfügt“, erklärt Torsten Seipel, in Deutschland der zuständige Produktspezialist bei der Laerdal Medical GmbH in Puchheim. Vielmehr könnten an vier Stellen über Ports sogenannte Traumamodule angeschlossen werden. Eine Pumpe fördert dann aus einem Reservoir im Bein das Kunstblut zur Wunde und lässt es dort je nach gewünschter Unfallsituation pulsierend oder sickernd austreten. Die Reservoire für das Kunstblut befinden sich, ebenso wie jene für Urin und Speichel, in den Beinen. Um diese Körperflüssigkeiten an den richtigen Ort zu transportieren, sind in jedem Manikin 50 Schläuche mit einer Gesamtlänge von rund 20 m verbaut.
Damit das Trainingsmodell auf die Aktionen des Notfallteams reagieren kann, kommen die Norweger nicht ohne Sensoren aus. Rund 40 davon sind in ihm verbaut. Ein Sensor misst beispielsweise das Volumen, wenn Sim Man beatmet wird, ein anderer, wenn jemand den Puls ertastet. „Unsere Philosophie ist jedoch, nicht mit zu vielen Sensoren zu arbeiten“, erläutert Seipel, „weil diese Gründe für Ausfälle und damit Unzufriedenheit beim Kunden sein können.“ Werden Medikamente injiziert, identifiziert der Dummy die Art des Medikamentes über RFID-Tags, die an den Spritzen angebracht sind. Wieder misst ein Sensor das injizierte Volumen. Alle Daten zur Behandlungsweise übermitteln die Komponenten des Simulators direkt an den internen Server. Der sitzt beim jüngsten Modell der Sim-Man-Familie im Bauchraum. Will der Bediener auf den Server zugreifen, verbindet er seinen Steuer-PC als Client per W-LAN mit ihm. Die Programmierung des Manikins und der Unfallsituation erfolgt per Bluetooth.
Die Steuersoftware, eine Laerdal-Eigenentwicklung, kann in zwei Modi betrieben werden. Im Instruktor-Mode bedient der Ausbilder den Simulator mehr oder weniger manuell und greift gegebenenfalls auf selbstentwickelte kleine Steuerbausteine zurück. „So kann er Trainingsszenarien entsprechend seiner Ziele und Vorstellungen ablaufen lassen und ist nicht auf die Physiologie, die sich irgend jemand ausgedacht hat, angewiesen beziehungsweise dieser ausgeliefert“, unterstreicht Seipel die Vielseitigkeit des Systems. Im Auto-Mode laufen dagegen von Laerdal programmierte physiologische Szenarien ab, die der Ausbilder nur bedingt beeinflussen kann. Er hat aber immer die Möglichkeit, die Geschwindigkeit des Krankheitsverlaufes zu ändern. Bis zu vier Stunden kann eine Notfallsituation an jedem beliebigen Ort inszeniert werden. So lange ermöglichen die aufladbaren Akkus im Bauchraum den Dauereinsatz im drahtlosen Betrieb. Reicht dies nicht, können sie ausgetauscht oder der Simulator an eine externe Stromversorgung angeschlossen werden. Der Kompressor für die Druckluft ist im rechten Oberschenkel untergebracht. Mit seiner Hilfe kann sich beispielsweise der Brustkorb des Manikins heben und senken oder die oberen Atemwege können anschwellen. Selbst sprechen kann der Patient.
Fester Bestandteil der drahtlosen Lösung ist auch ein Wireless Monitor. Als Patientenmonitor genutzt, kommuniziert er als Client mit dem Server im Bauchraum. Dem Notfallteam dient er dazu, die Lebenszeichen des künstlichen Menschen – etwa Hirndruck oder invasive Blut(druck)werte – zu beobachten und dabei ungebunden herumlaufen zu können.
Besonders am Herzen liegt den Norwegern das Advanced Video System (AVS). Dieses erfasst jedes Detail des Trainings für audio-visuelles Feedback und erlaubt so im Anschluss eine Auswertung bis ins Detail.
Sim Man gibt es nicht nur als Erwachsenen. Die Babyvariante Sim New B ist bereits auf dem Markt. „Die geringe Größe war die Herausforderung Nummer eins bei deren Entwicklung“, berichtet Seipel. Um alle für die Steuerung wichtigen Ventile und Servos unterzubringen, habe man sich auch des Platzes im Kopf bedient. Dies sei bei den Erwachsenenmodellen nicht nötig.
Das Entwicklungsteam der Norweger besteht aus Technikern und Ingenieuren fast aller Fachrichtungen: Elektronik, Elektrotechnik, Mechatronik, Software, Werkstoffkunde sowie aus Physikern. „Die medizinische Expertise“, ergänzt Seipel, „kommt in der Regel von Ärzten aus unserer Kundschaft, deren Feedback zu bestehenden Produkten und Wünsche in die Entwicklung mit einfließt.“ Neue Produkte würden in der Testphase von ihnen evaluiert. Doch obwohl die Fertigungstiefe im Werk im norwegischen Stavanger sehr groß sei, sei die Zusammenarbeit mit Zulieferern sehr wichtig. Denn oft müssten Schläuche oder Kabel speziell für die Bedürfnisse der Norweger entwickelt werden.
Monika Corban Fachjournalistin in Liestal/Schweiz

Ihr Stichwort
  • Trainingsmodell
  • Simulation
  • Pumpen
  • Sensorik
  • Bluetooth

  • Realistischer Dummy

    Damit der Simulator möglichst realistisch aussieht, überzieht eine Art Haut aus einem von Laerdal entwickelten Kunststoff seine Schale aus schlagzähem Polycarbonat. Diese Außenbeschichtung genügt den hohen Ansprüchen an Haptik und Robustheit und lässt sich gut reinigen. Innen wird der Sim Man von einem Aluminiumgussrahmen in Form gehalten, der sich durch sein geringes Gewicht und seine gute Wärmeleitfähigkeit anbot, denn die vom internen Server erzeugte Hitze muss abgeführt werden. Die Verbinder der Arme und Beine an den Torso sind aus Edelstahl gefertigt, wobei die Entwickler Wert auf realistische Beweglichkeit legten.
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