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Sicherheit am offenen Herzen

Industrieroboter: Ersatzlunge im Reinraum montiert
Sicherheit am offenen Herzen

Eingriffe am offenen Herzen über die Herz-Lungenmaschine sind heute Standard. Eine Hauptkomponente ist dabei der Oxygenator. Die Fertigung unter Reinraumbedingungen ist bei solchen diffizilen Komponenten mit über hundert Teilen nicht einfach. Eine robotergestützte Produktion bringt Vorteile.

Die fortschrittliche Medizin von heute ist zwingend auf hochwertige technische Komponenten angewiesen. Ein breites Spektrum an entsprechenden Produkten und Dienstleistungen bietet die Maquet Cardiopulmonary AG. Der Bereich Cardiovascular entwickelt und produziert beispielsweise Komponenten für die extrakorporale Blutzirkulation während koronarer Bypass-Operationen, Herzklappeneingriffen oder auch Herztransplantationen. Dafür werden auch die im Werk Hechingen gefertigten Oxygenatoren benötigt. Diese Medizinprodukte müssen bei möglichst geringem Füllvolumen einen maximalen Gasaustausch für das durchströmende Blut bieten. Als Einmalprodukte konzipiert, spielen Produktionskosten eine wichtige Rolle. In Zusammenarbeit mit den Roboterexperten von Mitsubishi entwickelte der Hersteller eine roboterunterstützte Fertigung. Dabei waren flexible Einsatzmöglichkeiten sowie einfache Programmänderungen für die Optimierung der Arbeitsabläufe wichtige Anforderungen. Die Einhaltung der Reinraumbedingungen war eine weitere Forderung.

Naturgemäß sind bei der Konzeption einer Produktionsanlage für spezielle Produkte mit hohem Know-how-Potenzial nicht alle Schwierigkeiten im Vorfeld bekannt. Wichtig war den Planern daher von vornherein, nur flexibel und zeitnah unterstützende Partner mit ins Boot zu holen. Damit die Produktion immer optimale Ergebnisse liefert, ist auch nach Inbetriebnahme die Möglichkeit der weiteren Optimierung aller Systemkomponenten wichtig. Gunter Baron, Entwickler im Bereich Perfusion Systems bei Maquet, erläutert den Sachverhalt: „Wir haben Wert auf einfache Programmierung und einheitliche Datenausgabe gelegt. Deshalb mussten unterschiedliche Robotertypen wie Scara- und Knickarmroboter unter möglichst identischen Steuerungskomponenten laufen.“ Programmierer und Maschinenbauer müssen sich und ihre Anforderungen wechselseitig verstehen. Nur so war ein schneller und dauerhaft funktionsfähiger Aufbau der verketteten Fertigung zu realisieren. Diese Vorgabe bewährte sich, anders wäre die Inbetriebnahme in nur vier Wochen kaum zu schaffen gewesen. Außerdem war diese Vorgehensweise auch im Hinblick auf die Systemschulungen beim Kunden vorteilhaft.
Die Hechinger Anlagenbauer konnten die gestellten Anforderungen mit den Systempartnern Mitsubishi Electric für die Robotertechnik, Adiro Training und Services für die Roboter-Programmierung und Schnier für die Anlagensteuerung verwirklichen. Als großer Systemanbieter stellte Mitsubishi alle nötigen Komponenten aus einer Hand bereit und garantierte auch die Ersatzlieferung binnen 24 Stunden. Wolfram Zielke, Key Account Robot Systems für Industrial Automation bei Mitsubishi, führt dazu aus: „Ein Hauptvorteil für diese Anwendung ist, dass alle eingesetzten Roboterarme von Hause aus bis zu einem bestimmten Grad reinraumgeeignet sind. Auch ist unser Produktprogramm langfristig ausgerichtet. Bei Erweiterungen in den nächsten Jahren ist daher die Verfügbarkeit aller eingesetzten Komponenten und damit der Nutzen des gesammelten Planungswissens für den Anwender gesichert.“
Die Programmierer trugen mit ihrer Flexibilität ebenfalls zum Gelingen des Projekts bei. Schnelle Umsetzung der Änderungen und Anpassungen, die im Zuge der Inbetriebnahme zu Tage kamen, war gefragt. Hierzu berichtet Andreas Gröbe, Plant Manager Oxygenators bei Maquet: „Die Praxiserfahrung zeigt, dass die Kommunikation von Maschinen- und Robotersteuerung ebenso fehlerfrei gelöst wurde wie die Einbindung der Bedienerführung über Touch-Panels. Die Kommunikation läuft einwandfrei, Steuerungsbauer und Roboterprogrammierer arbeiteten Hand in Hand. Eventuelle Rückfragen während der Einrichtungsphase wurden zeitnah beantwortet.“
Die letztendlich realisierte Produktion befindet sich in einem Reinraum der Klasse ISO 7-8 und erfüllt alle Anforderungen des Medizinproduktegesetzes. Für die Montage der Oxygenatoren legen zunächst Scara-Roboter auf zugeführte Grundschalen die Fasermatten für die Quadrox-i-Oxygenatoren auf. Diese feinen Membranen sind sehr empfindlich und schwierig zu handhaben. Sie lassen sich beispielsweise nur auf Zug bewegen. Um die komplexen Arbeitsabläufe in kurzer Zeit zu absolvieren, wurde der von den Hechingern selbst entwickelte Greifer der Roboterarme nach ersten Praxiserfahrungen überarbeitet. Die eingesetzten RH-6SH Roboter selbst erfüllten die Vorgaben nach Präzision und Dynamik perfekt. Aufgrund der Massenträgheit von Armen mit komplexen Greifern und der dadurch auftretenden Vibrationen konnte das volle Leistungspotential bei versuchsweise erhöhter Taktrate wegen der geforderten exakten Positionierung der Matten gar nicht voll ausgeschöpft werden. Die robusten Roboter nutzen spielfreie Getriebe und wartungsfreie Servomotoren. So sind sie sowohl für hochdynamische Bewegungsabläufe (bis über 11 000 mm/s) wie auch Präzisionspositionierung ( ± 0,02 mm) prädestiniert. Die glatte Kapselung aller Teile hilft beim Reinraum-Einsatz.
Um die bestückten Oxygenatoren zu gebrauchsfertigen Einheiten zusammenzu- fügen, setzt der Hersteller im nächsten Arbeitsschritt auf zwei Fertigungszellen mit jeweils zwei Knickarmrobotern. Die aus Polycarbonat bestehenden Gehäuseteile werden an den Rändern bis zum Erweichen erhitzt, dann gegeneinander verpresst und schließlich unter Druck abgekühlt. Das ergibt eine feste, absolut dichte Verbindung. Die fertigen Oxygenatoren entnimmt der Knickarm den Halterungen und setzt sie auf einer Transportpalette ab. Bei allen zwölf Roboterarmen zusammen wurde im Zuge der jährlichen Überprüfung bisher nur ein einziger Zahnriemen ausgetauscht. Alle Roboter werden über identische, multitaskingfähige Controller angesteuert. Die Anbindung eines beliebigen Bildverarbeitungssystems und die Ansteuerung von bis zu acht weiteren Achsen sowie die schnelle Kommunikation über Ethernet und sensorlose Crash-Detektierung erlauben, wie in diesem Anwendungsfall gefordert, eine problemlose Verkettung von Anlagenteilen im Automatisierungsumfeld, ohne auf Zusatzfunktionen wie Zykluszeitoptimierung verzichten zu müssen. Die beschriebene Anwendung zeigt: Auch ausgefallene Fertigungskonzepte, die hohe Ansprüche an alle Komponenten und Arbeitsabläufe stellen, lassen sich mit modernen Robotersystemen zeitnah realisieren. Wichtig dafür ist ein kompetenter Lieferant mit breiter Produktpalette und langjähriger Erfahrung. So ist die Komponentenversorgung langfristig gesichert. Auf das erarbeitete Know-how kann so kostensparend bei Erweiterungen oder weiteren Neuanlagen aufgebaut werden.
Andreas Zeiff und Dietrich Homburg Fachjournalisten in Stutensee

So arbeitet die Ersatzlunge
Wird für eine Operation an Herz oder Lunge der natürliche Blutkreislauf unterbrochen, müssen Herz-Lungen-Maschinen die Versorgung des Körpers übernehmen. Bei der maschinellen Atmung muss über ein Konzentrationsgefälle Kohlendioxid aus dem Blut heraus und Sauerstoff sowie gegebenenfalls Narkosegase ins Blut hinein befördert werden. Sorgen in der Lunge die Lungenbläschen für den Gasaustausch, so übernehmen in einem Oxygenator feinste, gasdurchlässige Membranen diese Aufgabe. Auf einer Seite der Membran strömt das Blut, auf der anderen das Atemgas mit Sauerstoff. Um die nötige Austauschfläche zu bekommen und dennoch kompakt zu bauen, werden die Membranen in einem Gehäuse gestapelt. So erreicht die Polypropylenmembran bei nur 215 ml Gehäusevolumen eine Tauscherfläche von rund 1,8 m². Durch das geringe Gehäusevolumen wird das Blut des Patienten weniger stark verdünnt. Die Membranteile erlauben bei einem Blutdurchsatz von 0,5 bis 7 l/min einen Sauerstofftransfer von bis zu 425 ml/min und bei Kohlendioxid bis zu 350 ml/min. Um den Sauerstoffbedarf des Körpers weiter zu senken, wird oft die Körpertemperatur herabgesetzt. Die Regulation der Patiententemperatur übernimmt der im Oxygenator vollständig integrierte Wärmetauscher. Trotz der hohen Packungsdichte ist auf der Blutseite der Druckabfall mit nur 4 l/min Blutfluss und 37 °C Bluttemperatur vergleichsweise klein. Eine besondere Beschichtung erhöht die Verträglichkeit der Fremdoberflächen.

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