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Sensoren läuten die Energiewende ein

Energiespeicher: Alternativen zu Alkalibatterien gesucht
Sensoren läuten die Energiewende ein

Die Energiewende ist nicht nur ein Thema für die große Politik, sondern auch für die immer kleiner werdenden elektronischen Geräte im Healthcare- und Medizinbereich sowie für die gerade entstehenden Sensornetze. Die gute alte Alkalibatterie hat bald ausgedient, Energy Harvesting ist morgen angesagt.

Frau Huber wird beim Spaziergang schwarz vor Augen und sie sackt in sich zusammen. Die Sensoren ihres Smart-Health-Systems registrieren einen plötzlich abfallenden Puls und eine sturzähnliche Bewegung. Darauf hin wird ein Notruf abgesetzt. In der Notrufzentrale kann über eine Verbindung mit dem Smart-Health-System Frau Hubers Position bestimmt und auf die Sensordaten sowie die elektronische Krankenakte zugegriffen werden. Aus der Datenlage ermittelt der Mitarbeiter, dass es sich vermutlich um einen Schwächeanfall handelt. Er übermittelt Frau Hubers Daten an einen Krankenwagen, der sich sofort aufmacht, um Hilfe zu leisten.

Das Beispiel aus der aktuellen Studie der Acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaft e.V., München, „Agenda CPS“ hört sich futuristisch an, könnte aber dank CPS bald Realität werden. CPS steht für Cyber-Physical Systems oder das Internet der Dinge, Daten und Dienste. Dabei handelt es sich um Systeme, die durch die Verknüpfung von eingebetteten Systemen untereinander und mit webbasierten Diensten entstehen. Elementarer Bestandteil der CPS sind drahtlose Sensornetze, die die reale Welt erfassen.
Im Fall von Frau Huber befinden sich diese Sensoren zum Teil im, zum Teil außerhalb des Körpers. Zuverlässig funktionieren können sie nur, wenn ihnen immer genügend Energie zur Verfügung steht. Bislang werden viele mobile Geräte und Implantate mit Alkali-Batterien und -Akkus betrieben. Sind sie entladen, heißt das bei einem Herzschrittmacher, dass der Patient operiert werden muss. Bei Sensornetzen scheint es schier unmöglich, den Ladezustand des Energiespeichers ständig zu überwachen. Derzeit geht der Trend zu Lithium-Batterien, die laut Dr. Thomas Dittrich, Leiter des Applications Engineering bei Tadiran Batteries GmbH, Büdingen, die höchste spezifische Energie (Energie pro Masse) und die höchste spezifische Energiedichte (Energie pro Volumen) von allen Batteriearten haben.
Für jede Anwendung eine andere Lithium-Batterie
Doch gibt es verschiedene Zusammensetzungen, die sich für unterschiedliche Applikationen eignen. So kommen Lithium- Mangandioxid-Batterien etwa in Blutzuckermessgeräten zum Einsatz. Sie sind kostengünstig und weisen eine hohe Impulsleistung auf, entladen sich aber vergleichsweise schnell selbst und besitzen eine niedrige Energiedichte, was zu unhandlichen Geräten führt. Lithium-Schwefeldioxid-Batterien, die beispielsweise für externe Defibrillatoren genutzt werden, liefern hohe Stromimpulse bei niedrigen Temperaturen, sind aber größer und schwerer als andere Typen.
Lithium-Thionylchlorid-Batterien hingegen eignen sich für Schwachstromanwendungen, bei denen ein gleichmäßiger kleiner Strom über einen längeren Zeitraum notwendig ist. Sie besitzen laut Dittrich eine hohe Energiedichte, eine hohe Kapazität sowie eine niedrige Selbstentladungsrate und haben eine Betriebszeit von mehr als 25 Jahren. Daneben hat Tadiran Lithium-Metalloxid-Batterien entwickelt, die Dittrich als „das kleinste verfügbare Kraftpaket für die Medizintechnik“ bezeichnet, weil sie mit hoher Zellenspannung, hoher Energiedichte, sofortiger Aktivierung und langer Lebensdauer, auch unter extremen Temperaturen, punkten.
Doch die Entwicklung geht weiter in Richtung Miniaturisierung bei höherer Leistungsdichte. So versorgen die Pulses-Plus-Batterien von Tadiran – eine Kombination aus Lithium-Thionylchlorid-Primärzelle und einer Sekundärzelle auf der Basis von Lithiuminterkalationsverbindungen – beispielsweise Geräte mit Sensoren zur Herzfrequenz- oder Temperaturmessung, wie sie im Eingangsbeispiel genannt wurden.
Für die Energieversorgung der künftigen Sensornetze reicht die Technologie nach Meinung von Experten indes noch nicht aus. So befindet denn auch die Acatech, dass die Energieversorgung eine große Herausforderung an die technische Realisierung der CPS-Systeme darstellt.
Bauelemente beeinflussen entscheidend den Energieverbrauch
„Gerade bei autonomen Sensorsystemen spielt bei der Auswahl der Bauelemente der sparsamste Umgang mit Energie die entscheidende Rolle“, bestätigt Prof. Dr. Roland Werthschützky von der TU Darmstadt, einer der Autoren der Studie „Sensor-Trends 2014“ des AMA Fachverbandes für Sensorik e.V., Berlin. „Aus Systemsicht beginnt dieser sparsame Umgang mit Energie bei der Auswahl des Mess- beziehungsweise Sensorprinzips und setzt sich bei der Auswahl des zum Einsatz kommenden Mikrocontrollers oder SPCs bis hin zur drahtlosen Kommunikation fort.“
Extra- und intrakorporale Sensoren haben laut der Studie in der Medizintechnik typischerweise einen Energiebedarf von weniger als 0,01 W – und damit weit weniger als Sensoren in anderen Anwendungsgebieten wie etwa im Maschinenbau mit 0,1 W oder im Kraftfahrzeug, wo im Abgasstrang sogar mehr als 5 W benötigt werden. Dennoch wird die Energieversorgung im Healthcare- und Medizintechnikumfeld als weitaus wichtiger eingestuft, weil sie zum Teil lebenswichtige Funktionen erfüllt.
Daher geht im Sensor-Umfeld die Tendenz weg von den klassischen elektrochemischen Speichern, also Batterien und Akkus, hin zu Lösungen, die lineare Bewegung/Druck, Licht und Temperaturdifferenz in elektrisch nutzbare Energie umwandeln, Energy Harvesting genannt. Denn sie versprechen letztlich energieautarke Lösungen.
Lösungen dafür sind am Markt seit wenigen Jahren verfügbar. Einer der Vorreiter für batterielose Funktechnik ist die Enocean GmbH, Oberhaching, die 2001 als Spin-off der Siemens AG gegründet wurde. Mit miniaturisierten Energy Harvestern und hocheffizienter Funktechnik stellt sie wartungsfreie Funksensorlösungen zur Verfügung, die vorrangig in Gebäuden und Industrieanlagen eingesetzt werden. Speziell in der Gebäudetechnik setzt sich die Technologie als Quasi-Standard durch, rund 250 Unternehmen wie Osram, Siemens oder auch Halbleiterhersteller Texas Instruments gehören aktuell der so genannten Enocean Alliance an, die sich die Standardisierung, Internationalisierung und Produktinteroperabilität unter verschiedenen OEM-Partnern zum Ziel gesetzt hat. Ähnliches schwebt dem Unternehmen für den Healthcare-Bereich vor.
Enocean stellt derzeit Bewegungsenergie- und Thermoenergiewandler sowie Solarzellen für den Einsatz in batterielosen Funksensoren zur Verfügung. Der Bewegungsenergiewandler gewinnt Energie aus dem Schaltereignis, also einem Tastendruck. Der Thermoenergiewandler nutzt Abwärme etwa des menschlichen Körpers als Energiequelle und funktioniert laut Hersteller schon bei kleinsten Temperaturdifferenzen.
Solche Bewegungsenergiewandler werden beispielsweise in einer Schlaraffia-Matratze mit dem integrierten Matratzen-Sensor Matcontrol eingesetzt, der automatisch der Alten- und Pflegestation signalisiert, wenn nachts jemand aufsteht oder am Morgen zu lange im Bett bleibt. Dieser Sensor basiert auf Enoceans Energy-Harvesting-Funktechnik. Je nachdem, wie lange der Patient schon liegt, schaltet das System außerdem alle elektrischen Geräte im Raum automatisch ab. Auch kann so die Raumtemperatur nachts automatisch auf eine gesunde Schlaftemperatur geregelt werden.
Unabhängig von der angewandten Energy-Harvesting-Methode ist es jedoch relativ aufwendig, mit der erzielten Energieausbeute längere Zeiträume ohne Energieaufnahme zu überbrücken. Das heißt, so manche Anwendung kommt nicht ohne Energiespeicher als Zwischenspeicher aus. Vor allem der Bedarf von Sensornetzen variiert zwischen wenigen mW im Ruhezustand bis hin zu hunderten mW bei der Übertragung von Funksignalen. Hier gehen die Hersteller derzeit den Weg, die überschüssige Energie in Kondensatoren zu speichern. Die Anforderungen daran lauten:
  • Eine hohe Anzahl möglicher Lade- und Entladevorgänge
  • Ein einfacher Aufladevorgang, der selbst nicht viel Strom benötigt
  • Eine hohe Energiedichte, damit die Komponente klein bleibt
  • Eine niedrige Entladung, um lange Zeiträume ohne Energiezufuhr zu überbrücken
Für diesen Zweck kommen neben Lithium-Batterien verstärkt Folienspeicher und Kondensatorspeicher zum Einsatz. Vor allem Superkondensatoren sind derzeit in aller Munde. Diese so genannten Supercaps entwickeln sich immer mehr vom teuren Exoten zum Universal-Standardbauteil. Denn im Gegensatz zu Lithium-Sekundärbatterien mit ihren wenigen tausend Ladezyklen ist ihre Lebensdauer nahezu unbegrenzt. Sie bestehen aus Aluminium, Kohlenstoff und organischem Elektrolyt, so dass keine Entsorgungsprobleme entstehen. Außerdem sind sie rasch aufgeladen. Außerdem sind ihnen Kapazitätseinschränkungen bei sehr tiefen oder hohen Umgebungstemperaturen ebenso unbekannt wie die Problematik einer Tiefentladung: Supercaps können komplett entladen und ungeladen gelagert werden. Aufgrund dieser Merkmale nennen Experten Superkondensatoren als ideale Lösung für Anwendungen, die einen zuverlässigen Betrieb über eine sehr lange Nutzungsdauer erfordern.
Allerdings haben herkömmliche Superkondensatoren, auch Doppelschichtkondensatoren genannt, nur einen Bruchteil der Energiedichte von Akkus. Dieses Dilemma wollen Wissenschaftler in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekt Super-Kon an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg auflösen, indem sie mit neuartigen Kondensatoren aus Kompositmaterialien (0-3-Komposite) versuchen, vergleichbare Energiedichten wie die von Akkus zu erreichen und dabei die spezifischen Vorteile der Super-Kondensatoren nutzbar zu machen. Durch die Herstellung neuartiger 0-3-Komposite sollen die positiven Eigenschaften von Keramiken und Polymeren vereinigt werden. In der Medizintechnik, davon sind die Weimarer Wissenschaftler überzeugt, können durch diesen Super-Kon viele Schwierigkeiten gelöst werden – und dies nicht nur in Sensornetzen. Auch die unterbrechungsfreie Stromversorgung im Krankenhaus kann er unterstützen und somit vor Kosten in Millionenhöhe schützen.
  • Sabine Koll Journalistin in Böblingen
  • Weitere Informationen Zu der Acatech-Studie „Agenda CPS: www.acatech.de, Publikationen, Studien Zu der AMA-Studie „Sensor-Trends 2014“: http://ftp.ama-sensorik.de/Trendanalyse/AMA_Trendbericht_Langfassung.pdf Zum Batterie-Hersteller Tadiran Batteries: www.tadiranbatteries.de Zum Energy-Harvesting-Anbieter Enocean: www.enocean.com Zum Forschungsprojekt Super-Kon: www.super-kon.uni-halle.de

  • Es wird ernst mit der Energie-Ernte
    Im Energy Harvesting liegt laut IDTechEx ein enormes Marktpotenzial: Demnach werden in diesem Jahr rund 641 Millionen autonome Geräte weltweit batterielos mit Energie aus Sonne, Bewegung oder Piezoelektrik arbeiten. 2022 sollen es bereits mehr als 2 Milliarden sein. Der Healthcare-Markt hat daran nur einen kleinen Anteil, wird aber ebenfalls rapide zulegen. In den ersten Jahren wird die Technik laut den Marktforschern vor allem in Implantaten eingesetzt, später dann vorrangig für medizinische Einwegprodukte wie Testsysteme und Medikamentenverabreichung. Ihr Stellenwert für drahtlose Sensornetze sei unbestritten, doch gebe es hier noch andere Hürden zu nehmen wie etwa die Entwicklung von Protokollen, die den Aufbau kostengünstiger, leistungsfähiger und großer Netze ermöglichen. Auch müsse die Energy-Harvesting-Technologie für diese noch weiter entwickelt werden. Für eine gute Zwischenlösung hält IDTechEx hier den bei Taschenrechnern gewählten Kombiansatz, die Lebensdauer von Lithium-Thionylchlorid-Batterien mittels Energy Harvesting zu verlängern.

    Turbo für Supercaps
    Der III. Innovationsworkshop „Energiespeicherung und deren zukünftige Applikationen“ findet am 4. und 5. Juni 2012 in der Leucorea Wittenberg statt. Veranstalter ist das Projekt Super-Kon, das sich mit der Entwicklung neuartiger Kondensatoren aus Kompositmaterialien (0–3-Komposite) befasst, die vergleichbare Energiedichten wie die von verfügbaren, aber in der Anwendbarkeit begrenzten, Doppelschichtkondensatoren (Supercaps) erreichen sollen. Durch die Herstellung neuartiger 0-3-Komposite sollen die positiven Eigenschaften der beiden Materialklassen, Keramiken und Polymere, vereinigt werden. Der Innovationsworkshop behandelt Themen aus dem Wechselfeld von Forschung, Entwicklung, technischer Realisierung, technischen Anforderungen und industriellem Einsatz von neuartigen Energiespeichern mit hohen Speicherdichten auf der Basis von Super-Kondensatoren. Die Fragestellungen umfassen die Synthese und Chemie von Kondensatorwerkstoffen, die Modellierung von Verbundwerkstoffen, ihre elektrische Charakterisierung, Schichtherstellungsverfahren, Kontaktierung sowie den Entwurf kompletter Bauteile.

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